Zeiten politischer und ökonomischer Umschwünge wirken sich auf die Geschäftsmodelle von Unternehmen aus und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von M&A Aktivitäten. In einer makroökonomischen Lage mit eher rezessiven Tendenzen und fallenden Gewinnen sind in Industrieunternehmen dabei häufiger Carve-Outs anzutreffen. In derartigen Situationen findet sich die Treasury-Abteilung schnell inmitten einer zeitkritischen Umorganisation mit weitreichenden Implikationen auf Prozesse und Systeme wieder. Der folgende Artikel beschäftigt sich aus aktuellem Anlass mit derartigen Carve-Out-Situationen und legt dabei den Fokus auf eines der wesentlichen Themen, die Herstellung und Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit.

Im aktuellen Jahr erleben wir vermehrt externe Einflüsse mit hoher Wirkung auf Unternehmen: die Veränderung traditioneller Geschäftsmodelle z.B. im Energiesektor oder der Automobilindustrie, eine verschärfte Zollpolitik der USA, eine Ausweitung geopolitischer Konflikte (z.B. Fortsetzung des Ukraine-Krieges), höhere Investitionen in Verteidigung und rezessive Tendenzen, die sich auf langjährige Geschäftsmodelle auswirken. Für viele Unternehmen führt dies zu einem Veränderungszwang und Investitionsdruck, der finanziert werden muss. Sind gleichzeitig die Kapitalkosten hoch, und die Ertragslage gestresst, kann schnell eine Veräußerung von Geschäftsbereichen zur Debatte stehen, um die erforderliche Liquidität zu schöpfen und Investitionen und Veränderungsprozesse zu finanzieren. Dabei ist ein Verkauf oder Carve-Out nicht immer von langer Hand geplant, sondern kann als Portfoliobereinigung (Verkauf von "Non-Core-Assets") aus einer Notlage heraus erforderlich werden ("stressed divestiture"). Egal ob man als Treasurer mit dem Carve Out gerechnet hat, kalt davon erwischt wird oder sich bewusst in ein Carve-Out-Projekt begibt, muss man unter Zeitdruck effektiv zahlreiche Projektziele erreichen: 

  • die Eröffnung von Bankkonten zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit
  • die Sicherstellung eines effizienten und automatisierten Massenzahlungsverkehrs
  • die Planung und Steuerung der operativen Liquidität
  • den Aufbau einer Finanzierung, sofern dies nicht durch den neuen Eigentümer passiert
  • die Einführung oder Migration eines Treasury Management Systems 
  • die Migration von Bank-Geschäften und anderer Daten
  • die Ermittlung und Absicherung finanzieller Risiken (FX, Zinsen)
  • und viele andere mehr

Für eine Day-One-Readiness des Treasury (also die vollständige Einsatzfähigkeit der neuen Organisation ab dem Tag des Verantwortungsüberganges) ist die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit zur Verhinderung einer Insolvenz häufig das drängendste und wichtigste Thema und soll im vorliegenden Artikel betrachtet werden. Weitere Themen wie das Risikomanagement oder TMS-Systeme sind ebenfalls wichtig, stehen aber hier nicht im Fokus.

Typische Fehlannahmen

Für den Erfolg eines Zahlungsverkehrsprojektes sind die richtigen Weichenstellungen bei Projektstart entscheidend. In der Beratungspraxis treffen wir hier immer wieder auf Fehlannahmen, die den weiteren Verlauf des Projektes beeinträchtigen können, wie zum Beispiel:

Thema Fehlannahme
Projektorganisation Der Aufbau des Zahlungsverkehrs ist ein rein technisches Thema und die Umsetzung kann an die IT delegiert werden.
Komplexität Prozesse aus Altsystemen können einfach kopiert und übernommen werden.
Auslagerung Notfalls kann der Zahlungsverkehr an einen Dienstleister ausgelagert werden.
Staffing Der operative Zahlungsverkehr kann von Treasury-Team problemlos mitbetreut werden.
Bankkonten Sobald die Bankkonten einmal eröffnet sind, kann notfalls manuell gezahlt werden.

Alle Fehlannahmen haben gemeinsam, dass die Herstellung der Zahlungsfähigkeit häufig unterschätzt wird, was zu Problemen bei der Umsetzung führt.

Strategische Rahmenbedingungen & Projektaufbau

Beim Angang eines Zahlungsverkehrsprojektes sollte man sich zunächst über die involvierten Parteien auf der Seite des Käufers und Verkäufers und deren Renditeerwartungen (EK-Rendite) bewusst machen1:

  • Stiftung/Family Office: 7–10%
  • Traditionelles Corporate in Deutschland: 8–12 %
  • Private Equity Gesellschaft: 15–25 %

Private Equity (“PE“) Gesellschaften treten häufig als Käufer auf. Im Quervergleich zu möglichen anderen Eigentümern liegt ihr Fokus oft noch stärker auf der Optimierung von Finanzkennzahlen und Kostenstrukturen. Dies kann sich zum Beispiel auf die Aufbauorganisation auswirken, indem der PE-Investor daran interessiert ist, weniger Stammpersonal in Enabling Prozessen der neuen Beteiligung vorzuhalten und stattdessen auf Auslagerungen und Dienstleister setzt. Weiterhin sind für die Genehmigung von IT-Projekten Business Cases obligatorisch und ein engmaschiges Projekt-Reporting wird stärker eingefordert als von Industrieunternehmen oder Stiftungen. Ein PE-Eigentümer hat zudem üblicherweise einen umfangreicheren Bedarf hinsichtlich der Überwachung und Steuerung seiner Beteiligung bezüglich Liquiditätsbedarf, Working-Capital-Kennzahlen oder der Nettofinanzposition.

Neben der Art der Eigentümer wirken sich die Parameter des Kaufvertrages stark auf das Projekt aus. Der Vertrag regelt zum Beispiel, welche Partei die neue Organisation aufbaut, in welchem Maß der Verkäufer im Projekt Zuarbeit leistet und vor allem, wie lange das Projekt bis zum Zeitpunkt des Go-Live (also dem Übergang der operativen Verantwortung) läuft. Flankierend regelt ein “Transitional Service Agreement“ (TSA), ob und wie lange die IT-Infrastruktur des alten Eigentümers sowie seine zentralen Prozesse und Mitarbeiter der “New Company“ (NewCo) zur Verfügung stehen.

Abseits der Eigentümer können im Carve-Out-Projekt zahlreiche weitere Parteien hinzukommen:

  • IT-Dienstleister, welche die Migration begleiten
  • Treasury Systemhäuser
  • Beratungshäuser, die das Carve-Out-Projekt organisieren
  • Payment Service Provider für die Auslagerung von Payment Operations 
  • Payroll Service Provider für die Auslagerung von HR-Zahlungen
  • Künftige Auslagerungspartner im Bereich IT Dienstleistungen
  • weitere Freelancer oder Management-Beratungen
  • und natürlich Banken

In derart komplexen Projektsituationen sind einheitliche Unterlagen, eine saubere Kommunikation sowie die klare Auf- und Zuteilung von Verantwortlichkeiten unerlässlich, um im Projekt effizient zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus sollte das Treasury von Anfang an die eigenen Interessen in Bezug auf die Auswahl der passenden Partner vertreten:

  • Infrastruktur: Die Verwendung von IT-Systemen (ERP, TMS, Middleware, Payment Gateway) kann als IT-Strategie oder durch den Einkauf vorgegeben werden. Im Sinne einer einfacheren Umsetzbarkeit des Zahlungsverkehrs sollten Toolentscheidungen aber gegebenenfalls beeinflusst werden können (z.B. bei der Entscheidung über die Entwicklung von Zahlformaten als Alternative “Make or Buy“).
  • Banken: Die Auswahl der Häuser kann durch die Bankenstrategie der Eigentümer und Finanzierungsüberlegungen determiniert sein. Nach Möglichkeit sollte sie unbedingt hinterfragt werden, um auch für den Zahlungsverkehr das optimale Setup zu finden.
  • Grad der Zentralisierung: Eine weitere Grundsatzentscheidung betrifft den Grad der Zentralisierung im Zahlungsverkehr – sowohl im Bezug auf Zahlungsprozesse als auch die Freigabe von Zahlungen und die “Bank-Konnektivität“. Was soll dezentral und was zentral verantwortet werden?

Analysephase & Zielbild

Nach den grundlegenden Weichenstellungen im Projekt sollte zumindest eine kurze Analysephase stattfinden. Auch wenn die Zeit drängt und die Versuchung groß ist, direkt mit der Umsetzung loszulegen ist ausreichende Transparenz über den Ist-Zustand entscheidend, um blinde Flecken und spätere Überraschungen in der Umsetzung zu vermeiden.

Am Anfang sollte dabei ein solides Verständnis über die Ist Prozesse im Zahlungsverkehr und deren Zielbild gebildet werden. Existiert eine Payment Factory für externe Zahlungen oder ein Netting-Prozess für interne Zahlungen und sollen diese beibehalten werden? Welche Fremdwährungskonten bestehen und wie findet die “FX-Conversion“ statt? Finden Gehaltszahlungen intern statt oder sind diese an Dienstleister ausgelagert? Welche Cash-Pools und MT101-Vereinbahrungen bestehen für das Cash Management?

Um die richtigen Prioritäten für die Umsetzung und den Rollout zu treffen, sollten Ist-Daten über das historische Zahlungsverhalten pro Land ermittelt werden. Auf Basis der historischen Transaktionsvolumina pro Land kann am besten entschieden werden, in welchen Ländern ein automatisierter Zahlungsverkehr im Sinne des Pareto-Prinzips (80% vs. 20%) am wichtigsten ist.

Neben den besagten 80% des Massenzahlungsverkehrs sollte dennoch eine Bestandsaufnahme mit den wichtigsten Ländern stattfinden, um lokale Prioritäten und Sonderfälle zu verstehen und spätere Eskalationen (z.B. durch lokale Finance Manager und CFOs) zu vermeiden. So kann es sein, dass in den USA ein “Cheque Printing Program“ migriert werden, in China ein Prozess für das regulatorische Reporting mit “Supporting Documents“ aufgesetzt werden muss oder in UK der Aufbau eines Lastschriftverfahrens “BACS Direct Debit“ für den Einzug von debitorischen Forderungen notwendig ist, um nur einige lokale Sonderfälle zu nennen.

Technische und organisatorische Umsetzung

Sofern die Vorarbeit der Analysephase, Grundsatzentscheidungen und Stakeholder-Analyse geleistet wurde, sind die Aussichten einer erfolgreichen Umsetzung gut. Das Vorgehen beim Aufbau des Zahlungsverkehrs folgt dabei stark den üblichen Schritten und soll nur in Grundzügen beschrieben werden.

Jede Umsetzung startet mit Gesprächen mit Banken hinsichtlich der Eröffnung von Konten (Know Your Customer-Prozess, KYC), der Einrichtung von Bankverbindungen (SWIFT, EBICS oder H2H) bis hin zur Bereitstellung von Formatspezifikationen. Typischerweise wird mit dem Headquarter der Banken ein übergreifender Projektplan abgestimmt und die Details der Umsetzung pro Land mit bankseitigen “Implementation Managern“ besprochen.

Basierend auf den Vorgaben der Banken werden pro Land und Zahlart Zahlformate im ERP oder TMS entwickelt, sofern keine Formatbibliothek genutzt wird. Danach werden Zahlläufe angelegt und die entwickelten Zahlformate mehrfach getestet: durch die Entwickler (“Developer Test“), durch den Fachbereich (“User Acceptance Test“, UAT oder “Volume Test“) sowie als Echtzahlungen nach Go-Live (“Productive Verification Test“, PVT oder “Penny Test“). 

Parallel zur Entwicklung der Zahlformate müssen für die Herstellung der technischen Zahlungsfähigkeit weitere technische Voraussetzungen geschaffen werden, wie die Konfiguration der Stammdaten in ERP und TMS (Bankstammdaten, Bankkonten, G/L Konten, Approver) oder die Einrichtung der relevanten Systemverbindungen. Analog zum Versand der Zahldateien muss auch weiterhin der Empfang von Kontoauszügen und deren automatische Verbuchung auf Sachkonten organisiert werden. Daneben sind gegebenenfalls für die Teams “Accounts Payables“ und “Accounts Receivables“ sowie die Freigabeberechtigten entsprechende Rollen und Rechte im TMS/ERP erforderlich.

Wurde der Go-Live nach einer sauberen Vorbereitung überstanden, schließt sich typischerweise eine Hypercare-Phase mit regelmäßigen Terminen zu businesskritischen Ländern an. Dabei müssen technische Probleme und “Defects“ auf der Produktionsumgebung nicht selten integrativ mit Entwicklern, dem TMS-Anbieter, dem IT-Basis-Betrieb und den Banken gelöst werden.

Stolpersteine, Risiken und Abhängigkeiten

Neben den konkreten Schritten der Umsetzung garantiert vor allem die Erfahrung aus anderen Projekten den Erfolg eines Zahlungsverkehrsprojektes. Beispielhaft sollen einige typische Fallstricke genannt werden, die vermieden werden müssen:

  1. Rechtsabteilung: Für die Eröffnung von Bankkonten muss die Eintragung neuer Gesellschaften durch die Rechtsabteilung rechtzeitig abgeschlossen werden. 
  2. Buchhaltung: Die Definition des Kontenstamms, der Sachkonten pro Bankkonto und die Zuleistung im UAT müssen rechtzeitig eingefordert werden.
  3. Projektrisiken: Das Management sollte über wesentliche Risiken im Zahlungsverkehr in Kenntnis gesetzt werden, wie das Risiko der Zahlungsunfähigkeit, Betrugsrisiken, und drohende Strafen bei Datenschutzverletzungen. 
  4. Bankkontenliste: Eine Liste aller Daten zu Bankkonten ist ein wesentliches Arbeitsmedium des Projektes. Die Bankkontenliste sollte stets aktuell sein, allen Projektmitgliedern zur Verfügung stehen und von Anfang an vollständig sein. Die Erfassung kann theoretisch bereits im TMS (Treasury Management System) oder einem Bank Account Manager (BAM) erfolgen.
  5. Avise: Voll zahlungsfähig ist ein Unternehmen nur dann, wenn auch die Liquidität dort zur Verfügung steht, wo sie gebraucht wird. Dazu müssen Zahlungen mit einer kurzfristigen Liquiditätsvorschau oder internen Avisen für die Disposition antizipiert werden und Cash Pools eingerichtet werden. 
  6. Sicherheit: Ein profundes und abgestimmtes Rollen-und-Rechte-Konzept unter Berücksichtigung der Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips und mehrerer Faktoren zur Authentisierung ist die Voraussetzung für die Sicherheit im Zahlungsverkehr.
  7. Know How Transfer: Spezifika zum lokalen Zahlungsverkehr müssen mittels professioneller Handover-Sessions oder Work-Shadowing übergeben und dokumentiert werden, sofern nicht die entsprechenden Mitarbeiter von der “NewCo“ übernommen werden.

Fazit

Die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit im Zuge eines Carve-Out ist kein einfaches Unterfangen. Es ist vielmehr geprägt durch eine hohe Komplexität, einen hohen Umsetzungsaufwand und technische Hindernisse – meist unter enormem Zeitdruck. Dennoch kann eine Treasury-Abteilung die Herausforderung erfolgreich meistern, wenn sie sofort ab Projektstartdie Initiative ergreift, mit einer robusten Ist-Analyse alle neuralgischen Punkte identifiziert und die richtigen Prioritäten setzt. Wenn Sie beim Management interner und externer Stakeholder im “Driver Seat“ bleibt sowie Dienstleister und Banken professionell ins Projekt involviert, kann die Zahlungsfähigkeit rechtzeitig sichergestellt werden. Wenn sie darüber hinaus die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der späteren Aufbauorganisation klar regelt, kann der Massenzahlungsverkehr auch im späteren Betrieb zuverlässig und sicher ablaufen.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 157, August 2025
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Sascha Uhlmann, Senior Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG

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1 Die genannten Prozentwerte sind dabei nur Anhaltpunkte oder subjektive Erfahrungswerte für Unternehmen in Deutschland und nicht durch Quellen belegt. Sie können je nach Region und der makroökonomischen Lage nach oben oder unten variieren.