Die Geschwindigkeit, mit der Unternehmen sich neuen Herausforderungen stellen müssen, bleibt weiterhin hoch. Auch für das Management von Kontrahentenrisiken im Corporate Treasury, das häufig auf erprobten und langjährig gewachsenen Prozessen beruht, führen eine Reihe von Entwicklungen zu Anpassungsbedarfen, aber auch zu Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die wir in diesem Artikel näher beleuchten möchten.
Dazu betrachten wir zunächst die wesentlichen Treiber der Veränderungen.
Die makroökonomischen Unsicherheiten, die aus den sich global verschärfenden politischen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen ergeben, werden in vielen Bereichen die Unternehmen belasten. Lieferketten und Absatzmärkte, aber auch die Finanzmärkte und Kapitalflüsse, werden sich durch geopolitische Spannungen sowie Handels- und Zollkonflikte verschieben.
Die digitale Transformation stellt technologische Innovationen wie Künstliche Intelligenz (AI), Machine Learning und Big Data - Analysen zur Verfügung, die im Risikomanagement bisher wenig Einsatz finden, aber Potenzial für eine präzisere Risikobewertung, Echtzeit-Steuerung und automatisierte Entscheidungsfindung bieten. Digitale Plattformen und Fintech-Unternehmen arbeiten dabei intensiv an der Entwicklung von entsprechenden Lösungen, so dass eine Umsetzung nicht zwangsläufig auf komplexe Inhouse-Projekte hinauslaufen muss.
Die Kehrseite der stark wachsenden Datenvernetzung und -zentralisierung ist allerdings die Abhängigkeit von den IT-Systemen und den damit verbundenen Cyberrisiken, die Überlegungen zur business continuity (Wie lange kommt das Unternehmen ohne die einzelnen Systeme aus?) erforderlich machen.
Ein dritter Treiber sind ESG-Risiken. Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren haben in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen und Unternehmen sowie Finanzinstitute berücksichtigen zunehmend ESG-Risiken bei Anlagen und Investitionen. Auch wenn es hier kontroverse politische Entwicklungen gibt, ist wohl eher mit weiteren regulatorischen Anforderungen zu rechnen, da sich die Folgen des Klimawandels in vielfältiger Weise niederschlagen werden und die Problematik mittelfristig wieder in den Fokus rücken wird.
Quo vadis Kontrahentenrisiko?
Während die Veränderung der Rahmenbedingungen für das Risikomanagement auf der Hand liegen, sind die konkreten Maßnahmen zur Weiterentwicklung nicht offensichtlich.
Herzstück für den Umgang mit Kontrahentenrisiken ist in der Regel eine Kombination aus
- systematischer Auswahl von Kontrahenten, mit denen überhaupt Finanzgeschäft im Unternehmen betrieben wird (häufig in Form eines Portfoliobankenansatzes),
- einem Limit-System, das den zugelassenen Kontrahenten eine Obergrenze an zulässigem Geschäft zuordnet, und
- einer geeigneten Risikobewertung für bestehendes Geschäft.
Das Limit-System soll die eigene finanzielle Kapazität berücksichtigen, also sicherstellen, dass die mit Anlage und Handelsgeschäft verbundenen Ausfallrisiken durch die finanzielle Stärke und Liquidität des eigenen Unternehmens im Krisenfall noch tragbar sind.
Über die Festlegung eines Portfolios von Kontrahenten kann sichergestellt werden, dass alle notwendigen Märkte (für Finanzierung, Investition aber auch Zahlungsverkehr) abgedeckt werden können. Je nach Marktstellung können dabei auch Kontrahenten aufgenommen werden, die nach reinen Bonitätskriterien zunächst weniger geeignet erscheinen, aber durch die Abdeckung bestimmter Services oder Märkte zur Umsetzung der Geschäftsstrategie erforderlich sind.
Die Risikomessung muss eine geeignete Methodik umfassen, um das aus den unterschiedlichen Finanzinstrumenten und -positionen resultierende Kontrahentenrisiko sowohl auf Einzelgeschäftsebene als auch im Portfolioeffekt quantifizieren zu können. Dabei sind Sicherheiten, Laufzeit und Liquidierbarkeit geeignet zu berücksichtigen.
In den folgenden Abschnitten betrachten wir nun Ansätze, welche die verschiedenen Komponenten in unterschiedlicher Weise weiterentwickeln.
Ansätze zur Weiterentwicklung
Automatisierung und Echtzeitüberblick
Gerade in unruhigen Zeiten und einer wechselhaften Umgebung ist ein zeitnaher und vollständiger Überblick über die Risikosituation für eine effektive Steuerung unerlässlich – das gilt für alle finanziellen Risiken im Treasury. Durch die verbesserten Möglichkeiten im Datenaustausch und der Systemvernetzung können mit moderatem Aufwand alle Positionen des Unternehmens an einer zentralen Stelle zusammengefahren werden, typischerweise im Treasury Management System oder einer Data Warehouse/Data Lake – Lösung. Neben hauseigenen Daten werden auch die verwendeten Marktdaten (z.B. Rating oder CDS Spreads) benötigt.
Mit Hilfe von BI-Lösungen, die heute zum Teil direkt in den Systemen integriert sind oder, wenn es sich um separate Anwendungen handelt, zumindest eine einfache Systemanbindung ermöglichen, können interaktive Dashboards mit den zentralen Übersichten zum Kontrahentenrisiko aufgebaut werden. Je nach Systemlandschaft kann hier ein zumindest tagesaktueller Überblick erreicht werden oder sogar ein Überblick in Echtzeit, bei dem veränderte Limite oder die Limitauslastung sofort sichtbar sind und untertägige Informationen wie neu getätigte Geschäfte, veränderte Kurse oder Intraday-Kontoauszüge mit einfließen. Die Datenflüsse selbst können dabei weitestgehend automatisiert werden, um manuelle Aufwände in hoher Frequenz zu vermeiden.
Neben der deutlich erhöhten Transparenz über die Risiken, die eine geschäftsnahe Steuerung der Kontrahentenrisiken erlaubt, ermöglicht ein solcher Ansatz auch die einfachere Analyse von Entwicklungen z.B. in Form von Betrachtungen der Veränderungen über die Zeit und bildet die Grundlage für weitere Schritte.
Implementation von Frühwarnindikatoren
Klassische Limit-Systeme ermitteln das Limit basierend auf Bonitätseinstufungen von Ratingagenturen. Eine damit verbundene Schwierigkeit ist der abweichende zeitliche Horizont. Rating-Agenturen passen ihre Beurteilung eher langsam an und legen einen Fokus auf die mittel- bis langfristige Bonität aus einer Portfolioperspektive. Das Kontrahentenrisiko betrachtet typischerweise kurzfristige Anlagen in einer Einzelbetrachtung jedes Kontrahenten.
Die Einbindung von Frühwarnindikatoren im Kontrahentenrisiko zielt auf die Unterschiede ab: Ausgehend vom eigentlichen Rating werden zusätzliche Informationen in der Limit-Bestimmung berücksichtigt, die auf kurzfristige, im Rating noch nicht berücksichtigte Veränderungen der Kreditwürdigkeit abzielen.
Während im Kunden- und Lieferantenverhältnis das Zahlungsverhalten ein wichtiger Indikator ist, gestaltet sich die Auswahl bei finanziellen Kontrahenten deutlich schwieriger. Ein möglicher Ansatz ist hier die Verwendung textueller Informationen aus Online-Nachrichten und Newstickern. Für eine erfolgreiche Umsetzung muss dabei sowohl der automatisierte Abgriff der relevanten Nachrichten also auch eine strukturierte Ableitung eines Indikatorwertes und die Berücksichtigung im Limit-System entwickelt werden.
Eine weitere interessante Option bildet hier die Berücksichtigung von Credit Default Swap Spreads, die für die meisten größeren finanziellen Kontrahenten verfügbar sind und eine Marktmeinung über die Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls widerspiegeln. Da die Spreads auf standardisierten, marktgehandelten Produkten basieren, reagieren sie in der Regel schnell auf neue Informationen und Ereignisse, die das Kreditrisiko beeinflussen können. Auch wenn CDS Spreads wegen der begrenzten Marktliquidität keine perfekte Risikoprämie darstellen, sind sie gute Frühwarnindikatoren und eine gute Ergänzung zu Bonitätsratings.
Dynamische Limite zur verstärkten Diversifikation
Ein gewünschter Nebeneffekt von Limit-Systemen ist die Diversifikation des Anlageportfolios. Da an effizienten Kapitalmärkten diversifizierbare Einzelrisiken nicht belohnt werden, ist eine Verteilung des Anlagebetrages auf verschiedene Kontrahenten sinnvoll.
In einem statischen Limit-System, bei dem die Limite regelmäßig, aber in größeren Abständen, überarbeitet werden, treten häufig Situationen auf, in denen die Limite deutlich zu groß oder deutlich zu klein für die bestehenden Position sind. Während zu kleine Limite über entspreche Eskalations- bzw. Ausnahmeprozesse zeitnah aufgelöst werden, besteht bei zu großen Limiten kein unmittelbarer Handlungsdruck – allerdings entfällt damit auch die Steuerungswirkung.
Ein dynamischer Limit-Ansatz zielt auf ein flexibles und reaktionsfähiges System ab, das in der Lage ist, sich an veränderte Marktbedingungen anzupassen. Dies wird erreicht, indem Limite nicht mehr nur von der Bonität der Kontrahenten abhängen, sondern weitere Faktoren wie das Gesamtvolumen einer Anlage oder Marktvolatilitäten berücksichtigt werden.
Für eine erfolgreiche Umsetzung ist neben der Spezifikation der genauen Dynamisierungslogik eine gute Automatisierung der Positionsermittlung und der Risikobewertung notwendig, also eine Abbildung in adäquaten Systemen.
Dynamische Limite können dabei wahlweise als Ersatz oder als Ergänzung für klassische, statische Limite verwendet werden.
Vielfältige Möglichkeiten
Die dargestellten Beispiele zeigen, dass auch im Bereich des Kontrahentenrisikos zahlreiche Ansätze zur Optimierung der bestehenden Prozesse bestehen und eine bessere Steuerungswirkung erreicht werden kann.
Zudem ermöglichen entsprechende Projekte langjährige Methodik z.B. in der Risikomessung zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern (z.B. um die richtige Bewertung von ESG-bezogenen Finanzinstrumenten).
In diesem Beitrag haben wir uns dabei auf das Kontrahentenrisiko als jenen Teilbereich des Kreditrisikos konzentriert, der üblicherweise der Verantwortung des Treasury zugeordnet ist. In unserer April-Ausgabe werden wir das Thema Kreditrisiko unter dem Stichwort Operative Credit Management erneut aufgreifen und insbesondere Einblick in die Nutzung von Kreditversicherungslösungen geben.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 151, Januar/Februar 2025
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory,KPMG AG
Dr. Dirk Bondzio, Senior Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Nils A. Bothe
Partner, Financial Services, Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft