In der letzten Ausgabe des KPMG Corporate Treasury Newsletters vom April 2025 wurde bereits eingehend die Fragestellung analysiert, wann sich eine Kreditversicherung im operativen Credit Management lohnt und wie ein Risikoportfolio gesteuert werden kann.
In diesem Beitrag zeigen wir nun technische Lösungen für das Credit Management auf und analysieren, wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) die Prozesse in diesem Bereich in Zukunft verändern kann.
Vom Bauchgefühl zur Datenintelligenz
Ziel eines digitalen Credit Management ist es eine Informationsbasis zu schaffen, die es jederzeit ermöglicht ein Risiko zu bewerten und ausgehend davon Entscheidungen zu treffen. Um gegenüber manueller Bearbeitung in gleicher Zeit mehr Entscheidungsfindungen zu ermöglichen ist es bewährt, dass Daten in einer Softwarelösung aggregiert, analysiert und visualisiert werden – im besten Fall automatisiert, sodass benötigte Informationen unaufgefordert angezeigt werden, sobald sich Änderungen ergeben und der Prozess des Nachfragens wegfällt. Technische Lösungen zeigen, wie sich Debitoren auf Ratingklassen verteilen und wie sich wichtige Kennzahlen über die Zeit entwickeln. Zusätzlich helfen sie mit automatisierten Abläufen, die individuell anpassbar sind und Ihre Prozesse einfacher machen. Die Kombination aus Markterfahrung und gezielter Datenanalyse bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Credit Management Software. Im Hinblick auf das Risikoprofil eines Debitors ist auch eine differenzierte Betrachtung erforderlich, um beispielsweise Neukunden von Bestandskunden in der Bewertung zu unterscheiden, da unterschiedlich detaillierte Informationsgrundlagen in die Bewertung einfließen können. Im Rahmen des Aufbaus geeigneter Informationsbasen für einzelne Branchen sind Datenlieferanten ein Anknüpfungspunkt, die über ihre Schnittstellen, unterstützt durch eine Credit Management Software, entsprechende Daten zur Verfügung stellen. Diese Daten können wiederum im eigenen Kontext gewichtet werden, um entsprechende Risikoscores der eigenen Debitoren vorzunehmen. Insofern bieten moderne Lösungen hier den Vorteil, die individuelle Kreditpolitik maßgeschneidert abzubilden und flexibel anpassbar zu halten. Zusammenfassend zahlt der Einsatz einer Softwarelösung somit auf das Unternehmensergebnis ein, da Sie die Trennschärfe Ihres Risikoportfolios gemäß individueller Kreditpolitik automatisiert umsetzen.
Lernen für die Zukunft
Welche Rolle spielt nun KI im Kontext einer solchen Software für das Credit Management? Eine klassische operative Lösung setzt die individuellen Anforderungen der Kreditpolitik eines Unternehmens um und stellt automatisiert die Qualität und Aktualität der Informationen sicher, damit fundierte Entscheidungen getroffen, Maßnahmen ergriffen und Fehler vermieden werden können. Da die Menge an Daten, die heute zur Entscheidungsfindung herangezogen wird, stetig wächst, bietet sich im Credit Management KI an, um klassisch manuell evaluierte Regeln nun durch ein Modell als Ergebnis eines Trainings auf den verfügbaren Daten lernen zu lassen. Dies bietet den Vorteil, dass Regeln und Muster, die bisher in individuellen Kreditpolitiken durch Expertise abgebildet wurden, nun auf Basis der eigenen objektiven Daten entstehen können und der Aufwand diese zu identifizieren automatisiert werden kann. Damit rücken Anforderungen an die Datenqualität stark in den Vordergrund, welche sich im Allgemeinen zusätzlich zur Entwicklung von KI-Strategien im Credit Management positiv auf das Informationsmanagement in Unternehmen auswirken können1. Über die klassische Ist-Analyse hinaus bietet KI des Weiteren das Potenzial, auch Aussagen über die Zukunft zu treffen und durch generative KI auch manuelle Routinetätigkeiten zu automatisieren, die bislang zu komplex schienen. Dabei ist entsprechend des Prozesses in einer Software für das Credit Management zu betrachten, welche Aufgabe die KI unterstützt. Ist es eine Bewertung strukturierter Daten, so eignet sich maschinelles Lernen zum Training eines Modells, während sprachbezogene Aufgaben, wie das Zusammenfassen von Texten oder Extrahieren von Informationen aus einem Text durch Sprachmodelle (beispielsweise Mistral Large oder GPT-4o) abgebildet werden können. Ein konkretes Beispiel für die Nutzung ist die Risikoanalyse auf Basis von Texten, wie etwa Nachrichtenartikel, Social-Media-Beiträge und andere öffentlich zugängliche Unternehmensveröffentlichungen, die bisher manuell ausgewertet werden mussten. Auf diese Weise eröffnen sich Wege nicht nur neue Informationen in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, sondern diese auch direkt automatisch erfassen zu können.
Der Mensch als Entscheidungsträger
Wie in der Softwarebranche üblich, hängt auch der Erfolg einer Software für das Kreditmanagement generell von der Benutzerfreundlichkeit für den Endanwender ab. Im Wandel einer Transformation des Credit Management basierend auf dem Einsatz von KI innerhalb einer Software steht dabei nicht allein die automatisierte Entscheidungsunterstützung im Fokus, sondern auch deren Nachvollziehbarkeit und Transparenz. Hier gilt es, Verfahren und Erklärungsmodelle so einzusetzen, dass sie für Endanwender nachvollziehbar sind. Der EU AI Act legt hier nah, dass durch Schulungen von Mitarbeitern sichergestellt werden soll, dass sowohl die Potenziale, aber auch die Grenzen von KI-basierten Outputs bewusst sind. Der Mensch spielt also klar auch weiterhin eine zentrale Rolle im Credit Management, jedoch wird sich seine Tätigkeit selbst verändern. Während bisher auch die aufwändige Informationsbeschaffung, Recherche sowie Prüfung von Informationen im Tätigkeitsumfeld lag, bietet KI das Potenzial, genau diese Aufgaben in einem Bruchteil der bisher benötigten Zeit so individuell aufzubereiten, wie es ein Kreditentscheider wünscht. Ein Kreditentscheider kann dementsprechend KI nutzen, um die benötigte Informationsbasis zu schaffen, sodass seine zu treffenden Entscheidungen nachvollziehbar bleiben und wesentlich schneller getroffen werden können.
Fazit: Wie kann die Zukunft des Credit Management aussehen?
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Softwarebasis im Credit Management gar keinen umfassenden Wandel erfahren muss, da diese bereits heute sicherstellt, dass eine prozessorientierte Datenstrategie verfolgt werden kann, die den Grundstein für den erfolgreichen Einsatz von KI bildet. Inwieweit eine Software jedoch auch in Zukunft automatisierte Entscheidungen treffen darf, hängt weiterhin von den zugewiesenen Kompetenzen bzw. regulatorischen Restriktionen ab. Die Erfahrung mit und auch das Verständnis von KI werden hier also Treiber für Vertrauen und damit auch für die Gestaltung des Einsatzes zur Transformation klassischer Prozesse im Credit Management sein. Aus heutiger Sicht ist daher davon auszugehen, dass auch in der Software die Zukunft Zug um Zug gestaltet wird – durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Prozesse und den gezielten, schrittweisen Einsatz von KI als strategischem Mitspieler.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 154, Mai 2025
Gastautor:
Dr. Tobias Vinhoven, Product Owner AI,
Prof. Schumann GmbH
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1 Quelle: https://klardenker.kpmg.de/der-schluessel-fuer-geschaeftserfolg-hochwertige-daten/ (Abgerufen am 11.04.2025)
Die Ansichten und Meinungen in Gastbeiträgen sind die des Verfassers und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten und Meinungen von KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Aktiengesellschaft nach deutschem Recht.
Nils A. Bothe
Partner, Financial Services, Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft