Bei einem Reverse-Factoring-Programm geht der Kunde von Waren- und Dienstleistungen mit seinem Lieferanten, neben der eigentlichen Leistungsbeziehung, eine weitere Vereinbarung ein. Im Zuge dieser Vereinbarung eröffnet der Kunde dem Lieferanten die Möglichkeit seine Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an einen Faktor zu veräußern. In der Regel verspricht sich der Kunde in dieser Dreierkonstellation eine engere Anbindung von strategisch wichtigen Lieferanten entlang der Lieferkette. Der Lieferant hingegen kann sein Leistungsentgelt vor der eigentlichen Fälligkeit der Forderung erhalten und bezahlt dafür typischer Weise Zinsen auf Basis der Bonität des Kunden. Aus diesem Grund sind solche Transaktionen insbesondere für Unternehmen relevant, die eine bessere Bonität als gegebenenfalls kleinere Lieferanten aufweisen. In diesen Fällen kann das liefernde Unternehmen, im Vergleich zur Aufnahme einer eigenen Kreditlinie, zinsgünstiger an liquide Mittel kommen.
Für das Kundenunternehmen ist hierbei die Auswirkung auf die bilanzielle Erfassung der Verbindlichkeit relevant. Vor einer Reverse-Factoring-Transaktion handelt es sich typischer Weise um trade liabilities (Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen). Zahlungen auf diese Verbindlichkeiten werden in der Regel im operativen Cashflow der Kapitalflussrechnung/KFR abgebildet. Je nach Ausgestaltung der Transaktion kann es im Bilanzausweis:
a) zu einer Fortführung der ursprünglichen Schuld als trade liability
b) zu einer Ausbuchung der ursprünglichen Schuld und der Erfassung einer other liability (als Schuld einer Finanzierung)
c) zu einem Nebeneinander von der ursprünglichen Schuld und einer other liability kommen.
Darüber hinaus hängt von der Ausgestaltung der Transaktion ab, ob:
a) die Auszahlung zur Begleichung der Schuld in der KFR weiterhin im operativen Cashflow des Kunden gezeigt wird
b) die Zahlung der Schuld durch das Factoring-Unternehmen in der KFR berücksichtigt wird und gegebenenfalls weitere Zahlungsströme in der Finanzierungstätigkeit des Kunden auslösen.
Die dargestellten Konsequenzen sind, durch die oft hohen Volumen der Reverse-Factoring-Transaktionen, in der Regel relevant für die Kennzahlen des Unternehmens (beispielsweise working capital). Darüber hinaus ergeben sich auf dieser Basis ergänzende Angaben im Anhang.
Die Transaktion wird in der Regel durch den Kunden oder Factor angestoßen. In der Praxis gibt es vielfältige Formen der Ausgestaltung von Reverse-Factoring-Transaktionen, die häufig zu einer Änderung der Vertragsbedingungen der ursprünglichen „Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen“ führt. Diese Änderung kann beispielsweise eine Verlängerung des Zahlungsziels, die Erklärung eines Einredeverzichts oder zusätzliche Zinszahlungen umfassen.
Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat am 26. Oktober 2021 eine neue Modulverlautbarung (IAS 1-M1) zu Zweifelsfragen der bilanziellen Abbildung von Reverse-Factoring-Transaktionen unter Berücksichtigung der im Dezember 2020 vom IFRS IC veröffentlichten Agenda-Entscheidung "Supply Chain Financing Arrangements – Reverse Factoring" verabschiedet. Mit Inkrafttreten wurden gleichzeitig bisherige Ausführungen des IDW RS HFA 48 (Abschn. 3.2.3.) und IDW RS HFA 9 (Abschn. 5.3.) aufgehoben. Die Modulverlautbarung thematisiert aus Perspektive des Kunden den Ausweis solcher Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen in der Bilanz, den Ausweis der Zahlungsströme in der Kapitalflussrechnung sowie die gegebenenfalls erforderlichen Angaben im Anhang im Zusammenhang mit Reverse-Factoring-Transaktionen. Ein von der BaFin für das Geschäftsjahr 2021 zusätzliche festgelegter nationaler Prüfungsschwerpunkt auf Reverse-Factoring-Programme, hat das Thema zusätzliche in den Fokus gerückt.
Anforderungen an Ausweis als „Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen“
Die ausstehende Reverse-Factoring-Verbindlichkeit eines Kunden gegenüber dem Factor kann nunmehr nur dann weiterhin als "Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen" (IAS 1.54(k)) ausgewiesen werden, wenn kumulativ folgende Kriterien erfüllt sind:
- es handelt sich um eine Verbindlichkeit ausschließlich zur Bezahlung von Waren und Dienstleistungen
- die Verbindlichkeit wurde vom Lieferanten in Rechnung gestellt und formell vereinbart
- die Verbindlichkeit ist Teil des im normalen Geschäftszyklus des Unternehmens genutzten Working Capital
In diesem Zusammenhang kommt den Ausstattungsmerkmalen der Schuldanerkenntnis des Kunden gegenüber dem Factor bei Forderungsübertragung des Lieferanten eine besondere Bedeutung zu. Liegt auf Basis der vertraglichen Ausgestaltungen ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis vor, mit dem lediglich die bestehende Schuld bestätigt wird, ohne dass sich andere Merkmale des Vertrags ändern? Sofern die Frage bejaht wird, ist die Schuldanerkenntnis ohne weitere Relevanz. Sofern die Frage verneint werden muss, ist zu prüfen, ob die vertragliche Ausgestaltung auf ein abstraktes Schuldanerkenntnis hinweist. Bei einem abstrakten Schuldanerkenntnis tritt, neben die weiterhin bestehende Verpflichtung des Kunden gegenüber dem Lieferanten, eine weitere Verpflichtung des Kunden gegenüber dem Factor auf. Eine solche neue Verbindlichkeit weist nicht die Merkmale einer „Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen“ auf.
Darüber hinaus sind auch weitere rechtliche Vorgaben zu beurteilen und gegebenenfalls mit besonderen Maßnahmen zu flankieren, um eine Verbindlichkeit aus Lieferung und Leistungen weiter fortführen zu können.
Neben der Würdigung des Schuldanerkenntnisses muss geprüft werden, ob durch die Reverse Factoring-Transaktion eine substanzielle Modifikation der ursprünglichen Verbindlichkeit erfolgt. Wird eine Verbindlichkeit substanziell modifiziert, kommt es zu einem Abgang der „Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen“ (IFRS 9.3.3.2) und zum Zugang einer Schuld gegenüber dem Factor. Die neue Schuld wird typischerweise nicht die Kriterien an eine „Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen“ erfüllen.
Liegt eine substanzielle Modifikation vor, ist regelmäßig eine Umgliederung in den Bilanzposten „finanzielle Verbindlichkeiten“ (IAS 1.54(m)) oder ein Ausweis als separater Posten (IAS 1.55) zu erwarten.
Fazit
Für den Bilanzausweis einer Reverse-Factoring-Transaktion wird im Modulentwurf IAS 1-M1 festgestellt, dass nach den allgemeinen Regeln des IFRS 9 im Einzelfall zu würdigen ist, ob die ursprüngliche Verbindlichkeit auszubuchen und eine neue Verbindlichkeit einzubuchen ist. Anschließend wird dargelegt, unter welchen Voraussetzungen weiterhin eine „Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen“ auszuweisen ist. Jedes Reverse-Factoring-Programm ist dahingehend individuell unter Berücksichtigung der vertraglichen Ausgestaltung zu analysieren.
Ihr Finanz- und Treasury Management Team steht Ihnen für einen Austausch sehr gerne zur Verfügung.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 120, April 2022
Autoren:
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Mangement, KPMG AG
Felix Wacker-Kijewski, Senior Manager, Finance and Treasury Management, KPMG AG