Tax News: Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Zuordnung der Warenbewegung zu einer Lieferung innerhalb einer Lieferkette
Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Zuordnung
Die Generalanwältin Juliane Kokott hat in Ihren Schlussanträgen vom 3. Oktober 2019, zur Rechtssache EuGH, Herst, s.r.o., C-401/18, vorgeschlagen, die Zuordnung der bewegten Lieferung innerhalb eines Reihengeschäfts primär anhand dessen zu bestimmen, wer die Gefahr für den zufälligen Untergang der Waren trägt.
Die tschechische Gesellschaft Herst, s.r.o. (im Folgenden: Herst) ist ua im Bereich des Kraftverkehrs tätig und Inhaberin mehrerer Tankstellen. Herst kaufte regelmäßig Kraftstoff von in der Tschechischen Republik mehrwertsteuerlich registrierten Lieferanten, die wiederum den Kraftstoff ihrerseits von Raffinerien in anderen Mitgliedstaaten erwarben. Den Transport des Kraftstoffes von den Raffinerieterminals direkt nach Tschechien übernahm Herst. Dabei wurde Herst von deren Lieferanten lediglich das Terminal der Raffinerien, das Datum und gegebenenfalls der Zeitpunkt der Beladung (usw) bekannt gegeben. Im Zuge des Transportes erfolgte nach Überschreitung der Grenze die Zollabfertigung und der Kraftstoff wurde verbrauchsteuerrechtlich in den freien Verkehr überführt. Anschließend setzte Herst die Beförderung bis zum Entladeort fort. Entladeorte waren zum einen die eigenen Tankstellen von Herst und zum anderen weitere Abnehmer.
Die Lieferanten stellten Herst tschechische Umsatzsteuer in Rechnung und Herst machte für diese Lieferungen den Vorsteuerabzug geltend. Nach Ansicht der tschechischen Finanzbehörde bewirkten die Lieferanten aber steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an Herst, sodass Herst der Vorsteuerabzug versagt wurde. Das Amtsgericht von Prag legte dem EuGH (C-401/18) in diesem Zusammenhang ua die Frage vor, ob die Verfügungsmacht über die Waren von den Raffinerien an die Lieferanten übergeht, wenn die Lieferanten über die Waren nicht physisch verfügen und dem Abnehmer Herst lediglich den Zugang zu den Waren vermitteln, die Informationen für die Übernahme mitteilen und Herst die Beförderung der Waren selbst vornimmt.
Die Generalanwältin verweist auf die ständige Rechtsprechung des EuGH zu Reihengeschäften. Sie präzisiert die vorgelegte Frage und führt aus, dass das vorlegende Gericht nach den Kriterien, mittels derer die Zuordnung der bewegten Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäftes vorgenommen werden kann, fragt. Dabei bestätigt Sie die gefestigte Rechtsprechung des EuGH, dass die Tatsache, dass Herst die Waren in einem besonderen zollrechtlichen Verfahren transportiert und abgefertigt hat, für diese Zuordnung irrelevant ist.
Zur Übertragung des Eigentums und der Verfügungsmacht an der Ware an den Abnehmer als Kriterium für die Zuordnung der bewegten Lieferung führt die Generalanwältin aus, dass im Falle einer Lieferkette, bei der dem Empfänger die Verfügungsmacht durch den Leistenden verschafft wurde, auch das mittlere Unternehmen (jedenfalls für eine logische Sekunde) die Verfügungsmacht erlangt haben muss. Andernfalls lägen nicht zwei Lieferungen, sondern allenfalls eine Lieferung und eine Dienstleistung vor. Die „ledigliche“ Ermöglichung des Zugangs zu den beschafften Waren durch den mittleren Unternehmer an seinen Kunden (Herst) reicht aus, um jeweils einen Übergang der Verfügungsmacht in der Lieferkette anzunehmen.
Die Generalanwältin bekräftigt sodann die ständige Rechtsprechung des EuGH, wonach Art 14 Abs 1 MwStSyst-RL normiert, dass die Übertragung der Befähigung, „wie ein Eigentümer“ über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, erfolgt sein muss und nicht auf die Eigentumsübertragung in die durch das anwendbare nationale Recht vorgesehene Form abstellt. Zur konkreten Zuordnung der grenzüberschreitenden Beförderung in einer Lieferkette verweist die Generalanwältin eingangs zwar auf die ständige Rechtsprechung des EuGH, wonach die Zuordnung „unter umfassender Würdigung aller besonderer Umstände des Einzelfalls“ zu treffen ist. Ihres Erachtens muss es dabei darauf ankommen, wer während des Transports die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache trägt. Das Abstellen auf die Gefahrentragung bringe mehr Rechtssicherheit als eine Gesamtbetrachtung, da sich von der Gefahrentragung am einfachsten auf die Rolle es betreffenden Beteiligten in der Lieferkette schließen lässt und auch die Europäische Kommission stelle auf die rechtliche Entscheidungsmacht über den Gegenstand ab. Im Ergebnis obliegt die Beurteilung der Gefahrentragung dem nationalen Gericht.
Anmerkung:
Das vorliegende Verfahren bezieht sich wieder einmal auf die für die Praxis wesentliche Frage der Zuordnung der bewegten Lieferung und im Unionsgebiet damit steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung im Rahmen einer Lieferkette. Bis dato kann aus der Rechtsprechung des EuGH als Kriterium der Zuordnung der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen der Übergang der Verfügungsmacht abgeleitet werden. Dabei ist aber stets eine umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Nach der Generalanwältin Kokott ist das entscheidende Kriterium für die Zuordnung der bewegten Lieferung, wer während des Transports die Gefahr für den zufälligen Untergang der Waren trägt. Diese Rechtansicht würde zu mehr Rechtssicherheit führen, als eine Gesamtbetrachtung der Umstände ohne festgelegte Kriterien. Es bleibt nun abzuwarten ob der Gerichtshof diesem Kriterium zur Beurteilung folgt.
In Österreich kommt im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen noch die Problematik des „Doppelerwerbs“ hinzu (siehe BFG vom 23.10.2017, RV/2101684/2014 mit der anhängigen VwGH-Beschwerde zZ Ra 2018/15/0011 bzw BFG vom 30.11.2017, RV/2101122/2016 mit der anhängigen VwGH-Beschwerde zZ Ro 2018/15/0004).