Versicherungen legen einen klaren Fokus auf die Optimierung der Kosteneffizienz der Kerngeschäftsprozesse und des Erlebnisses von Kund:innen. Die Digitalisierung im Vertrags- und insbesondere im Schadenmanagement als der größte Hebel ist der Schlüssel dazu. Die damit verbundenen Herausforderungen und konkrete Lösungsansätze werden von KPMG gemeinsam mit spezialisierten IT-Lösungsanbietern beginnend mit 2022 jährlich in einer Kund:innenveranstaltung beleuchtet und diskutiert.

Intelligente Automatisierung im Schadenmanagement

Mit 82 Prozent bzw 65 Prozent1 liegen die Optimierung der Kosteneffizienz der Kerngeschäftsprozesse und die Verbesserung des Erlebnisses von Kund:innen bei Versicherungen klar im Fokus. Digitalisierung ermöglicht durch die Automatisierung repetitiver und standardisierbarer Aktivitäten die Senkung der Prozesskosten sowie Durchlauf- und Antwortzeiten. Damit werden beide Fokusthemen gleichermaßen bedient.

Im Mai 2022 hat KPMG diese Fokusthemen unter dem Titel „Intelligente Automatisierung im Schadenmanagement“ im Rahmen einer Veranstaltung vorgestellt und mit Versicherungskund:innen intensiv diskutiert. Als Keynote Speaker konnten Clemens Wasner (Gründer EnliteAI und Board Member von AI Austria) und Jeannette Gorzala (Rechtsanwältin mit Spezialisierung auf neue Technologien und Head of Legal AI Austria) als international anerkannte Expert:innen im Bereich Künstliche Intelligenz und Digitalisierung gewonnen werden.

Um für die aus den Fokusthemen resultierenden Herausforderungen ein möglichst breites Spektrum an Lösungsmöglichkeiten zu präsentieren, wurden namhafte Technologiepartner wie Omni:us, Hypathos, Cognigy, MotionCloud und SAS eingeladen. In einem praxisgerechten Aufbau präsentierten diese anhand konkreter Use Cases und Beispiele ihre Lösungen.

Ganz besonders erfreulich war das rege Interesse unserer Versicherungskund:innen, die in großer Anzahl erschienen sind und die Veranstaltung zu einem vollen Erfolg gemacht haben. Die Teilnahme großer, internationaler Versicherer wie auch kleinerer Versicherungsunternehmen hat gezeigt, dass diese Fokusthemen für alle Versicherungen, ungeachtet der Größe, von großer Relevanz sind.

Funktionale Herausforderungen

Laut Clemens Wasner stehen Unternehmen in Bezug auf die Digitalisierung vor mehreren Herausforderungen, wobei in der Versicherungsbranche und da insbesondere im ­Schadenmanagement zwei hervorzuheben sind.

Im Rahmen des Schadenprozesses werden Informationen wie Schadenmeldungen, Kostenvoranschläge, Rechnungen etc zu einem hohen Grad in unstrukturierter (zB schriftlich als E-Mail, Foto oder telefonisch) oder semistrukturierter Form (zB Rechnungen) eingebracht.

Damit diese Informationen im Sinne einer Dunkelverarbeitung automatisiert verarbeitet werden können, muss als erste Herausforderung die Transformation von un- oder semistrukturierten in strukturierte Daten erfolgen. Aktuell ist dies noch ein stark von manuellen Tätigkeiten geprägter Vorgang. Für diesen Transformationsvorgang soll der Automatisierungsgrad durch den Einsatz spezifischer Technologie bis 2025 verdoppelt2 werden.

Sobald die Daten zB unter Einsatz von Technologie in strukturierter Form vorliegen, stehen Versicherungsunternehmen vor der zweiten Herausforderung. Es gilt die Verarbeitung zB von Vollständigkeits-, Deckungs-, Kostenvoranschlags- und Rechnungsprüfungen, Schadensbewertung, Kommunikation mit Kund:innen oder Partner:innen zu einem höchstmöglichen Grad zu automatisieren bzw dunkel zu verarbeiten.

Regulatorische Herausforderungen

Neben den technologischen und funktionalen Herausforderungen sind laut Jeannette Gorzala immer mehr regulatorische Vorgaben zu berücksichtigen. Hervorzuheben ist der Artificial Intelligence Act (AI Act), eine EU-Verordnung zur Regulierung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz, welche auch für Versicherungsunternehmen anzuwenden sein wird.

Der AI Act folgt einem risikobasierten Ansatz, um zu gewährleisten, dass der Einsatz AI-basierter Systeme keine negativen Auswirkungen auf die Sicherheit, Gesundheit und Grundrechte von Menschen hat. Die jeweiligen gesetzlichen Auflagen und Regeln hängen vom jeweiligen Risikopotenzial ab.

Unterschieden werden im AI Act vier Risikoklassen:

  • KI-Systeme und Anwendungen mit verbotenen Praktiken, die dazu geeignet sind, menschliches Verhalten oder den freien Willen zu manipulieren bzw Systeme, die zur Bewertung des sozialen Verhaltens genutzt werden können (zB Social Scoring)
  • Hochrisikosysteme3, zu denen auch Anwendungen zur Risikoanalyse und/oder das Pricing für Privatpersonen im Bereich der Lebens- und Krankenversicherung zählen, sind einer Vielzahl an Regelungen unterworfen, ua:
    • Dokumentationsanforderungen,
    • Informationspflichten zum Einsatz für den Nutzer,
    • Manuelle/menschliche Systemkontrollen,
    • Anforderungen an die Robustheit bzw Cybersicherheit des Systems.
    • Bei Hochrisikosystemen ist zusätzlich vorab zwingend eine Konformitätsbewertung durch Dritte durchzuführen.
  • Bei KI-Systemen mit geringem Risiko, die mit natürlichen Personen interagieren (zB Chatbots), ist Transparenz die wesentliche regulatorische Anforderung.
  • Bei allen anderen KI-Systemen, bei welchen nur ein minimales Risiko (zB Videospiele) gesehen wird, werden in der vorhandenen Regelung keine Anforderungen gestellt.

Die Strafen bei etwaigen Verstößen gegen die Pflichten des AI Act erinnern an die DSGVO und können bis zu 4 Prozent des Jahresumsatzes oder EUR 20 Mio betragen. Bei der Nutzung von verbotenen KI-Systemen auch darüber hinaus.

Anfang Dezember 2022 soll im EU-Parlament eine Beschlussfassung über den Entwurf zum AI Act erfolgen. Die EU-Verordnung soll mit Juni 2023 vorliegen und dann unmittelbar für alle Mitgliedstaaten mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren in Kraft treten.

Optimierungspotenziale treffen auf Technologien

Abgeleitet von den zuvor skizzierten Herausforderungen sind sowohl das Geschäftsmodell (Allsparten vs Spezialversicherer, reiner Onlineversicherer etc) als auch das IT-Betriebsmodell (Anzahl und Heterogenität der Kernversicherungssysteme, Modernität der IT-Architektur und des Technologiestack) und der digitale Reifegrad bei Versicherungen höchst unterschiedlich.

Im Falle der Strukturierung und Analyse von unstrukturierten Daten sind bereits die meisten Versicherungen in der Lage, automatisch zwischen Schäden und Verträgen zu ­unterscheiden und eine Indizierung bzw Zuteilung zu Sachbearbeiter:innen vorzunehmen. Oft wird bereits die Sparte oder Sub-Sparte wie Kfz oder Haushalt erkannt. Das automatisierte Erkennen von Teilkasko oder Leitungswasser, der Schadenart wie Verstopfungsschaden oder die automatische Berechnung von Schadenhöhen auf Grund eines Kfz-Schadenfotos haben bis dato die wenigsten Versicherungsunternehmen implementiert.

Dafür bieten sich AI-gestützte Technologien an, die neben den klassischen OCR-Fähigkeiten in der Lage sind, Inhalte (Text, Sprache, Fotos) im Detail zu analysieren und zu interpretieren. In weiterer Folge müssen die Daten über den gesamten Schadenprozess und in Interaktion mit allen relevanten Akteur:innen (Versicherungsnehmer:in, Geschädigte:r, Gutachter:in, Partnerfirma etc) möglichst automatisiert verarbeitet werden. Hierzu gehören Prozessaktivitäten wie die Vollständigkeits- und Deckungsprüfung, das Einholen von Kostenvoranschlägen, Gutachten und Rechnungen, der inhaltliche Vergleich dieser Dokumente und die regelbasierte Kommunikation mit den Akteur:innen. Diese Entscheidungen können weitestgehend automatisiert oder im Sinne einer Handlungsempfehlung teilautomatisiert ausgeführt werden.

Versicherungen stehen vor der Herausforderung, sich ein Bild über den aktuellen Reifegrad der Automatisierung zu verschaffen und ein diesbezügliches Ambitionsniveau zu definieren. Dafür werden in der Regel sogenannte Automatisierungsprofile verwendet, die bei der Strukturierung der Potenzialanalysen unterstützen. Dabei werden Dimensionen wie Prozess, Sparte, Art oder die Form berücksichtigt. Abhängig von der Analyse kommen unterschiedliche Technologien bzw InsurTechs für die Lösung infrage (siehe Abbildung).

Auszug des Automatisierungsprofil

Die Qual der Wahl

Die mittlerweile sehr hohe Anzahl an Technologiefirmen – im Jahr 2021 im Bereich DACH über 200 InsurTechs4 – stellt Versicherungsunternehmen vor die Herausforderung, die für die jeweiligen Businessprobleme passenden Technologielösungen zu finden und in die eigene Wertschöpfungskette zu integrieren. Die richtige Auswahl erfordert einen zeit- und ressourcenaufwändigen Screening- und Entscheidungsfindungsprozess. KPMG hat in der Vergangenheit zahlreiche Versicherungsunternehmen bei diesem Prozess begleitet und die Durchlaufzeit durch laufendes Marktscreening innovativer schadenspezifischer Lösungen maßgeblich verkürzt.

Ausblick auf die Veranstaltungsreihe

Auch im Jahr 2023 wird KPMG wieder gemeinsam mit ausgewählten Technologiepartnern zu einer Veranstaltung einladen, bei der aktuelle Herausforderungen und Lösungen für Versicherungsunternehmen im Zusammenhang mit Automatisierung und Digitalisierung diskutiert und vorgestellt werden. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.

1 Quelle: Lünendonk/KPMG (2020): Digital Outlook 2025: Financial Services (n = 57 Versicherer, DACH-Raum)
2 Quelle: MSG & Versicherungsforen Leipzig: Claims Management 2025
3 Anhang III zum AI Act beinhaltet eine Auflistung von Hochrisiko KI-Systemen
4 Quelle: InsurTech-Radar 2021 DACH