Tax News: EuGH: Auskunftsersuchen im Vorsteuerrückerstattungsverfahren
EuGH: Auskunftsersuchen im Vorsteuerrückerstattungsverf
Der EuGH hat im Urteil vom 18. November 2020 (C‑371/19 Kommission/ Deutschland) der Klage der Europäischen Kommission wegen Abweisung von Mehrwertsteuer-Erstattungsanträgen ausländischer Unternehmen überwiegend stattgegeben.
Im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren wurde die deutsche Vorgangsweise betreffend Vorsteuerrückerstattungsanträgen von Unternehmern, die nicht für umsatzsteuerliche Zwecke in Deutschland registriert sind, geprüft. Diese Unternehmer sind jedoch in einem EU Mitgliedstaat registriert. Gem § 61 dUStDV hat ein Unternehmer neun Monate nach Ablauf des Kalenderjahres Zeit, die Vorsteuerrückerstattung in Deutschland zu beantragen. Dem Vergütungsantrag sind die Rechnungen und Einfuhrbelege als eingescannte Originale vollständig anzufügen. Bei fehlenden Angaben oder Dokumente wurden zusätzliche Informationen oder Dokumente nicht angefordert, sondern der Antrag wurde unmittelbar abgelehnt, sofern die Informationen oder Dokumente erst nach dem Stichtag nachgereicht werden konnten.
Das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland bezieht sich auf einen Verstoß gegen Art 170 und 171 MwStSyst-RL, da Vorsteuererstattungsanträge in gewissen Fällen unmittelbar abgelehnt wurden, ohne die Steuerpflichtigen zur Nachbesserung der notwendigen Informationen oder Dokumente aufzufordern. Die Kommission basierte die Klage auf drei Rügen: einen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz, einen Verstoß gegen den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit und einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Gem stRsp des EuGH erfordert der Neutralitätsgrundsatz, dass der Vorsteuerabzug oder die Mehrwertsteuererstattung gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Anders verhält es sich allerdings, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert hat, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden.
In vorliegenden Fall (C‑371/19 Kommission/ Deutschland) liegt jedoch kein Verstoß gegen die formellen Anforderungen vor, der den sicheren Nachweis zur Überprüfung der materiellen Anforderungen verhindert. Der formale Mangel von fehlenden Informationen oder Dokumente betrifft den Zeitpunkt, zu dem dieser Nachweis erbracht werden kann. Andererseits geht die deutsche Verwaltungspraxis über das Ziel hinaus, das zur Erreichung der Ziele der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen im Bereich der Mehrwertsteuer erforderlich ist, wenn die deutsche Verwaltung keine Anforderungen von zusätzlichen Informationen über die 9-Monatsfrist der Einreichung des Vorsteuerrückerstattungsantrages vorsieht, sondern unvollständige Anträge unmittelbar abweist. Der EuGH entschied demnach, dass die ersten zwei vorgebrachten Rügen zum Grundsatz der Neutralität und praktischen Wirksamkeit begründet waren und gab der Klage statt.
Nach stRsp des EuGH leitet sich der Grundsatz des Vertrauensschutzes vom Grundsatz der Rechtssicherheit ab, der ua gebietet, dass Rechtsvorschriften – vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können – klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sein müssen. Auf diesen abgeleiteten Grundsatz kann sich jeder berufen, bei dem eine zuständige Behörde durch bestimmte Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt hat. In vorliegendem Fall wurde durch die Kommission vorgebracht, dass durch die Empfangsbestätigung der nationalen Behörde, Steuerpflichtige darauf vertrauen dürften, dass der Antrag entsprechend den Vorschriften der Richtlinie umfassend bearbeitet werde.
Die Empfangsbestätigung enthält jedoch auch einen Hinweis auf die Pflicht des Steuerpflichtigen, die erforderlichen Belege vorzulegen. Unter diesen Voraussetzungen kann nicht angenommen werden, dass eine solche Empfangsbestätigung dem Steuerpflichtigen die Gewissheit geben kann, dass sein Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer von der zuständigen nationalen Behörde bearbeitet werden wird, obwohl er die erforderlichen Informationen und Dokumente nicht vorgelegt hat. Einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes konnte der EuGH nicht feststellen und wies die Klage in diesem Punkt ab.
Anmerkung:
Das Verfahren zur Rückerstattung von Vorsteuern wird in der Praxis oft unterschätzt. In vielen Fällen wird ein Vorsteuererstattungsantrag aufgrund von „Formverstößen“ (zB falsches Verfahren, fehlende Originalbelege, fehlende Unternehmerbescheinigung im Original) oder aufgrund Fristversäumnissen zurückgewiesen oder abgewiesen. Das Urteil Kommission/ Deutschland bestätigt jedoch, dass Mitgliedstaaten Unternehmern die Möglichkeit zur Nachreichung von fehlenden Informationen oder Dokumenten ermöglichen müssen, auch wenn die Nachreichfrist über die gesetzlich normierte 9-Monatsfrist der Antragsstellung auf Vorsteuerrückerstattung hinausgeht.