Anforderungen an die Berücksichtigung neuartiger Kreditrisiken im Accounting

Die EZB formuliert ihre Erwartungen an die Banken aus Sicht des Aufsehers

Die EZB formuliert ihre Erwartungen an die Banken aus Sicht des Aufsehers

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Sujet Financial Services News

Im Juli 2024 gab die EZB das Ergebnis ihrer Studie zu IFRS-9-Modell-Verbesserungen und „Overlays“ für neuartige Kreditrisiken („IFRS 9 overlays and model improvements for novel risks“) heraus. Darin ist die EZB zwar der Ansicht, dass nachträgliche Anpassungen des ECL durch Overlays die geeignetste Form der Berücksichtigung der neuartigen Kreditrisiken sind, dass viele Banken aber immer noch einen langen Weg vor sich haben, bis sie den Erwartungen der Aufsicht gerecht werden.

Übersicht: 

Zur Studie im Überblick

Die EZB hatte 2022 insgesamt 51 Significant Institutions zu ihrer Logik der Bildung von Kreditrisikovorsorgen (Expected Credit Loss bzw „ECL“) im Rechnungswesen befragt und im Frühjahr 2024 zu dieser Studie ein Update durchgeführt, dessen Ergebnisse im Juli 2024 veröffentlicht wurden. (Das Dokument kann hier abgerufen werden: IFRS 9 overlays and model improvements for novel risks)

Die EZB hat dabei insbesondere die Berücksichtigung von neuartigen Kreditrisiken bzw. "novel Risks" untersucht, also Risiken bezüglich Energieversorgung, Lieferketten, Umweltrisiken, Inflation und geopolitische Risiken. Da diese in den Modellen mangels historischer Daten nicht (sauber) abgebildet werden können, sind nach Ansicht der EZB daher Overlays (also nachträgliche Anpassungen des auf Basis eines Modells ermittelten ECLs) die geeignetste Form der Abbildung dieser Risiken (und werden dies auf absehbare Zeit auch bleiben).

Der Anteil an Banken, die Klima- und Umweltrisiken in ihren ECL-Modellen berücksichtigen, stieg im Vergleich zu 2022 von 16 Prozent auf 55 Prozent (allerdings mit unterschiedlichem Reifegrad bei der Umsetzung).

Dennoch ist die EZB der Ansicht, dass die Banken noch einen langen Weg vor sich haben:

  • Die eingesetzten Methoden entsprechen aus Sicht der Aufsicht nicht dem Risiko-Exposure (bzw. stehen diesem sogar diametral entgegen).
  • Verfügbare Informationen werden ignoriert (insbesondere beim kollektiven Stage-Transfer).
  • Die Praktiken stehen daher nicht nur nicht im Einklang mit den Erfordernissen von IFRS 9, sondern führen auch zu einer systematischen Unterschätzung der Kreditrisikoverluste.

Anwendung von Overlays in Banken

Die EZB unterscheidet in ihrer Analyse zwischen

  • Overlay (bzw. „Post-Model-Adjustment“) – einer zusätzlichen Anpassung des ECL, nachdem das ECL-Modell einen Wert ermittelt hat – und
  • „In-Model-Adjustment“ – darunter versteht man einen Eingriff in das Modell selbst, z. B. durch Anpassung von Input-Parametern (Anpassung von Forward-Looking-Information), Modell-Parametern (Anpassung der PD), Modell-Anpassungen oder Modell-Rekalibrierungen.

Overlays werden dabei von der EZB zur Abbildung der novel Risks bevorzugt, weil aus Sicht der EZB „In-Model“-Lösungen, die auf nur unzureichenden Daten basieren, die Modell-Qualität insgesamt beeinträchtigen.

Während durch die Verwendung von Overlays den Anforderungen des IFRS 9 grundsätzlich entsprochen werden kann, müssen derartige Overlays dennoch sämtliche verfügbare und belastbare Informationen berücksichtigen, etwa durch eine (geringe) Anzahl von Simulationen oder Szenarien (z. B. auf Basis von Erfahrung, Benchmarking oder öffentlich verfügbaren Informationen).

Auch wenn es für die EZB nachvollziehbar ist, Overlays zu nutzen, weil die novel Risks weiterhin vorherrschen und die Datenreihen dazu nach wie vor unzureichend sind, betont die EZB dennoch, dass die Banken mittelfristig ihre bestehenden Modelle anpassen müssen (z. B. durch verbesserte Simulationen oder Szenario-Analysen).

Die EZB hat aus dem von ihr durchgeführten Thematic Review auch den Eindruck, dass einige Banken nach wie vor unzureichende (und nicht begründbare) Methoden verwenden, bei denen auch überproportional auf subjektive Schätzungen (statt auf beobachtbare und belastbare Informationen) abgestellt wird.

Der Anteil von Overlays am gesamten ECL bleibt über die Jahre relativ konstant bzw. nimmt mit sinkenden ECLs sogar proportional zu. Im Schnitt tragen Overlays nach wie vor zu rund 30 Prozent der ECL-Dotationen bei, wobei die Schwankungsbreiten nach wie vor hoch sind und bis zu über 80 Prozent betragen. Overlays werden dabei vorrangig für Retail-Portfolien, aber auch Corporate Loans und SME-Portfolien eingesetzt.

Die EZB erkennt in den ausgewerteten FINREP-Daten zudem einen statistisch signifikanten Zusammenhang, dass Banken mit höherem „Vor-ECL-Gewinn“ auch einen höheren Overlay bilden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass „mehr Gewinn“ für höhere Overlays verwendet wird bzw. Overlays zum Teil zum „Earnings-Management“ eingesetzt werden.

In der von der EZB durchgeführten Umfrage war eine Reihe von Banken nach wie vor nicht in der Lage, die Bevorsorgung für die neuartigen Risiken schlüssig zu erklären oder die Banken gaben an, diese überhaupt nicht in ihren Risikomodellen zu berücksichtigen.

12 bis 21 Prozent der Banken verwenden weiterhin lediglich Szenario-Simulationen der makro-ökonomischen Modelle. Da diese Modelle aber allesamt vor 2018 entwickelt wurden, zweifelt die EZB massiv an, dass diese Modelle die neuartigen Risiken überhaupt sinnvoll abbilden können. Eine nuancierte Differenzierung nach betroffenen Sektoren ist damit jedenfalls nicht möglich, was die Risiken aus Sicht der EZB systematisch unterschätzen dürfte.

Klima- und Umweltrisiken

C&E-Risiken (also „Climate and Environmental Risks“, Klima- und Umweltrisiken) werden von 55 Prozent der Banken berücksichtigt. (Ein Fortschritt gegenüber 2022, aber noch immer zu wenig aus Sicht der EZB.) 12 Prozent der Banken berücksichtigen C&E-Risiken indirekt über generelle FLI-Szenarien (FLI steht dabei für „Forward Looking Information“, also zukunftsgerichtete Informationen). Die EZB kritisiert dieses Vorgehen, weil damit eine Risikodifferenzierung nach Kunden, welche erhöhten C&E-Risiken unterliegen und solche, wo dies nicht der Fall ist, nicht möglich ist.

Auch wenn die Verwendung von Overlays und In-Model-Adjustments für die übrigen neuartigen Risiken im Vergleich zu 2022 leicht angestiegen ist, ist dies in Anbetracht der steigenden (auch geopolitischen) Unsicherheiten eindeutig zu wenig. Die Banken ohne derartige Vorsorgen sind aus Sicht der EZB nicht ausreichend auf die neue Risikolage vorbereitet. Auch die Berücksichtigung lediglich über makro-ökonomische Szenarien wird als zu undifferenziert abgelehnt (z. B. weil unterschiedliche Kundengruppen von einem Handelskrieg unterschiedlich betroffen sein können).

Commercial Real Estate als Schwachstelle

Eine besondere Schwachstelle kristallisiert sich in der bei Commercial-Real-Estate-Portfolien (CRE-Portfolien) heraus: Nur knapp die Hälfte der Banken hat hier einen sektorbasierten Ansatz, die andere Hälfte ignoriert die Erwartungen der EZB weiterhin, wonach die Effekte der gestiegenen Zinsen auf die Schuldendienstkapazität der CRE-Kunden gesondert über Overlays oder In-Model-Adjustments zu berücksichtigen ist.

Auch der Verweis auf „Expert:innen-Einschätzungen“ ohne weitere Erklärung gilt als schlechte Praxis. Eine Bank wendet zwar den LT-ECL auf CRE-Portfolien an, ohne aber die Kunden in Stage 2 zu schieben oder zu berücksichtigen, wie sich der LT-ECL durch die novel Risks bei diesen Kunden verändert, was zu einer systematischen Unterschätzung des ECL führt.

Prozessuale Schwächen

Auch wenn Banken im Vergleich zu 2022 die Kontroll- und Governance-Prozesse der Overlays verbessert haben, konnte die EZB auch in diesem Punkt nur 30 Banken (von 51) als „zufriedenstellend“ einstufen. Für die restlichen Banken sind weiterführende aufsichtliche Maßnahmen vorgesehen.

Bei rund zwei Drittel der Banken sind Prozesse zur Identifikation von novel Risks und der erforderlichen Overlays mit ausreichender Frequenz etabliert. In 44 Prozent der Banken fehlen allerdings nach wie vor klare Aufgabenzuordnungen und Eskalationsprozesse und keine (oder nur geringe) Einbindung von Rechnungswesen und Business in den Prozess der Overlay-Ermittlung. Dies führt dazu, dass allein Risiko-Abteilungen ohne ausreichende Kontrollmechanismen über Overlays entscheiden. Risiko-Abteilungen neigen aber aus Sicht der EZB dazu, sich zu sehr auf statistische Modelle zu verlassen, was problematisch ist, wenn diese Risiken abbilden sollen, die in historischen Daten nicht vorhanden sind. IFRS und die Einbindung von Kolleg:innen aus dem Rechnungswesen können hier zu einer adäquaten Wertberichtigungsbildung beitragen.

Quantifizierung von Overlays

Auch wenn die Zahl der Banken mit wesentlichen Design-Schwächen beim Overlay zurückgegangen ist, sind immer noch folgende Sachverhalte festzustellen:

  • Sogenannte „Umbrella-Overlays", wo ein Overlay eine ganze Reihe verschiedenster Risiken abdecken soll und dadurch eine sinnvolle Risikodifferenzierung fehlt.
  • Die Anwendung von LT-ECL auf vulnerable Sektoren, aber ohne Stage-Transfer und ohne Rating/Risikoanpassung und somit mit massiver Unterschätzung des LT-ECL.
  • Ein Drittel der Banken verfügt immer noch nicht über fundierte Prozesse zur Verarbeitung verfügbarer Informationen, sondern verlässt sich weiterhin überproportional auf Expert:innen-Schätzungen.
  • Auch wenn die EZB-Verständnis für die Herausforderungen zeigt, verweist sie auf die Tatsache, dass die überwiegende Mehrzahl der Banken ihre Hausaufgaben gemacht zu haben scheinen, während andere hier offenbar den Ernst der Lage noch immer nicht erkannt haben.

Besonders kritisiert von der EZB ist die Anwendung von Overlays auf Gesamt-ECL-Level (Umbrella Overlays), da diese

  • die unterschiedlichen Risiken und wen diese eigentlich betreffen völlig ignorieren,
  • die Auswirkungen der Risiken auf das Staging völlig ignorieren,
  • somit nicht mit IFRS 9 in Einklang stehen und
  • die Risiken systematisch unterschätzen.

Die Berücksichtigung von Risiken, die so materiell sind, dass sie zu einer ECL-Erhöhung führen, gleichzeitig aber nicht zu einem Stage-Transfer, ist aus Sicht der EZB ein mit IFRS 9 nicht kompatibler Widerspruch in sich. Als Lösung schlägt die EZB vor, den Overlay auch als Basis für einen kollektiven Stage-Transfer zu verwenden (IFRS 9.B5.5.1 und B5.5.6). Dieses wird aber nur von 38 Prozent der Banken umgesetzt.

Non-Compliance in der Datenbasis nachweisbar

Die EZB begründet ihre Vorhalte auf Basis der ihr vorliegenden statistischen und aufsichtlichen Daten: Banken mit schlechten Praktiken haben eine geringere Coverage Ratio, eine geringere Stage 2 Ratio und geringere Stage 2 Transfers. Schlechte Praktiken sind somit nicht nur weniger verlässlich und robust, sondern führen auch zu einer systematischen Unterschätzung der Risikovorsorge, welche die Aufmerksamkeit der Aufsicht erfordert.

Es offenbart sich aus Sicht der EZB, dass es gerade im Bereich der Risikovorsorgen offenbar einen natürlichen Anreiz gibt, die Datenqualität im Risikomanagement und im Rechnungswesen nicht zu verbessern, weil dadurch die Risikovorsorgen geringgehalten werden können.

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