Umsatzsteuer bei der Vertragsbeendigung durch den Werkbesteller
VAT Newsletter Dezember 2024-Januar 2025
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EuGH, Urteil vom 28. November 2024 – Rs. C-622/23 - rhtb
Bei dem österreichischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Steuerbarkeit von Leistungen bei unerfüllten Werkverträgen. Der Oberste Gerichtshof Österreichs legte dem EuGH eine Frage zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Zahlungen vor, die durch den Auftraggeber nach einer durch ihn veranlassten vorzeitigen Beendigung eines Werkvertrags noch an den Auftragnehmer zu leisten waren. Die Frage lautete wie folgt: Ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Art. 73 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass der Betrag, den ein Werkbesteller dem Werkunternehmer auch dann schuldet, wenn die (vollständige) Ausführung des Werks unterbleibt, aber der Werkunternehmer zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Werkbestellers liegen (zum Beispiel die Abbestellung des Werks), daran gehindert worden ist, der Mehrwertsteuer unterliegt?
Sachverhalt
Im März 2018 schlossen rhtb (Auftragnehmer, nachfolgend: A) und Parkring (Auftraggeber) einen Werkvertrag über den Bau eines Immobilienprojekts mit einem Werklohn von über 5 Mio. Euro. Nach Beginn der Arbeiten teilte Parkring dem A im Juni 2018 mit, dass sie nicht mehr wünsche, dass das Projekt weitergeführt werde. Im Dezember 2018 legte A daher eine Schlussrechnung vor (vertraglicher Anspruch wegen ungerechtfertigter Abbestellung des Gewerks) und berücksichtigte bei seiner Forderung von rund 1,5 Mio. Euro seine ersparten Aufwendungen und den Umstand, dass er einen kleinen Teil des Vertrages bereits erfüllt hatte. Da Parkring diese Zahlung nicht leistete, erhob A eine Klage auf Zahlung von rund 1,5 Mio. Euro inklusive Umsatzsteuer und stützte seine Forderung auf § 1168 Abs. 1 des österreichischen ABGB. Wegen der umsatzsteuerlichen Problematik im Zivilverfahren legte der Oberste Gerichtshof dem EuGH dann das Vorabentscheidungsersuchen vor.
Aus den Entscheidungsgründen
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL sei dahin auszulegen, dass der Betrag, der vertraglich geschuldet werde, weil der Empfänger einer Dienstleistung einen wirksam geschlossenen Vertrag über die Erbringung dieser mehrwertsteuerpflichtigen Dienstleistung – deren Ausführung der Dienstleistungserbringer begonnen hatte und zu deren Fertigstellung er bereit war –, beendigt habe, als Entgelt für eine Dienstleistung gegen Entgelt anzusehen sei. Was den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der dem Leistungsempfänger erbrachten Dienstleistung und dem tatsächlich erhaltenen Gegenwert angehe, habe der Gerichtshof entschieden, dass der Gegenwert des beim Abschluss eines Dienstleistungsvertrags entrichteten Preises, in dem sich daraus ergebenden Recht des Kunden bestehe, in den Genuss der Erfüllung der sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen zu kommen, unabhängig davon, ob er dieses Recht auch wahrnehme. So erbringe der Dienstleister diese Leistung bereits, sobald er den Kunden in die Lage versetzte, diese Leistung in Anspruch zu nehmen, sodass das Bestehen des erwähnten unmittelbaren Zusammenhangs nicht durch den Umstand beeinträchtigt wird, dass der Kunde dieses Recht nicht wahrnehme. Insofern verweist der EuGH auf sein Urteil vom 11. Juni 2020, Vodafone Portugal, C-43/19, Rn. 32).
Im vorliegenden Sachverhalt habe der Dienstleistungserbringer es dem Empfänger nicht nur ermöglicht, in den Genuss der Dienstleistung zu kommen, sondern er habe, da er mit den vereinbarten Arbeiten bereits begonnen hatte, einen Teil dieser Leistung tatsächlich erbracht und war bereit, sie fertigzustellen. Bei wirtschaftlicher Betrachtung sei festzustellen, dass der gemäß § 1168 Abs. 1 ABGB zu zahlende Betrag nicht nur das für die fraglichen Dienstleistungen vertraglich vereinbarte Entgelt abzüglich der ersparten Beträge widerspiegele, sodass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem im Ausgangsverfahren streitigen Betrag und der erbrachten Dienstleistung bestehe, sondern darüber hinaus dem Dienstleister eine vertragliche Mindestvergütung sichere.
Bitte beachten Sie:
Der EuGH verweist zur Abgrenzung zwischen steuerbarem Entgelt für eine Leistungsbereitschaft und nicht steuerbarem Schadensersatz auf sein Urteil vom 18. Juli 2007 (C-277/05), wonach ein bei Hotelzimmerreservierung zu zahlendes Angeld in Höhe von 40 % des Zimmerpreises, das im Falle des Nichtantritts der Reise beim Hotel verbleibt, ein nicht steuerbarer Schadensersatz sei. Die Zimmerreservierung sei keine eigenständige, bestimmbare Dienstleistung gewesen und das Angeld habe nur eine pauschale Entschädigung dargestellt. Im Gegensatz hierzu liege bereits eine individualisierbare Dienstleistung vor, weil der Dienstleister bereit gewesen sei, diese vollständig auszuführen. Insofern ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass der EuGH in seiner Entscheidung ausdrücklich die Feststellung des vorlegenden Gerichts aufnimmt, dass der Werkunternehmer zur vollständigen Leistung bereit war. Der EuGH übersieht hier allerdings, dass für den Leistungsempfänger zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bestand, das vollständig errichtete Werk zu erhalten. Anders verhält es sich, wenn der Kunde den vollen Flugpreis zahlt (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – C-250/14, Air France) und das Entgelt für die Leistungsbereitschaft gezahlt wird. Damals hat der EuGH zu Recht ausgeführt, dass der entrichtete Preis beim Erwerb des Flugscheins in dem Recht des Fluggasts bestehe, in den Genuss der Erfüllung der sich aus dem Beförderungsvertrag ergebenden Verpflichtungen zu kommen, unabhängig davon, ob er dieses Recht auch wahrnimmt, da die Fluggesellschaft die Leistung bereits erbringe, sobald sie den Fluggast in die Lage versetzt, die betreffenden Leistungen in Anspruch zu nehmen. Das ist ein gravierender Unterschied zu dem Streitfall beim Werkvertrag, in dem der Werkunternehmer den Besteller noch nicht in die Lage versetzt, etwas in Anspruch zu nehmen, weil er noch nicht ansatzweise eine verbrauchsfähige Leistung erbracht hat. Die theoretisch bestehende Leistungsbereitschaft für das restliche Werk hat sich noch nicht konkretisiert und führt dazu, dass der EuGH den bloßen Abschluss eines Werkvertrages der Umsatzsteuer unterwirft.
Da die Regelung des § 1168 Abs. 1 des österreichischen ABGB weitgehend der deutschen Regelung des § 648 Satz 2 BGB entspricht, ist davon auszugehen, dass sich die Verwaltung und der BFH mit dem EuGH-Urteil ausein-andersetzen müssen.
Bisher unterliegt der Anspruch des Werkunternehmers sowohl nach der Zivilrechtsprechung (BGH v. 22.11.2007 – VII ZR 83/05) als auch nach Auffassung der Finanzverwaltung (Abschn. 1.3 Abs. 5 UStAE) in bestimmten Fällen nicht der Umsatzsteuer. Nach Abschn. 1.3 Abs. 5 UStAE ist nämlich die Vergütung, die der Unternehmer nach Kündigung oder vertraglicher Auflösung eines Werklieferungsvertrags vereinnahmt, ohne an den Besteller die bereitgestellten Werkstoffe oder das teilweise vollendete Werk geliefert zu haben, kein Entgelt für eine Leistung (vgl. hierzu auch das neuere BFH-Urteil vom 26. August 2021 – V R 13/19 zu einer Kündigung eines Architektenvertrages).
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Kathrin Feil
Partnerin, Tax - Head of Indirect Tax Services
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Dr. Oliver Buttenhauser
Partner, Tax, Indirect Tax Services
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