Die Globalisierung gerät zunehmend unter Druck. Das Wiedererstarken protektionistischer Tendenzen und zunehmend national ausgerichteter Wirtschaftsstrategien führen weltweit zu geopolitischen Spannungen und Handelskonflikten. Nicht zuletzt die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und der damit verbundene Richtungswechsel in der internationalen Handelspolitik hat vielen Unternehmen vor Augen geführt, welche Dynamik solche politischen Ereignisse in kürzester Zeit entwickeln können. Zölle, Exportbeschränkungen und staatliche Eingriffe gewinnen an Bedeutung – mit direkten Folgen für international tätige Unternehmen. Für das Corporate Treasury bedeutet diese Entwicklung neue Unsicherheiten: Globale Zahlungsströme, Finanzierungsketten und das Risikomanagement stehen vor wachsenden Herausforderungen. In einem immer stärker fragmentierten Marktumfeld gewinnt es an strategischer Bedeutung – als entscheidende Schnittstelle, um finanzielle Stabilität und Handlungsfähigkeit des Unternehmens nachhaltig abzusichern. In diesem Teil 2 unserer Serie „Treasury goes International“ (erster Teil in Ausgabe 148 - Treasury goes International - KPMG in Deutschland) möchten wir daher unseren Blick darauf richten, was der globale Trend zum Protektionismus konkret für das Treasury bedeutet und welche Weichen jetzt gestellt werden sollten.
Der Trend zum Protektionismus und seine Folge für die Märkte
Während noch vor einigen Jahren der Trend zur Globalisierung kontinuierlich und unaufhaltsam schien, zeichnet sich in der aktuellen Geopolitik ein zunehmend differentes Bild. Die „America First“ Marschroute der USA unter Donald Trump, aber auch die darauffolgenden Reaktionen der EU und der asiatischen Staaten resultierten in diversen Regelungen und Maßnahmen zur Stärkung der jeweils „eigenen“ Wirtschaft. Jene protektionistischen Maßnahmen, wie beispielsweise Zölle und Handelsbarrieren, verändern die Spielregeln im Handlungsfeld der Corporate Treasury Abteilungen massiv. So lässt sich beispielsweise eine Verlagerung von Handelsströmen und eine erhöhte Unsicherheit bei der Planung von Cashflows, der kurzfristigen Dynamik von Wechselkursen, oder aber auch der Entwicklung der regulatorischen Landschaft beobachten. Mit der Veränderung von Handelsströmen können neue Währungsrisiken entstehen. Das Corporate Treasury muss daher effektive Strategien zur Absicherung dieser neu entstandenen FX-Risiken entwickeln, um die finanziellen Auswirkungen zu minimieren.
Protektionistische Maßnahmen können außerdem gestörte Lieferketten und Handelsumwege zur Folge haben, was wiederum zu volatileren Rohstoffpreisen und steigenden Logistikkosten führen kann. Diese Faktoren erschweren die Planung und erfordern eine flexible und reaktionsschnelle Finanzstrategie, um Finanzierungskosten im Griff zu behalten und die Rentabilität zu sichern. Politische Entscheidungen sind in deutlich abnehmendem Maße planbar, was die Erstellung von zuverlässigen Forecasts erschwert. Folglich muss das Corporate Treasury in der Lage sein, schnell auf Veränderungen zu reagieren und alternative Szenarien zu entwickeln, um die finanzielle Stabilität des Unternehmens zu gewährleisten.
In Emerging Markets können Sanktionen und Kapitalverkehrskontrollen darüber hinaus die Liquiditätsdisposition erheblich erschweren. Protektionistische Maßnahmen wie die Einschränkung grenzüberschreitender Kapitalflüsse, lokale monetäre Rückführungspflichten oder Devisenbewirtschaftung führen dazu, dass liquide Mittel nicht mehr frei zwischen Gesellschaften innerhalb eines Konzerns verschoben werden können. Dies beeinträchtigt die zentrale Steuerung von Zahlungsströmen, erhöht die Abhängigkeit von lokalen Finanzierungsquellen und erschwert die Optimierung von Cash-Pools auf globaler Ebene. Gleichzeitig steigt das Risiko von Liquiditätsengpässen in einzelnen Regionen, da zentrale Treasury-Funktionen zunehmend in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden. Innovative Lösungen sind daher von Unternehmen gefragt, um ihre Liquidität zu sichern und gleichzeitig die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen. Die steigende Komplexität im regulatorischen Umfeld, einschließlich nationaler Meldepflichten und Exportbeschränkungen, stellt zusätzliche Herausforderungen dar. Beispiele für eine zunehmende regulatorische Komplexität können eine Einschränkung von Kapitalflüssen ins Ausland, Exportbeschränkungen, aber auch eine Zunahme an nationalen Melde- und Berichtspflichten sein. Dadurch entstehen für das Treasury nicht nur mehr lokale Prozesse, zusätzliche Genehmigungspflichten und höhere Dokumentationsanforderungen, sondern auch schwierigere zentrale Bankbeziehungen oder die Einführung von zentralen Cash-Management Strukturen. Neuste Entwicklungen sollten daher kontinuierlich im Blick behalten werden, damit vom Corporate Treasury sichergestellt wird, dass alle Compliance-Anforderungen erfüllt werden.
Zusätzlich zu den geopolitischen Spannungen spielt auch der technologische Wandel eine Rolle. Geopolitische Konflikte können Handelsbeziehungen destabilisieren, während technologische Innovationen neue Möglichkeiten und Risiken für das Treasury schaffen. Es bedarf aus diesem Grund einer gezielten Analyse der aktuellen Finanzstrategien und gegebenenfalls eine Anpassung an die neuen geopolitischen Realitäten. Um Handelszöllen, Exportkontrollen und Investitionsbarrieren effizient zu begegnen, müssen Finanzströme international flexibel steuerbar sein und gegebenenfalls neue Abwicklungswege erschlossen werden. Dank des technologischen Wandels bietet sich der Treasury-Abteilung heutzutage ein breites Spektrum an Instrumenten, welches von der Nutzung digitaler Zahlungsinfrastrukturen, über KI-gestützte Risikoanalysen bis hin zu Blockchain-basierten Transaktionsmodellen reicht. Die gezielte Analyse der Sinnhaftigkeit einzelner Lösungen ist dabei entscheidend, um Innovationen nicht nur als Effizienztreiber, sondern auch als strategische Antwort auf die veränderten Umweltbedingungen zu verstehen. Insgesamt erfordert der zunehmende Protektionismus ein anpassungsfähiges Finanzmanagement unter Berücksichtigung von Szenarien und mit einer agilen Herangehensweise, um in einem sich schnell verändernden Umfeld auch langfristig erfolgreich zu sein und die Stabilität des Unternehmens zu sichern.
Navigation in unsicheren Gewässern - Konkrete Hebel für das Corporate Treasury
Die generelle Marschroute ist somit klar gesetzt – doch die Frage nach konkreten Hebeln für eine wirksame Navigation in diesem unsicheren Fahrwasser beschäftigt viele Treasury Abteilungen. Während politische Unsicherheiten und wirtschaftliche Volatilität die Planungssicherheit auf globaler Ebene einschränken, bleibt es zentrale Aufgabe des Treasury, Liquidität, Zahlungsfähigkeit und finanzielle Flexibilität unter allen Bedingungen zu gewährleisten. Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist dabei die Fähigkeit, geopolitische Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren und deren potenzielle Auswirkungen auf Finanzströme, Bankbeziehungen und regulatorische Anforderungen zu analysieren. Es reicht nicht mehr aus, nur operativ auf Risiken zu reagieren – vielmehr ist ein proaktives, strategisch eingebettetes Treasury gefragt, das als Stabilitätsanker in einem volatilen Umfeld fungiert. Dabei bieten sich mehrere konkrete Ansatzpunkte, um dieser Rolle gerecht zu werden:
Szenarioplanung und geopolitische Stress-Tests im Liquiditätsmanagement
Wer behauptet, er habe die geopolitischen Entwicklungen seit Beginn der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump genauestens vorhergesehen, dem wäre wohl wenig Glauben zu schenken. Gerade in diesen unvorhersehbaren Zeiten liegt eine zentrale Aufgabe des Treasury in der systematischen Risikoprävention. Szenario-Planungen und geopolitische Stress-Tests können dabei helfen, potenzielle Schocks wie Handelsrestriktionen, Sanktionen oder Kapitalverkehrskontrollen zu quantifizieren und so in die Liquiditätsplanung zu integrieren. Entscheidend ist, nicht nur einzelne Risiken isoliert zu bewerten, sondern deren Wechselwirkungen im Rahmen von multidimensionalen Stresstests zu analysieren. So lassen sich Handlungsspielräume identifizieren und frühzeitig Maßnahmenpläne entwickeln.
Flexibilisierung der Finanzierungsstruktur – lokale Optionen als Plan B
Ein weiterer Stabilitätshebel ist die Flexibilisierung der Finanzierungsstruktur. Internationale Unternehmensgruppen, die bislang stark auf zentrale Finanzierung via Intercompany Loans oder konzerninterne Cash Pools gesetzt haben, könnten bei einer zunehmenden Verschärfung von Sanktionen und Restriktionen unter Druck geraten. In einem solchen Szenario gewinnen lokale Finanzierungsmöglichkeiten, wie beispielsweise solche über lokale Kreditlinien oder regionale Kapitalmärkte, an Bedeutung. Sie fungieren als strategischer Plan B, insbesondere in Märkten mit erhöhtem geopolitischem Risiko oder beschränktem Kapitalverkehr.
Risikodiversifikation bei Banken- und Währungsbeziehungen
Bereits im ersten Artikel unserer Reihe zur Internationalisierung im Treasury haben wir die Komplexität einer Bankenstrategie im internationalen Kontext erwähnt. Die aktuellen protektionistischen Bewegungen in der Weltwirtschaft erhöhen auch in diesem Bereich die Notwendigkeit robuster Diversifikationsstrategien. Die Konzentration auf einzelne Finanzpartner oder Währungen kann in einem geopolitisch fragmentierten Umfeld zur Achillesferse werden. Eine breite Aufstellung – sowohl hinsichtlich der Bankpartner als auch der verwendeten Zahlungswährungen – erhöht die operative Handlungsfähigkeit und reduziert die Abhängigkeit von einzelnen Regionen oder politischen Entwicklungen. Es ist gleichzeitig zu beachten, dass mit der Hinzunahme von Bankenpartnern auch eine Erhöhung der Komplexität (beispielsweise im Bereich der Zahlungsverkehrsformate) einhergehen kann. Für die Treasury Abteilung gilt es daher, die Kosten- und den Nutzen beider Optionen (das heißt erhöhte Flexibilität durch breite Bankenlandschaft vs. Effizienzgewinne durch Fokussierung auf wenige Kernbanken) sorgfältig abzuwägen.
Resilienz durch Daten & Digitalisierung: Echtzeit-Transparenz als Frühwarnsystem
Wie so häufig gilt auch im Treasury: qualitativ hochwertige Vorhersagen lassen sich nur dann treffen, wenn eine umfassende, zuverlässige Datenbasis zur Verfügung steht. Echtzeit-Transparenz über globale Cash-Positionen, Exposure-Strukturen und Kontrahentenrisiken ist dabei kein „Nice-to-have“ mehr, sondern eine Voraussetzung für Resilienz. Zentrale Herausforderung ist dabei, die erforderlichen Informationen an geeigneter Stelle zu aggregieren. Nicht selten sind die Quellen dieser Informationen über verschiedene Zuständigkeitsbereiche und Systeme verteilt. Die Treasury-Abteilung kann in diesem komplexen Datenkonstrukt eine Schlüsselrolle einnehmen, indem sie sämtliche Informationen in einem Treasury-Management-System zusammenführt und auswertet. Nur so können Lösungen wie Predictive Analytics oder automatisierte Alerts ihre volle Wirkung entfalten und datenbasierte Entscheidungen ermöglichen – auch unter Zeitdruck.
Corporate Governance stärken: Treasury als strategische Schnittstelle
Nicht zuletzt kommt dem Treasury eine immer wichtigere Rolle in der Governance-Struktur eines Unternehmens zu. Das Treasury entwickelt sich zunehmend zur strategischen Drehscheibe zwischen CFO, Risikomanagement und operativen Einheiten. Durch regelmäßige Risk & Opportunity Reviews mit den Business Units kann es geopolitische Entwicklungen nicht nur technisch übersetzen, sondern aktiv in die Unternehmensstrategie einbringen. So wird das Treasury zum integralen Bestandteil einer agilen und resilienten Governance-Struktur.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in einer zunehmend fragmentierten und politisch volatilen Welt das Corporate Treasury vor immer komplexeren Herausforderungen steht. Internationale Märkte, steigende FX-Risiken und volatile Rohstoffpreise erfordern ein agiles und vorausschauendes Liquiditäts- und Risikomanagement. Das Treasury muss heute durch gezielte Szenarioplanung, flexible Finanzierungsstrukturen und den Ausbau digitaler Transparenz mehr denn je als Stabilitätsanker fungieren. Dabei geht es mittlerweile nicht mehr nur um Skalierung und Effizienz, sondern vor allem um die Fähigkeit, sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Der nächste Protektionismus-Schub kommt möglicherweise schneller als viele erwarten. Deshalb ist es für das Treasury unerlässlich, proaktiv und strategisch vorbereitet zu sein. Nur so kann es als stabiler Anker agieren, Risiken effektiv managen und Chancen in einem volatilen internationalen Umfeld nutzen.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 156, Juli 2025
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Karin Schmidt, Senior Managerin, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Nils A. Bothe
Partner, Financial Services, Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft