In den letzten Wochen wurde in den Medien verstärkt über die Fortschritte bei der Konzeption eines digitalen Euros, seiner geplanten Einführung, sowie über Chancen und Gefahren von digitalem Zentralbankgeld berichtet und diskutiert. Was hat es damit auf sich und welche Auswirkungen ergeben sich für unsere Gesellschaft, für Banken und insbesondere für Unternehmen?
Im Jahr 2014, als der Hype um Kryptowährungen einen ersten Höhepunkt an öffentlicher Aufmerksamkeit und Interesse erreichte, entstand eine aufschlussreiche Diskussion über ein neues Konzept1: digitale Währungen, die von Zentralbanken ausgegeben und verwaltet werden.
Die wachsende Beliebtheit von Kryptowährungen und die damit verbundenen technologischen Fortschritte, die zunehmende Akzeptanz digitaler Zahlungen bei gleichzeitigem Rückgang von Bargeldzahlungen, sowie die Aussicht auf eine verbesserte Bekämpfung von Geldwäsche und Zahlungsbetrug (infolge der Möglichkeit Transaktionen nachzuverfolgen und so mehr Transparenz zu schaffen) weckten das Interesse von Regierungen weltweit, die sich infolgedessen mit der Idee von digitalem Zentralbankgeld zu befassen begannen.
Eine der ersten Regierungen, die sich dieser Herausforderung stellte, war China. Die People's Bank of China ergriff die Initiative und begann bereits 2014 mit der Erforschung dieser revolutionären Technologie. Fast ein Jahrzehnt später hat China seine Führungsposition auf diesem Gebiet gefestigt und den digitalen Yuan (e-CNY) eingeführt, womit das Land zu den Vorreitern beim digitalen Zentralbankgeld zählt.
Doch nicht nur in Asien werden Fortschritte gemacht. Auch im Euro-Raum sind die ersten Schritte in Richtung digitales Zentralbankgeld unternommen worden. Die Europäische Zentralbank (EZB) führt derzeit eine Untersuchungsphase für einen digitalen Euro durch. Diese Phase, die noch bis Herbst 2023 andauert, soll die Grundlage für die Entscheidung über den Eintritt in eine dreijährige Implementierungsphase schaffen.
Ein wichtiger Meilenstein für den digitalen Euro konnte unlängst am 28. Juni erreicht werden. An diesem Tag wurde der geplante Gesetzesentwurf von der EU-Kommission vorgelegt und damit ein entscheidender Grundstein für die weitere Entwicklung gelegt.
Aber was genau ist digitales Zentralbankgeld oder auch Central Bank Digital Currency (CBDC) genannt?
Im modernen Wirtschaftssystem wird Geld in zwei Hauptformen unterschieden: Bargeld, das von den Zentralbanken ausgegeben wird, und Giralgeld, das bei den Geschäftsbanken entsteht, wenn sie Kredite vergeben und dabei Einlagen auf den Konten ihrer Kunden schaffen. Das digitale Zentralbankgeld soll als eine virtuelle Variante des Bargeldes dienen, das von der Zentralbank eines Landes emittiert und reguliert wird. Im Gegensatz zu Kryptowährungen, die dezentralisiert sind und von keiner Institution direkt reguliert werden, sind CBDCs zentralisiert und gesetzlich anerkannt.
CBDCs könnten im ersten Schritt als digitale Entsprechung von Bargeld oder Guthaben auf Bankkonten fungieren und somit das Bargeld im Handel ersetzen. Im zweiten Schritt wäre denkbar, dass CBDCs auch im Business-to-Consumer (B2C)-Bereich Anwendung finden und somit Giralgeld in jeglicher Form ablösen. Durch diese Zusammenlegung besteht die Möglichkeit, dass CBDCs somit in der Zukunft das komplette Geldsystem transformieren, indem sie die Eigenschaften von Bargeld und Giralgeld vereinen und den Zentralbanken dabei helfen, die Kontrolle über das Geldsystem zu behalten. Andernfalls könnten Regierungen Gefahr laufen, dass konkurrierende Kryptowährungen die Ausgabe von Geld und den Geldfluss kontrollieren und ihnen somit den Zugriff auf das Geldsystem entziehen. Der Wandel zu einer „Cashless Society“ wäre damit geebnet.
Welchen Einfluss hat digitales Zentralbankgeld auf die Gesellschaft, auf Banken, Unternehmen und Treasury-Abteilungen?
Gesellschaft:
Die Einführung von digitalem Zentralbankgeld könnte eine entscheidende Veränderung in unserem täglichen Leben herbeiführen und den Weg zu einer bargeldlosen Gesellschaft öffnen. Diese Veränderung würde besonders stark in Sektoren wie dem Gastgewerbe und dem Einzelhandel zu spüren sein, da sich hier die tägliche Handhabung von Geld signifikant verändern könnte.
Positiv zu werten ist dabei der einfach und kostengünstig gestaltete Zugang zu Konten, der es auch sozial benachteiligten Gruppen, die bisher keinen Zugang zu traditionellen Bankdienstleistungen hatten, ermöglichen soll auf Finanzdienstleistungen zuzugreifen. Dies würde für ein inklusiveres Finanzsystem sprechen und eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft fördern.
Vor allem in punkto Datenschutz und Privatsphäre ergeben sich jedoch auch Bedenken in der Bevölkerung und zwar durch die erweiterten Möglichkeiten der Überwachung und Nachverfolgung von Geldbewegungen durch Zentralbanken oder Behörden. Gemäß einer Umfrage der Europäischen Zentralbank aus dem Jahr 2021 zählen Datenschutz und die Sicherheit von Zugangsdaten zu den obersten Prioritäten der Befragten. Entscheidend bei der letztendlichen Ausgestaltung von CBDCs wird also die Sicherheit und der angemessene Schutz von Daten und Privatsphäre sein.
Die Bemühungen zur Schaffung eines einfacheren, sichereren und inklusiveren Finanzsystems betonen die Bedeutung dieser digitalen Innovation und könnten einen maßgeblichen Wandel in Bezug auf die Handhabung und Nutzung von Geld in unserer Gesellschaft in Gang setzen.
Banken:
Die genaue Architektur und Zugänglichkeit des digitalen Zentralbankgeldes für die Kunden von Banken ist noch nicht definiert. Es kursieren diverse Hypothesen, deren Bestätigung tiefgreifende Auswirkungen auf verschiedene Bereiche der Finanzwelt haben könnte.
Eine Kernfrage betrifft die Kontoführung für das digitale Zentralbankgeld. Es ist derzeit ungewiss, ob Konten bei der Zentralbank direkt eröffnet werden können und wer für die entsprechenden Dienstleistungen zuständig sein wird. Eine hypothetische Variante besagt, dass Geschäftsbanken als Intermediäre entfallen könnten, was dazu führen würde, dass Unternehmen und Einzelpersonen in der Lage wären, direkt mit der Zentralbank zu interagieren. Ein solcher Paradigmenwechsel hätte weitreichende Konsequenzen für Geschäftsbanken, darunter:
- Eine vermehrte Lagerung von Geld auf als sicher wahrgenommenen CBDC-Konten durch Unternehmen und Bürger
- Ein Rückgang der Einlagen bei Banken, was den Kreditvergabeprozess beeinträchtigen könnte
- Das Erscheinen von FinTechs, die das traditionelle Bankwesen weiter revolutionieren könnten
Wenn jedoch die Möglichkeit besteht, direkt bei der Zentralbank Konten zu eröffnen, muss geklärt werden, wer für den Service und die Verwaltung dieser Konten verantwortlich ist. Angesichts des öffentlichen Auftrags der Zentralbank könnte dies eine Chance für FinTechs sein, einen neuen Service- oder Geschäftsbereich im Zentralbankumfeld zu eröffnen. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Banken als Intermediäre fungieren, ihren bisherigen Service um diese neue Funktion erweitern und so neue, innovative und integrierte Finanzprodukte anbieten. Beispiele für innovative Produkte könnten CBDC-Wallets oder speziell entwickelte Zahlungslösungen für digitales Zentralbankgeld sein.
Die Einführung von CBDCs wird voraussichtlich das Volumen digitaler Zahlungen erhöhen, da die Nutzer die von der Zentralbank unterstützte neue Zahlungsmöglichkeit als sicher und vertrauenswürdig einstufen werden und zudem ihre digitalen Zahlungen schneller und effizienter abwickeln können als herkömmliche Zahlungen per Lastschrift oder Überweisung. Die Programmierbarkeit des digitalen Geldes ermöglicht zudem die Generierung und Erfassung zusätzlicher Marktdaten.
Es wird also entscheidend sein, entsprechende Anpassungen vorzunehmen, um sowohl die Stabilität des Finanzsystems als auch die Bedürfnisse der Kunden zu gewährleisten.
Unternehmen:
Die bevorstehende Einführung des digitalen Zentralbankgeldes wird voraussichtlich tiefgreifende Auswirkungen auf das Geschäftsleben haben. Obwohl das Hauptaugenmerk des vorgeschlagenen digitalen Euros in der EU auf Privatpersonen liegt und das endgültige Modell noch nicht festgelegt ist, ergeben sich potenzielle Auswirkungen für Unternehmen, die ins Auge gefasst werden müssen.
Ein bemerkenswerter Aspekt dabei ist die Möglichkeit, dass CBDCs die Geschwindigkeit und Effizienz von Auslandsgeschäften in Fremdwährungen verbessern könnten. Ermöglicht wird dies dadurch, dass beide Parteien CBDCs verwenden und Transkationen so in Echtzeit, in derselben digitalen Währung und ohne Verzögerungen durch eventuelle Intermediäre abgewickelt werden. Eine Umrechnung in Fremdwährungen würde dann durch direkt geführte Konten bei den verschiedenen Zentralbanken entfallen. Darüber hinaus könnten CBDCs zu erheblichen Kosteneinsparungen führen, indem Banken als Vermittler entfallen und direkte Zahlungen ermöglicht werden. Dieser Vorteil wäre insbesondere bei grenzüberschreitenden Transaktionen von Bedeutung, bei denen die Einführung von CBDCs zu deutlichen Verbesserungen hinsichtlich Transaktionsdauer und -kosten führen könnte.
Ein weiterer Aspekt betrifft das Geschäft zwischen Unternehmen und Verbrauchern (B2C). Mit der Einführung des digitalen Euros wird neben den bereits bestehenden Zahlungsmethoden, wie Kredit- und Debitkarten, Mobile Payments wie ApplePay, GooglePay und PayPal, eine weitere Zahlungsoption eingeführt. Händler und Unternehmen müssen sich auf diese neue Zahlungsform einstellen und sie in ihre Geschäftsprozesse integrieren. Die digitale Landschaft könnte durch das Aufkommen von etablierten und potenziell neuen FinTechs mit innovativen Systemen und Ansätzen weiter transformiert werden.
Zudem bietet die Programmierbarkeit des digitalen Geldes neue Möglichkeiten. CBDCs könnten beispielsweise Smart Contracts2 verwenden und damit die automatische Ausführung von Zahlungen aufgrund von festgelegten Regeln und Bedingungen ermöglichen. So wäre denkbar, dass internationale Handelstransaktionen zum Beispiel an bestimmte Zollbestimmungen oder andere Vorschriften geknüpft werden. Die Verbindung von Informationen mit Transaktionen könnte zudem die Verarbeitung in ERP-, Buchhaltungs- und Treasury-Systemen erleichtern und gleichzeitig die Transparenz erhöhen. Dies trägt dazu bei die Effizienz in der Abwicklung zu steigern und Rechnungs- oder Buchhaltungsprozesse zu rationalisieren.
Treasury:
Die Auswirkungen auf den Business-to-Business (B2B)-Bereich sind zunächst aufgrund der vorgesehenen Obergrenze für digitale Zahlungen begrenzt. Doch die allgemeine Implementierung des digitalen Euros könnte weitreichende Vorteile für die Liquiditätsverwaltung und den Zahlungsverkehr der Unternehmen bedeuten. Eine gesteigerte Transaktionsgeschwindigkeit und -automatisierung könnten die Liquiditätsplanung und das Cash-Management in Unternehmen vereinfachen.
Wenn Banken als Zwischeninstanzen in Transaktionsprozessen entfallen, führt das zu beträchtlichen Kosteneinsparungen für Unternehmen. Dieser Aspekt könnte besonders für die Treasury-Abteilungen relevant sein, zuvorderst wenn es um Kontenführung und Transaktionsabwicklung geht. Eine Reduzierung dieser Kosten würde die betriebliche Effizienz signifikant erhöhen und dazu beitragen, die Gesamtbetriebskosten des Unternehmens zu senken. Ob dies tatsächlich Realität wird, bleibt allerdings abzuwarten.
Zudem könnten sich Wechselgebühren verringern, wenn Unternehmen die Möglichkeit erhalten, Konten direkt bei ausländischen Zentralbanken zu führen, was wiederum die Kosten für Auslandsüberweisungen senken würde und Auswirkungen auf das FX Risikomanagement hätte.
Diese Veränderungen ermöglichen Unternehmen mehr Flexibilität bei der Kapitalbeschaffung und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass digitales Zentralbankgeld das Potenzial hat, die Art und Weise, wie Unternehmen Finanztransaktionen tätigen und insbesondere ihre Zahlungen abwickeln, tiefgreifend zu verändern. Die Verbesserungen hinsichtlich Transaktionsgeschwindigkeit und -effizienz, Kosteneinsparungen und die Vereinfachung globaler Transaktionen könnten digitales Zentralbankgeld zu einer bahnbrechenden Innovation im Zahlungsverkehr und in der Interaktion mit Finanztransaktionspartnern machen.
Dabei ist es entscheidend, sich auch der möglichen Risiken und Herausforderungen bewusst zu sein, die mit der Einführung dieser neuen Technologie einhergehen. Unternehmen und insbesondere ihre Treasury-Abteilungen sollten sich daher eingehend mit diesem Thema befassen und sich auf diese potenzielle Umwälzung der Finanzlandschaft vorbereiten.
Disclaimer: Bitte beachten Sie, dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels der aktuell veröffentlichte Gesetzesentwurf zur Einführung des digitalen Euro noch nicht gewürdigt und ausgewertet werden konnte. Daher basieren alle Analysen und Schlussfolgerungen in diesem Artikel auf den bis dahin verfügbaren Informationen und können sich aufgrund von Änderungen in der politischen und regulatorischen Landschaft als veraltet oder ungenau erweisen. Eventuelle Änderungen oder Entwicklungen in der Thematik, die nach der Veröffentlichung dieses Artikels eintreten, wurden nicht berücksichtigt.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 134, Juli 2023
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Tobias Riehle, Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
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1 Im Gegensatz zu herkömmlichen Zahlungsmitteln wie Bargeld oder elektronischen Bankguthaben werden CBDCs auf einer technologischen Plattform wie einer Blockchain oder einem Distributed-Ledger-System ausgegeben und übertragen. Diese Technologien ermöglichen es, Transaktionen in Echtzeit abzuwickeln, Transparenz zu gewährleisten und die Sicherheit zu verbessern.
2 Smart Contracts sind selbstausführende Verträge, die auf einer digitalen Trägertechnologie wie zum Beispiel der Blockchain-Technologie basieren und ohne manuelle Eingriffe realisiert werden.
Nils A. Bothe
Partner, Financial Services, Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft