Die aktuelle Situation der Energieversorgung in Europa und Deutschland ist geprägt von dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden und den Ausstoß von CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. Dafür sind erhebliche Anstrengungen notwendig, insbesondere im Bereich der Stromversorgung. Deutschland plant, bereits bis 2045 klimaneutral zu werden, was einen starken Anstieg des Strombedarfs bedingt, da Industrie, Gebäude und Verkehr elektrifiziert werden müssten. Darüber hinaus würde Strom für die Wasserstoffproduktion benötigt, um in der Industrie den Einsatz von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.

Diese Umstände stellen vor allem die energieintensiven Industrien vor die Herausforderung, ihre Stromversorgung auf nachhaltige Quellen umzustellen und die CO2-Emissionen langfristig zu reduzieren. Gleichzeitig müssen diese Unternehmen für sich eine stabile Stromversorgung sicherstellen und sich gegen stetig zunehmende Preisvolatilitäten an den Energiemärkten absichern. Die Neuausrichtung der Beschaffungsstrategie für Strom spielt dabei eine entscheidende Rolle für den Erfolg dieser Unternehmen. Sie sind aufgrund ihres hohen Energieverbrauchs besonders anfällig für Preisschwankungen auf den Energiemärkten. Eine erfolgreiche Beschaffungsstrategie erfordert eine sorgfältige Analyse der Energiebedürfnisse des Unternehmens, die Berücksichtigung von Energieeffizienzmaßnahmen und die Identifizierung geeigneter Beschaffungsmodelle bei gleichzeitiger Neuausrichtung des Risikomanagements für langfristige Bezugsverträge von Strom aus erneuerbaren Energien.

PPAs als Teil einer neuausgerichteten Beschaffungsstrategie für Strom

Power Purchase Agreements (PPAs) stellen eine Option für die Erreichung von Versorgungssicherheit und Preisstabilität dar. PPAs sind langfristige Verträge zwischen einem Energieerzeuger und einem Abnehmer, in denen sich der Abnehmer verpflichtet, eine bestimmte Menge an Energie zu einem festen Preis zu kaufen (Festpreis PPA). Sie bieten eine langfristige Energieversorgung zu einem vorhersehbaren Preis und reduzieren somit für das Unternehmen das Risiko von Versorgungsengpässen sowie Preisschwankungen auf dem Strommarkt. Unternehmen können darüber hinaus, durch den Bezug von Strom aus erneuerbaren Energien, einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung der CO2-Neutralität leisten. Die nachfolgende Graphik visualisiert das weltweite PPA Volumen von 2010 bis 2022.

Abb.: PPA-Zuwachs im Zeitablauf

PPA-Zuwachs im Zeitablauf

Quelle: International Energy Agency – BloombergNEF

Laut einer Studie des Corporate Sourcing of Renewable Energy (CRE) der Internationalen Energieagentur (IEA) haben PPAs in den letzten Jahren für energieintensive Unternehmen stark an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2022 wurden weltweit PPAs mit einer Kapazität von 36,8 Gigawatt (GW) abgeschlossen, wobei die meisten Verträge in den USA, Europa und Asien unterzeichnet wurden. Unternehmen setzen zunehmend auf PPAs, um ihre Energieversorgung zuverlässig zu gestalten, Energiekosten zu reduzieren und den Anteil erneuerbarer Energien in ihrer Energieversorgung zu erhöhen.

Die Neuausrichtung der Beschaffungsstrategie von Strom in der energieintensiven Industrie birgt aber auch einige Risiken, die bei der Anbahnung und Nutzung von PPAs berücksichtigt werden müssen. Ein wesentliches Risiko liegt unter Anderem in der Kreditwürdigkeit des Energieversorgers, da dieser für die Lieferung von Energie über einen langen Zeitraum finanziell stabil aufgestellt bleiben muss. Wenn der Energieversorger insolvent wird, kann dies für das beziehende Unternehmen signifikante finanzielle Auswirkungen haben.

Ansätze im Kreditrisikomanagement von langfristigen Bezugsverträgen

Ein wichtiger Bestandteil im Management von Kreditrisiken aus langfristigen Bezugsverträgen für Strom aus erneuerbaren Quellen ist die Überarbeitung und Anpassung von bisher verwendeten Methoden, Modellen und KRIs im Risikomanagement.

Zur Minimierung des Kreditrisikos im Zusammenhang mit PPAs bieten sich verschiedene Methoden an. In erster Linie sollten im Vornherein PPA-Anbieter ausgewählt werden, die über eine solide Finanzlage (zum Beispiel Credit Rating, hohe EK-Quote usw.) verfügen und nachweislich erfolgreich agieren. Zudem kann eine Diversifikation der Anbieter und Vertragsbedingungen dazu beitragen, das Risiko einer Vertragsverletzung oder eines Ausfalls zu minimieren. Die finanzielle Stabilität der PPA-Anbieter ist ein wichtiger KRI, um das Kreditrisiko zu bewerten. Auch die Vertragsbedingungen und -konditionen sollten überwacht werden, um das Risiko von Vertragsverletzungen zu minimieren. Die Bewertung der Geschäftstätigkeit und der Erfolgsbilanz des Anbieters kann ebenfalls dazu beitragen, das Kreditrisiko zu bewerten. Hierbei können am Markt verfügbare Nachrichtentools dabei helfen, auf täglicher Basis „Early Warning Indicators“ zu identifizieren, die auf eine abnehmende Bonität des Vertragspartners schließen lassen.

Die bestehenden Modelle zur Messung des Kreditrisikos (zum Beispiel CVaR) sollten überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Entscheidend ist hierbei die Anpassung von Inputfaktoren, die sich bei sehr langen Laufzeiten von Verträgen verändern können. Darüber hinaus ist es wichtig, Ereignisse zu berücksichtigen, die zwar eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben, aber dennoch erhebliche Auswirkungen auf das Kreditrisiko haben können, wie zum Beispiel Änderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien oder den Energiemarkt sowie Naturkatastrophen oder extreme Wetterereignisse, die die Stromerzeugung beeinträchtigen könnten. Ebenso erfordert die Bewertung des Kreditrisikos bei langfristigen PPAs eine Erhöhung des Signifikanzniveaus aufgrund der längeren Vertragslaufzeit und des damit verbundenen erhöhten Risikos von Wertminderungen. In diesem Zusammenhang bezieht sich das Signifikanzniveau auf die Wahrscheinlichkeit, mit der das Kreditrisiko bei langfristigen PPAs bewertet wird. Eine weitere Anpassung besteht darin, die Korrelationen zweier Variablen zu adjustieren. Ein Beispiel ist die Korrelation zwischen Strompreisen und die Verfügbarkeit und Kosten von Brennstoffen wie Gas oder Kohle, welche sich auf langer Sicht stark verändern können. Ebenso sind Marktpreisvolatilitäten und Preisentwicklungen von hoher Bedeutung, da sie Auswirkungen auf die Rentabilität des PPA-Anbieters haben können.

Insgesamt stellt die Beschaffung von Strom über langfristige Bezugsverträge aus erneuerbaren Energien (PPAs) für die energieintensive Industrie eine komplexe Aufgabe dar. Es erfordert ein gründliches Verständnis der Marktdynamik und regulatorischen Rahmenbedingungen sowie eine regelmäßige Überwachung und Hinterfragung verwendeter KPIs und KRIs. 

Wir aus dem Finanz- und Treasury Management Team helfen Ihnen gern bei der Ist-Aufnahme ihrer derzeitigen Kreditrisikomanagementprozesse, -methoden- und -modelle und erarbeiten mit Ihnen passgenaue Handlungsempfehlungen.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 132, Mai 2023
Autoren:
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
Moritz zu Putlitz, Manager, Finance and Treasury Man-agement, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG