Künstliche Intelligenz durchdringt bereits heute in rasantem Tempo nahezu alle Lebensbereiche. Ob bei der Softwareentwicklung, in der Finanzanalyse oder der medizinischen Diagnostik, KI ist längst mehr als ein Zukunftsversprechen. Es wird schnell deutlich, wer die Zukunft mitgestalten will, kommt nicht darum herum, sich mit ihren Möglichkeiten, Chancen, aber auch Risiken auseinanderzusetzen. Aufgrund dieser Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten entwickelt sich Künstliche Intelligenz zu einem der zentralen Themen für Innovation und Effizienz im 21. Jahrhundert und gab uns den Anlass zu diesem Newsletter-Artikel.
Aktuell ist wohl ChatGPT das prominenteste und weit verbreitetste KI-Tool auf dem weltweiten Markt. Vor nicht allzu langer Zeit beliefen sich die Anwendungsbereiche eines solchen Tools auf allgemeine Textverarbeitung und einfache Fragenbeantwortung. Heutzutage dient es jedoch zunehmend als Schnittstelle, um komplexe Anwendungssysteme wie Programmierumgebungen, Automatisierungsplattformen oder Finanzanwendungen durch natürliche Sprache einfacher und effizienter zu bedienen.
Von diesem Trend und technologischen Fortschritt können auch Corporate Treasury-Abteilungen profitieren. Dabei stellt sich jedoch, besonders im Treasury-Bereich, immer wieder die Frage, wie hilfreich ein Tool wie ChatGPT tatsächlich im Umgang, gerade mit Systemen von Drittanbietern, sein kann. Das primäre Problem, dem man häufig gegenübersteht, liegt nicht in einem Mangel an programmiererischen Fähigkeiten der Entwickler, sondern vielmehr darin, dass der Chatbot keinen direkten Zugriff auf interne Systemdaten oder proprietäre bzw. herstellerspezifische Schnittstellen hat.
Dadurch kommt es zwangsläufig zu Anwendungs- und Effizienzproblemen, da relevante Informationen nicht automatisch verarbeitet oder in den richtigen Kontext gesetzt werden können. Zudem kommt es zu weiteren funktionalen Einschränkungen, da ein Großteil der Prozesse individuell konfiguriert und stark systemabhängig ist.
Die jedoch wahrscheinlich größten Bedenken in diesem Kontext werden mit dem Thema Datenschutz assoziiert. Der Einsatz einer externen KI im Umgang mit sensiblen Finanzdaten wirft berechtigte Fragen hinsichtlich regulatorischer Anforderungen und Datensicherheit auf (Navigating Consumer Data Privacy in an AI World, 2024).
Doch gerade weil das Bedürfnis nach intelligenter, dialogbasierter Unterstützung so groß ist und, um den besagten Problemen vorzubeugen, haben viele Software-Systemanbieter begonnen, eigene KI-Tools und Machine-Learning-Anwendungen direkt in ihre Systeme zu integrieren. Tools wie „Kyriba Trusted AI“ (TAI) oder ION-Treasury-Machine-Learning Features sollen Effizienz und Anwendungsfreundlichkeit steigern, bei simultaner Gewährleistung maximaler Datensicherheit (Cash Management AI Boosts Accuracy, Efficiency, & Foresight — Kyriba, 2025/ION Treasury Machine Learning, 2024).
Auch SAP integriert mit dem KI-Assistenten Joule intelligente KI-Funktionen in S/4 HANA, um Treasury-Prozesse sprachbasiert zu unterstützen. Es erscheint naheliegend, dass sich die verschiedenen KI-Lösungen in genereller Funktion stark überschneiden, da die grundlegenden Anforderungen der Nutzer systemübergreifend weitgehend identisch sind. Die Unterschiede liegen vielmehr in der jeweiligen Umsetzung, da jede Lösung spezifisch auf die individuelle Systemarchitektur und Softwareumgebung zugeschnitten ist und so eine möglichst effiziente Nutzung und nahtlose Integration im jeweiligen Systemkontext ermöglicht.
Die obige Liste mit SAP, ION und Kyriba ist nur ein Teilausschnitt der bestehenden KI-Treasury-Lösungen und hat somit keinen Anspruch auf eine vollständige Abbildung der Systemlösungen.
Definition und Abgrenzung
Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet im Allgemeinen Technologien, die Maschinen in die Lage versetzen, menschliches Verhalten wie Sprachverarbeitung, Entscheidungsfindung oder Problemlösung zu imitieren. Dabei handelt es sich nicht um ein einzelnes System, sondern um eine Kombination technischer Verfahren, die gemeinsam dazu dienen, komplexe Aufgaben zu bewältigen (Fraunhofer IKS, n.d.).
Ein zentraler Teilbereich der KI ist das Machine Learning (ML). Hierbei lernen Systeme eigenständig aus großen Datenmengen, indem sie Muster erkennen und daraus Entscheidungen ableiten, ohne dass dafür ein fester Lösungsweg vorgegeben wird. Die Leistung solcher Algorithmen verbessert sich kontinuierlich durch Wiederholung und wachsende Datenbasis (Google Cloud, 2025; Fraunhofer IKS, n.d.).
Entwicklungsstufen von AI im Treasury
Künstliche Intelligenz erhält zunehmend Einzug in Treasury-Systeme, befindet sich jedoch vielerorts noch in der Entwicklungsphase oder ist nur in ersten Ansätzen verfügbar. Erste Lösungen zeigen, wie KI vereinfachte Navigation in komplexen Anwendungen, schnellere Informationsbereitstellung, Transaktionsautomatisierung oder umfassende Analysen ermöglichen kann. Diese Anwendungsbereiche markieren die zentralen Entwicklungsrichtungen von KI im Bereich des Treasury, um dessen Prozesse in Zukunft effizienter zu gestalten.
Abb. 1: Entwicklungsstufen auf dem Weg zur autonomen Treasury-KI
Quelle: KPMG in Deutschland, 2025
Navigierende Funktionen
Die grundlegendste Entwicklungsstufe von KI im Treasury basiert auf navigierenden Features zur vereinfachten Systemanwendung und -orientierung. Egal, ob beispielsweise das Tool zur Anlage von Bankkonten, die Anzeige von bestimmten Kontosalden oder gezielte Cash Flows gesucht werden, mit Hilfe natürlicher Spracheingaben werden Nutzer direkt zu relevanten Modulen, Reports oder Transaktionen geleitet. Je nach Systemanbieter führt die KI den Nutzer direkt in das gewünschte Zielmodul, erstellt den passenden Link oder bietet einen anwenderfreundlichen Leitfaden, der Schritt für Schritt zum richtigen Bereich führt und idealerweise Hilfestellung bei der Bedienung darstellt. Dadurch entfällt die mühsame Suche in komplexen Menüstrukturen oder gar das Merken von Transaktionscodes.
Informativer KI Assistent
Auf dieser Basis Funktionalität aufbauend findet sich die nächste Entwicklungsstufe in der informationellen Anwendung wieder. Diese Art von KI hat die Fähigkeit, gezielt auf Fragen zu reagieren und zu antworten, wobei relevante Unternehmens- oder Marktdaten in strukturierter und verständlicher Form bereitgestellt werden können. Es dient als ein auf natürlicher Sprache basierendes Reporting-Tool, wodurch sich Informationen deutlich schneller und präziser abrufen lassen, ohne dass Nutzer zeitaufwendig in unterschiedlichen Treasury-Systemen und Reports suchen müssen.
KI ersetzt dabei nicht die zugrunde liegende Datenbasis, sondern fungiert als intelligenter Vermittler, indem sie vorhandene Daten leichter zugänglich, besser nutzbar und kontextbezogen interpretierbar macht.
Ein praxisbezogenes Beispiel wäre in diesem Fall ein Treasurer, welcher in Erfahrung bringen möchte, wie hoch die Auslastung seiner Kreditlinien in den kommenden drei Monaten ist. Anstatt eines Reportaufrufs oder gar mehrere Reports manuell zusammenzuführen, liefert ein KI-gestütztes Treasury-System unmittelbar eine klare Übersicht über die gewünschten Informationen.
Operativer KI-Assistent
Über die reine Informationsbereitstellung und die vereinfachte Navigation hinaus eröffnet Künstliche Intelligenz im Treasury eine dritte Ausbaustufe, welche auf transaktionalen und analytischen Eigenschaften beruht. Dabei geht es nicht mehr nur darum, Daten zugänglich zu machen oder den Weg zu bestimmten Modulen zu ebnen, sondern um die direkte Ausführung operativer Tätigkeiten. Freigaben, Buchungen oder auch die Anlage neuer Datensätze können so unmittelbar durch KI angestoßen und abgeschlossen werden. Dies geschieht selbstverständlich auf Basis eines klar definierten Regelwerks, Berechtigungen und Compliance-Vorgaben, welche im System vorher individuell festgelegt werden können.
In der Praxis könnte dies etwa so aussehen, dass ein Treasurer von seinem KI-basierten Treasury-Assistenten einen Hinweis darauf erhält, dass auf einem UK-Konto ungenutzte Liquidität vorhanden ist. Das System prüft automatisch die relevanten Investitionsrichtlinien, schlägt eine passende Maßnahme vor und führt die entsprechende Buchung nach Bestätigung direkt aus. Damit übernimmt die KI Tätigkeiten, die bislang manuell erfolgen mussten, und gestaltet ein effizienteres Arbeitsumfeld.
Darüber hinaus sollen große Datenmengen analysiert werden können, Muster erkannt und aus diesen, Prognosen oder konkrete Handlungsempfehlungen, abgeleitet werden. Die Ergebnisse werden visuell aufbereitet, sodass Risiken, Chancen und Auffälligkeiten schnell erkennbar sind und proaktiv Maßnahmen eingeleitet werden können.
Schauen wir beispielweise auf ein international tätiges Produktionsunternehmen, welches bemerkt, dass sich auf mehreren Auslandskonten hohe Guthaben angesammelt haben, während in der deutschen Hauptgesellschaft kurzfristig ein Liquiditätsengpass droht. Der verantwortliche User kann nun mithilfe des KI-Assistenten per Spracheingabe erfragen, wie die aktuelle Liquiditätssituation aller Gesellschaften aussieht und wie verfügbare Mittel optimal umgeschichtet werden können. Die KI analysiert in Echtzeit alle Kontostände, offene Forderungen und Verbindlichkeiten, erstellt eine grafische Übersicht und schlägt konkrete Umbuchungen vor. Auf Wunsch initiiert das entsprechende Tool darüber hinaus direkt die internen Transfers zwischen den Konten und gibt diese gemäß den hinterlegten Benutzereinstellungen automatisch frei. Das Ergebnis ist eine optimal und effizient verteilte Liquidität, nach nur wenigen Minuten und ohne dass Daten manuell zusammengetragen oder Zahlungen einzeln ausgelöst werden müssen. Zwar sind Teile solcher Aufgaben schon heute anhand von regelbasierten Regeln automatisierbar, allerdings wird die Interaktion und die Entscheidungsfindung durch KI noch weiter unterstützt.
Autonomes Treasury
Die finale Entwicklungsstufe von KI im Treasury sieht ein (fast) vollständig autonom operierendes System vor. Operative Aufgaben laufen selbstständig ab, während der Anwender nur noch als kontrollierende Instanz agiert und lediglich Statusreports erhält. Dies ist eine Vision des Treasury, welche effizient, selbststeuernd und nahezu ohne manuelle Eingriffe arbeitet. In einem der nächsten Artikel werden wir uns mit den hierfür benötigten Voraussetzungen intensiv beschäftigen.
Fazit
Die verschiedenen Stufen veranschaulichen die differenzierte Entwicklung von KI im Treasury. Diese Stufen bauen progressiv aufeinander auf und spannen gemeinsam den Bogen von reiner Informationsunterstützung bis hin zum „autonomen Treasury“.
Für alle Treasury Systeme gilt gleichermaßen, dass die Anwendungen der fortgeschritteneren Stufen derzeit noch nicht uneingeschränkt funktionsfähig sind. Zwar werben viele Anbieter bereits mit Lösungen, die Ausbaustufen von informationeller bis analytischer KI abdecken sollen, in der Praxis erweisen sich jedoch bislang fast ausschließlich Funktionen von informationeller und navigierender Art als uneingeschränkt nutzbar. Transaktionale und analytische Funktionen befinden sich meist noch in Pilotphasen oder auf Roadmaps, was ihre Implementierung in den Arbeitsalltag zum derzeitigen Zeitpunkt nur eingeschränkt sinnvoll erscheinen lässt.
Infolgedessen können wir festhalten, ein enormes Potenzial und vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für diverse Bereiche des Treasury identifiziert zu haben. Die Chancen sind vielfältig und bergen das Potenzial, langfristig erheblichen Mehrwert durch Effizienzsteigerung und Automatisierung zu schaffen.
Die Roadmaps der Anbieter und die von uns aufgezeigten Perspektiven skizzieren ein Bild von morgen, ein Treasury, das effizienter, intelligenter und autonomer arbeitet als je zuvor. Noch ist dieses Ziel nicht erreicht, doch es zeigt uns bereits die Richtung, in die es sich entwickelt. Die Lösungen von heute sind erste Schritte auf einem Weg, der uns in eine Zukunft führt, in der Vision und Wirklichkeit eines autonomen Treasury aufeinandertreffen.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 158, September 2025
Autoren:
Börries Többens, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Marvin Berning, Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Börries Többens
Partner, Financial Services, Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft