Gesamtschuldnerische Haftung für Steuerschulden eines Dritten
Tax News 1/2025
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Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 12. Dezember 2024, Dranken Van Eetvelde, C-331/23, mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen Mitgliedstaaten eine gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Mehrwertsteuer eines Dritten normieren dürfen.
Sachverhalt und Vorlagefrage(n)
Die belgische Steuerbehörde führte bei Dranken Van Eetvelde, einem belgischen Getränkegroß- und -einzelhandelsunternehmer eine Mehrwertsteuerprüfung für 2011 durch. Bei der Prüfung wurden eine Reihe von Verstößen festgestellt:
- Dranken Van Eetvelde stellte falsche Rechnungen über Lieferungen von Getränken an Privatpersonen aus, obwohl die Lieferungen an Unternehmer (Betreiber von Hotels und Gasthäusern) erfolgten;
- die Empfänger der Getränke hätten die Getränke „schwarz“ weiterverkauft, wobei die Identität der Empfänger unbekannt blieb;
Die belgische Steuerbehörde kam zu dem Ergebnis, dass Dranken Van Eetvelde Beitragstäter eines Betrugssystems zu sein scheint, das den „schwarzen“ Weiterverkauf von Getränken ermögliche und es wurden drei Zahlungsbefehle erlassen:
- Zahlung von Mehrwertsteuer iHv zirka EUR 170.000 (Großteils aufgrund der im belgischen Gesetz normierten gesamtschuldnerischer Haftung);
- einer Geldbuße von zirka EUR 350.000 wegen falscher Rechnungsangaben;
- einer Geldbuße von zirka EUR 280.000 wegen Nichtentrichtung der MwSt;
Das belgische Vorlagegericht wollte insbesondere wissen, ob das EU-Recht einer nationalen Regelung entgegensteht, die zur Gewährleistung der Erhebung der Mehrwertsteuer eine verschuldensunabhängige gesamtschuldnerische Haftung eines anderen Steuerpflichtigen vorsieht, ohne, dass das zuständige Gericht die Haftung unter Berücksichtigung der Tatbeiträge der beteiligten Personen beurteilen kann. Da diese erste Vorlagefrage auch Bedeutung für die Auslegung des österreichischen UStG haben kann, wird in diesem Tax-News Beitrag ein Fokus auf diese erste Vorlagefrage gesetzt.
EuGH-Entscheidung
Der EuGH gliederte die erste Vorlagefrage in zwei Kernthemen. Anfangs befasste sich der EuGH mit der Frage, ob die in Belgien eingeführte gesamtschuldnerische Haftung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Dazu führt der EuGH aus, dass Art. 205 MwStSyst-RL weder regelt, wen, noch in welchen Fällen, noch unter welchen Voraussetzungen bzw Modalitäten die Mitgliedstaaten andere Personen als Gesamtschuldner für fremde Mehrwertsteuerschulden heranziehen dürfen. Die Modalitäten sind demnach im nationalen Recht festzuhalten, wobei das nationale Recht den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss. Das bedeutet, dass das tatsächliche und/oder rechtliche Verhältnis zwischen den beiden betroffenen Personen die Haftung rechtfertigen muss.
Im vorliegenden Fall sieht das nationale Recht die Haftung nur vor, wenn der Unternehmer wusste oder wissen musste, dass er sich an einer Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt. In dieser Hinsicht ist die belgische Haftungsregel unionsrechtskonform.
In den weiteren Ausführungen zur ersten Vorlagefrage beschäftigte sich der EuGH mit der Frage, ob es unionsrechtswidrig ist, dass der Richter die gesamtschuldnerische Haftung (der Höhe nach) nicht an die Tatbeiträge der beteiligten Personen anpassen kann. Dazu führte der EuGH aus, dass die Zahlung des gesamten Betrages (ohne richterliche Möglichkeit zur Minderung) durch den Gesamtschuldner der gesamtschuldnerischen Haftung immanent ist. Diese Auslegung stehe im Einklang mit dem Ziel von Art. 205 MwStSyst-RL, der eine wirksame Erhebung der Mehrwertsteuer durch die Staatskassen gewährleisten soll. Eine „Abstufung“ der Verpflichtung der gesamtschuldnerischen Haftung würde bedeuten, dass die zuständige Behörde bzw das Gericht die jeweiligen Beiträge aller Beteiligten im Voraus festlegen müssten, was bei betrügerischen Steuerkonstruktionen besonders schwierig wäre. Die belgische Umsetzung der gesamtschuldnerischen Haftung entspricht demnach dem Unionsrecht.
Ergebnis
Das UStG sieht verschiedene Haftungsregelungen (z. B. in § 19 Abs. 1 letzter Satz UStG und in § 27 UStG) vor. Im Gegensatz zu der in dem Urteil Dranken Van Eetvelde diskutierten Haftungsbestimmung, sind die österreichischen Haftungsbestimmungen dem Wortlaut nach, nicht an eine Beteiligung an eine Mehrwertsteuerhinterziehung gebunden. Ob die weitreichenden österreichischen Haftungsbestimmungen in Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zulässig sind, wurde bisher noch nicht gerichtlich geklärt.