BFH: Organschaft und atypisch stille Beteiligung
Der BFH hat in zwei – teilweise inhaltsgleichen – Urteilen zum Bestehen einer Organschaft bei atypisch stillen Beteiligungen entschieden (Az. I R 33/22 und I R 17/21).
Im Streitfall I R 33/22 beteiligte sich der Organträger als stille Gesellschafterin (zu 10 %) an der Organgesellschaft. Der Steuerpflichtige und das Finanzamt gingen übereinstimmend davon aus, dass es sich steuerlich um eine atypisch stille Gesellschaft und somit eine Mitunternehmerschaft handelte. In den Gewinn- und Verlustrechnungen wurden jeweils das Jahresergebnis vor Ergebnisabführung, der aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags abgeführte Gewinn (90 % des Jahresergebnisses) und die Ergebniszurechnung an den Organträger als stillen Gesellschafter (10 % des Jahresergebnisses) ausgewiesen. Das Finanzamt schloss sich der bereits von der Außenprüfung vertretenen Auffassung an, dass die Voraussetzungen für eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nicht vorgelegen hätten, weil eine GmbH, an der eine atypisch stille Beteiligung bestehe, nicht Organgesellschaft sein könne.
Im Streitfall I R 17/21 hatte der Organträger mehrere Organgesellschaften. Bei dem Unternehmen handelte es sich um ein Beratungsunternehmen. Alle Gesellschaften verfügten über verschiedene Niederlassungen. Sowohl an den eigenen Niederlassungen des Organträgers als auch an der Mehrzahl der Organgesellschaften beziehungsweise an deren Niederlassungen bestanden in den Streitjahren atypisch stille Gesellschaften mit einem oder mehreren beteiligten Partnern des Beratungsunternehmens. Für jede einzelne atypisch stille Gesellschaft / Niederlassung (steuerlich eine Mitunternehmerschaft) wurde ein eigenes Buchwerk geführt. Das ermittelte Ergebnis gemäß gesonderter und einheitlicher Gewinnfeststellung wurde den jeweiligen Tochtergesellschaften beziehungsweise der Klägerin zugerechnet.
Fraglich war insb., ob die atypisch stille Beteiligung an einer Organgesellschaft der Abführung des ganzen Gewinns der Organgesellschaft an ihren Organträger entgegensteht.
Der BFH hat in seinen Urteilen nun folgende Grundsätze zum Themenkomplex „Organschaft und atypisch stille Beteiligung“ aufgestellt:
- Besteht an einer Kapitalgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung (entweder am gesamten Unternehmen oder lediglich an einem Teilbereich des Unternehmens), kann sie dennoch Organgesellschaft im Rahmen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft sein, da sie ihren unter Berücksichtigung der Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters ermittelten handelsrechtlichen Jahresüberschuss als "ganzen Gewinn" im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG an den Organträger abführen kann. Gegenstand der Abführungsverpflichtung aus dem Ergebnisabführungsvertrag ist - auch für steuerrechtliche Zwecke - der Jahresüberschuss im Sinne des § 301 Satz 1 AktG verbunden mit einer Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Gewinnermittlung. Diese Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Gewinnermittlung hat zur Folge, dass der Gewinnanteil des (atypisch) still Beteiligten als Aufwand zu erfassen ist, der den abzuführenden Jahresüberschuss mindert. Dieses (geminderte) Jahresergebnis stellt sodann den "ganzen Gewinn" im Sinne des § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG dar, der handels- und in der Folge auch steuerrechtlich abzuführen ist.
- Bestehen unabhängig voneinander mehrere atypisch stille Beteiligungen jeweils (nur) an verschiedenen Niederlassungen einer Kapitalgesellschaft, dann kann diese Kapitalgesellschaft grundsätzlich Organträger einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft sein. Jedoch kommt es auf die konkrete Struktur im Einzelfall an, insb. welchem Unternehmensbereich die Organbeteiligungen zuzuordnen sind und wem der abgeführte Gewinn zusteht. Im Streitfall (I R 17/21) sind weitere tatsächliche Feststellungen zu den mit Tracking Stocks vergleichbaren Strukturen erforderlich.
- Die Rechtsfolgen einer gewerbesteuerrechtlichen Organschaft treten grundsätzlich nicht ein, wenn am Gewerbebetrieb einer Organgesellschaft ein atypisch stiller Gesellschafter beteiligt ist (Bestätigung BFH-Urteil vom 25.10.1995 - I R 76/93). Dies gilt nicht, wenn sich der atypisch stille Gesellschafter bei Vorliegen mehrerer sachlich hinreichend abgegrenzter Geschäftsbereiche der Organgesellschaft lediglich an einem dieser Geschäftsbereiche beteiligt. Auch hierzu hat das FG im zweiten Rechtsgang (zum Verfahren I R 17/21) nähere Feststellungen zu treffen. Sollten die Tochtergesellschaften etwa einzelne Niederlassungen unterhalten, an denen keine atypisch stillen Beteiligungen bestehen, wäre diese(r) Niederlassung/Geschäftsbereich als gesonderter Gewerbebetrieb alleine den Tochterkapitalgesellschaften zuzuordnen und es wären insoweit wegen Fehlens einer Mitunternehmerschaft die Rechtsfolgen der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft zu ziehen. Dass gegebenenfalls an einer anderen Niederlassung der Tochterkapitalgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung besteht, wäre für die Anerkennung der Organschaft unschädlich. Das gleiche gilt allgemein, wenn bei den Tochterkapitalgesellschaften neben dem "Betrieb der Niederlassungen" ein gesonderter Geschäftsbereich bestehen sollte, an dem keine weitere Person mitunternehmerschaftlich beteiligt ist.
Hinweis:
Das BMF hatte unter dem Datum des 20.08.2015 ein Schreiben veröffentlicht, wonach eine Kapitalgesellschaft, an der eine atypisch stille Beteiligung besteht, weder Organgesellschaft noch Organträgerin sein kann. Jedoch könnten im letzteren Fall nach dem BMF-Schreiben bereits bestehende Organschaften im Wege der Billigkeit und aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin steuerrechtlich anerkannt werden. Unmittelbar kommt dem Schreiben als Verwaltungsanweisung allerdings keine die Gerichte bindende Wirkung zu. Die Gerichte dürfen die Verwaltungsanweisung auch dann nicht anwenden, wenn sie zu einem für den Steuerpflichtigen günstigeren Ergebnis führt als das materielle Steuerrecht. Soweit das Schreiben eine sachliche Billigkeitsregelung enthält, könnte im gerichtlichen Verfahren nur eine Bindung auf der Grundlage einer konkreten Einzelfallentscheidung (abweichende Steuerfestsetzung gemäß § 163 AO) der zuständigen Finanzbehörde bestehen. Letzteres könnte im Streitfall I R 17/21 vorgelegen haben und ist im zweiten Rechtsgang vom Finanzgericht zu würdigen.
Fundstelle: BFH-Urteile I R 33/22, I R 17/21
News-Kategorie: Rechtsprechung
Veröffentlichungsdatum: 08.04.2025
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