EuGH: Personengesellschaft als Organgesellschaft – Einschränkungen nicht gerechtfertigt.
Tax Flash 3/2021
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Eine Beschränkung der umsatzsteuerlichen “Organgesellschaft” auf juristische Personen und Personengesellschaften, bei denen neben dem Organträger nur Personen beteiligt sind, die finanziell in den Organträger eingegliedert sind (kapitalistische Personengesellschaften) ist laut der jüngsten EuGH Entscheidung vom 15. April 2021 nicht gerechtfertigt. Der Vorlageantrag des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg wurde in der Rechtssache C-868/19 nun entschieden. Diese Beschränkung wurde auch in die österreichischen Umsatzsteuerrichtlinien (UStR Rz 233) aufgenommen, die nun vorliegende EuGH Entscheidung ist auch für Österreich höchst relevant.
1. Ausgangslage
In Deutschland bestehen nach dem Urteil des EuGH zur Rechtssache Larentia+Minerva (C-108/14) zwei unterschiedliche Ansätze in der BFH Rechtsprechung betreffend Personengesellschaften als Organgesellschaften.
Der V. Senat des BFH entschied, dass Personengesellschaften unter der Einschränkung Organgesellschaften sein können, dass neben dem Organträger nur Personen beteiligt sind, die finanziell in den Organträger eingegliedert sind (kapitalistische Personengesellschaften). Die Einschränkung sei aus Sicht des Senats aus Gründen der Rechtssicherheit notwendig.
Der XI. Senat des BFH argumentierte anders als der V. Senat des BFH, um eine Personengesellschaft trotz des eindeutigen Wortlauts der gesetzlichen Regelung als Organgesellschaft zuzulassen. Der vom V. Senat getroffenen Einschränkung auf bestimmte Personengesellschaften folgte der XI. Senat nicht.
Mit dem Wartungserlass 2016 wurde die einschränkende Rechtsprechung des V. Senats des BFH in die österreichischen Umsatzsteuerrichtlinien in Rz 233 übernommen. Seit 1.1.2017 kann auch eine Personengesellschaft, bei der neben dem Organträger nur solche Personen Gesellschafter sind, die finanziell in den Organträger eingegliedert sind (kapitalistische Personengesellschaften), Organgesellschaft sein, wenn die sonstigen Voraussetzungen für die Organschaft vorliegen.
2. Vorlage an den EuGH
Im zugrundeliegenden Sachverhalt waren an einer Personengesellschaft in der Form einer GmbH & Co KG neben der M-GmbH als Kommanditistin auch drei natürliche Personen sowie eine GbR als Kommanditisten beteiligt. Laut Gesellschaftsvertrag besaß jeder Gesellschafter eine Stimme. Davon abweichend besaß die M-GmbH 6 Stimmen. Weiters sah der Gesellschaftsvertrag grundsätzlich ein Mehrheitserfordernis bei der Beschlussfassung vor.
Strittig war, ob die finanzielle Verbindung im vorliegenden Fall erfüllt war. Die wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung dürfte unstrittig erfüllt gewesen sein.
Das deutsche Finanzgericht Berlin-Brandenburg will die widersprüchliche Rechtsprechung des BFH (V. Senat vs XI. Senat) zur Lösung des strittigen Ausgangssachverhalts auflösen und hat daher folgende Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (EuGH C-868/19):
- Steht die Einschränkung auf Personengesellschaften, bei denen neben dem Organträger nur solche Personen Gesellschafter sind, die finanziell in den Organträger eingegliedert sind, im Widerspruch zu Art 11 Abs 1 der Richtlinie 2006/112/EG?
- Falls die 1. Frage bejaht wird: ist diese Einschränkung aufgrund von im Einzelfall bestehenden Nachweisschwierigkeiten bei bloß mündlichen Vereinbarungen für das Vorliegen der finanziellen Eingliederung gerechtfertigt?
- Muss der nationale Gesetzgeber die Absicht zur Vorbeugung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen bereits bei Erlass der Maßnahme gefasst haben?
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3. Entscheidung des EuGH
Zunächst hält der EuGH fest, dass die Eingliederungsvoraussetzungen des Art 11 Abs 1 MwStSyStRL1 einer Präzisierung auf nationaler Ebene bedürfen. Für eine einheitliche Anwendung der Mehrwertsteuerrichtlinie ist es wichtig, dass der Begriff der engen Verbindungen durch finanzielle Beziehungen im Sinne von Art 11 MwStSyStRL autonom und einheitlich ausgelegt wird.
Der EuGH führt aus, dass aus der EuGH Rechtsprechung zu Art 11 MwStSyStRL dennoch hervorgeht, dass die Voraussetzungen des Vorliegens einer engen Verbindung durch finanzielle Beziehungen nicht restriktiv ausgelegt werden darf. Die Mitgliedstaaten dürfen zum Nachweis des Vorliegens einer engen Verbindung durch finanzielle Beziehungen keine Kriterien heranziehen, die sich ausschließlich auf bestimmte Arten juristischer Personen beziehen.
Zum Einwand der deutschen Regierung betreffend den Grundsatz der Rechtssicherheit hält der EuGH fest, dass dieser nicht gefährdet ist, da die M-GmbH die Abstimmungsmodalitäten bei der Personengesellschaft kannte und daher beurteilen konnte, ob eine Vermutung für das Bestehen finanziellen Verbindung bestand. Die von der deutschen Regierung angeführte Rechtsunsicherheit ergibt sich jedoch nicht aus der Anwendung der Regelung über die Mehrwertsteuergruppe, sondern aus der Anwendung der Formerfordernisse, denen die Errichtung und die Änderung des Gesellschaftsvertrags von Personengesellschaften nach deutschem Recht unterliegen.
Würde der Grundsatz der Rechtssicherheit Personengesellschaften, zu deren Gesellschaftern neben dem Organträger nicht nur Personen gehören, die in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, die Bildung von Mehrwertsteuergruppen im Sinne von Art. 11 Abs. 1 MwStSyStRL allein deshalb verwehren, weil ihre Gesellschaftsverträge nach nationalem Recht mündlich geschlossen und geändert werden können, liefe dies darauf hinaus, die Vereinbarkeit aller mündlichen Vereinbarungen, die Rechtsfolgen im Bereich der Mehrwertsteuer haben, mit diesem Grundsatz in Frage zu stellen.
Daraus folgt für den Gerichtshof, dass die vorgesehene Beschränkung auf bestimmte Personengesellschaften eine zusätzliche Voraussetzung darstellt, die außerhalb der in Art 11 der MwStSyStRL taxativ aufgezählten Voraussetzungen liegt.
Im Anschluss prüft der EuGH, ob diese Voraussetzung eine erforderliche Maßnahme zur Vorbeugung und Vermeidung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen darstellt (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).
Dabei kommt der EuGH zu dem Schluss, dass eine nationale Regelung, mit der alle Personengesellschaften, zu deren Gesellschaftern natürliche Personen gehören, systematisch von den Vorteilen der Mehrwertsteuergruppe ausgeschlossen werden, über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Weiters weist der EuGH darauf hin, dass das vorlegende Gericht selbst weniger restriktive Maßnahmen als einen solchen systematischen Ausschluss angeführt hat, etwa in Form des Erfordernisses eines Urkundenbeweises oder einer Bewilligung der Bildung einer Mehrwertsteuergruppe durch die Finanzverwaltung.
Vor diesem Hintergrund kommt der EuGH zur Entscheidung, dass im Licht der Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität die Beschränkung auf Personengesellschaften, an denen neben dem Organträger nur Personen beteiligt sind, die in dieses Unternehmen eingegliedert sind, nicht im Einklang mit Art 11 MwStSyStRL ist.
4. Auswirkungen in Österreich
Österreich hat die „enge“ Rechtsprechung des V. Senats des deutschen BFH in die UStR übernommen. In der Praxis ist festzustellen, dass diese Randzahl unterschiedlich ausgelegt wird. Zum Teil wird die Aussage in den Umsatzsteuerrichtlinien tatsächlich noch einschränkender verstanden und die direkte Beteiligung des Organträgers selbst gefordert, damit die Personengesellschaft Organgesellschaft werden kann.
Wie auch die Rechtsprechung des XI. Senats des deutschen BFH zeigt, ist eine richtlinienkonforme Interpretation der österreichischen Organschaft des § 2 UStG in Bezug auf Personengesellschaften als Organgesellschaften möglich. Vor diesem Hintergrund bestehen aus unserer Sicht keine Unterschiede zwischen der Aufnahme von Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften in eine Umsatzsteuerorganschaft.
Der EuGH hat die Aussage in den UStR durch die vorliegende Entscheidung klar abgelehnt.
Unabhängig von den Entscheidungen des EuGHs zu Organschaften besteht in der Praxis dazu Rechtsunsicherheit. Die vom deutschen vorlegenden Finanzgericht aufgenommenen Vorschläge der Literatur die Rechtssicherheit durch ein „Antragsystem“ zu erhöhen, sind aus Praxissicht geeignet Risiken zu reduzieren und die Rechtssicherheit zu erhöhen. Dies würde eine gesetzliche Neuregelung erfordern.
1 entspricht der Richtlinie 2006/112/EG