Seit längerer Zeit beschäftigen wir uns mit den Herausforderungen angewandter Statistik. 

Als Berater und Prüfer analysieren wir immer wieder Einschätzungen eines Managements, die, mit Mathematik und Daten untermauert, als unzweifelhaft dargestellt werden. Während Mathematik und Daten in der Regel zwingend benötigt werden, um Meinungen von Analysen zu unterscheiden, so gibt es doch auch einige Fallstricke. Das gilt selbst bei so trivialen Themen wie mathematischen Durchschnitten. Da das Thema immer wieder aufkommt, seien kurz zwei Anwendungsfälle skizziert.

Bei der „stage migration“ („Will Rogers“-Phänomen) geht es um Analysen von Durchschnitten im (Zeit-)Vergleich. Stellen Sie sich vor, Sie seien Portfoliomager und hätten zwei Portfolien A und B. In Portfolio A befinden sich zwei Wertpapierklassen mit einer Rendite von 2% und 3% (im Durchschnitt also 2,5% Rendite), im Portfolio B befindet sich nur eine Wertpapierklasse mit einer Rendite von 1% (wenig überraschend entspricht das auch der Durchschnittsrendite). Wenn Sie nach der Entwicklung der durchschnittlichen Renditen Ihrer Portfolios bezahlt werden, aber keinerlei Einfluss auf die tatsächliche Rendite nehmen (können), gibt es eine einfache Möglichkeit Ihren Zielen doch etwas näher zu kommen: Sie nehmen die Wertpapierklasse mit 2% Rendite aus Portfolio A und legen es in Portfolio B ein. Der Durchschnitt von Portfolio A steigt daraufhin (von 2,5% auf 3%) und der Durchschnitt von Portfolio B steigt ebenfalls (von 1% auf 1,5%). Beide Portfolien sind also rentabler geworden, ganz ohne das auch nur ein EUR mehr verdient wurde. Den Effekt findet man auch in unterschiedlichen Analysen von Zeitreihen, da Daten häufig über Durchschnitte oder andere statistische Größen verdichtet und im Zeitablauf interpretiert werden. Bei Finanzinstrumenten kann dies beispielsweise die Herleitung von Kreditrisiken für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen mittels historischer Daten betreffen (beispielsweise im expected credit loss-Modell des IFRS 9). 

Noch deutlich häufiger kommt es bei der Anwendung der Effektivzinsmethode (als Folgebewertungskonzept für Finanzinstrumente, beispielsweise finanzielle Schulden) zu einem Fehler aus der mangelnden Unterscheidung zwischen arithmetischen und geometrischen Durchschnittswerten. Die Unterscheidung ist insbesondere bei denjenigen Fällen wichtig, bei denen aktualisierte und veränderte Zahlungsströme mit einem bereits berechneten Effektivzins diskontiert werden müssen (beispielsweise bei Änderung der Tilgungserwartung über IFRS 9 B5.4.6 oder bei dem „substantial modification“-Test über IFRS 9 B3.3.6). Die Herausforderung liegt darin, dass die ergebniswirksame Auswirkung ganz erheblich sein kann und gegebenenfalls unmittelbar bei Überschreitung eines Schwellenwerts einsetzt (IFRS 9 B3.3.6). Gleichzeitig muss die Berechnung auf den Zeitpunkt der vertraglichen Änderung erfolgen und dieser stimmt nicht zwingend mit einem Zinstermin überein. Da der Effektivzins ein Durchschnittszins ist, der sich aus allen Zahlungsströmen des Vertrags ergibt (beispielsweise also auch ein Disagio und Transaktionskosten berücksichtigt) sind grundsätzlich die verschiedenen Methoden der Durchschnittsbildung denkbar. Wenn bei der initialen Berechnung des Effektivzinses aber ein arithmetisches Mittel verwendet wurde, dann führt, illustrativ gesagt, das Einfügen eines weiteren Berechnungszeitpunkts zu einem zusätzlichen Zinseszinseffekt, der im geometrischen Mittel nicht entsteht. Die nötige Diskontierung passt in diesen Fällen also nicht zur Herleitung des Effektivzinssatzes. 

Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass das arithmetische Mittel bei unendlich vielen Zwischenschritten natürlich in das geometrische Mittel konvergiert, wenn man etwas Zeit mitbringt, wird man also auch über einen Umweg das Ziel seines Weges erreichen.

Als Zwischenfazit sollten Einschätzungen tatsächlich über Analysen von Daten „objektiviert“ werden. Dabei ist es von Vorteil, wenn man eine Karte im Gepäck hat, die auf die klassischen Umwege und Gefahrenstellen hinweist. 

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 154, Mai 2025
Autoren:
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
Felix Wacker-Kijewski, Senior Manager, Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG