Die Rolle des Corporate Treasury hat sich in den letzten Jahren massiv weiterentwickelt. Neben der klassischen Verantwortung für das Liquiditätsmanagement und die Risikominimierung ist der Schwerpunkt zunehmend auf die strategische Integration von Finanzlösungen in die gesamte Unternehmensstruktur gerückt.

In einem volatilen Umfeld, das durch den Krieg in der Ukraine und eine angespannte Zinspolitik in vielen Ländern geprägt ist, hat das Thema Supply Chain Finance (SCF) für das Corporate Treasury eine neue Dringlichkeit erlangt. Geopolitische Risiken und instabile Finanzmärkte verlangen von Unternehmen mehr denn je, ihre Lieferketten zu sichern und finanziell zu optimieren. SCF bietet hier wertvolle Instrumente zur Risikominimierung und Liquiditätssicherung. Doch wie finden Sie die passende SCF-Lösung, integrieren ESG-Kriterien und vermeiden Stolpersteine bei der Implementierung? Dieser Artikel beleuchtet die Herausforderungen und signifikante Erfolgsfaktoren.

Die richtige Lösung finden

Das Angebot an SCF-Lösungen ist groß und die Wahl der richtigen kann komplex sein. Es gibt verschiedene Modelle der Lieferkettenfinanzierung, darunter bankenunabhängige Lösungen, Ansätze, die direkt über die Plattform eines Bankpartners erfolgen, sowie Modelle, die über Fintech Lösungen abgewickelt werden. Die Palette an Instrumenten kann sich in ihrer Ausgestaltung und Funktion zudem deutlich unterscheiden, vergleicht man beispielsweise eine Dynamic Discounting Lösung, bei denen Unternehmen eigene liquide Mittel nutzt, mit einer Reverse Factoring Plattform, die durch eine externe dritte Partei finanziert wird.

Daher ist eine Einbettung in die strategische Finanzplanung des Unternehmens unerlässlich. Im Rahmen der Auswahl sollten Unternehmen Kriterien wie Skalierbarkeit, Flexibilität und die Kosten-Nutzen-Relation berücksichtigen. Die Auswahl der richtigen SCF-Lösung beginnt mit einer tiefgehenden Analyse der eigenen Lieferkette. Insbesondere im Kontext geopolitischer Risiken ist die Beurteilung von Lieferantenstabilität und geopolitischen Expositionen unerlässlich. Hinzu kommt die Überprüfung der Zinspolitik und deren Einfluss auf Finanzierungsmodelle. Tools zur Szenarioanalyse können hierbei helfen, um verschiedene Finanzierungsoptionen unter Berücksichtigung der aktuellen Marktlage und zukünftiger Zinserhöhungen zu bewerten. Dabei sollten auch Faktoren wie Skalierbarkeit, Flexibilität und Kompatibilität mit bestehenden Systemen einbezogen werden.

Nachhaltige Lieferkettenfinanzierung

Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in der Supply Chain Finance hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Es geht nicht mehr nur darum, die Liquidität entlang der Lieferkette sicherzustellen, sondern dies auch auf eine ethisch und ökologisch verantwortungsvolle Weise zu tun. Unternehmen, die ESG-Kriterien in ihre SCF-Strategie einbinden, profitieren in mehrfacher Hinsicht. Zum einen erfüllen sie immer strengere gesetzliche Anforderungen und Erwartungen von Stakeholdern, was das Risiko rechtlicher Sanktionen oder Reputationsschäden minimiert. Zum anderen bieten sie Investoren und Partnern eine transparentere Sicht auf das Risikomanagement und die Unternehmensstrategie, was sich positiv auf die Unternehmensbewertung auswirken kann.

Die Einbeziehung von ESG-Kriterien kann allerdings ebenfalls komplex sein. Es erfordert eine umfassende Risikobewertung, die nicht nur finanzielle, sondern auch soziale und ökologische Faktoren berücksichtigt. Darüber hinaus ist es wichtig, klare KPIs und Überwachungssysteme zu etablieren, um die Einhaltung der ESG-Ziele sicherzustellen. Diese KPIs sollten im Einklang mit den allgemeinen Unternehmenszielen stehen und in die strategische Finanzplanung integriert werden.

Strategische Integration

Die Einbindung von Supply Chain Finance in die strategische Finanzplanung ist ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. Es geht weit über das bloße Liquiditätsmanagement und die Optimierung von Zahlungszielen hinaus. Vielmehr sollte Supply Chain Finance als integraler Bestandteil der gesamten Unternehmensstrategie betrachtet werden, der einen Mehrwert in Form von verbessertem Working Capital, Risikominderung und strategischen Investitionsmöglichkeiten bieten kann. Durch die systematische Analyse von Cashflow-Zyklen, Lieferantenbeziehungen und Finanzierungsbedingungen können Unternehmen nicht nur ihre Liquiditätsreserven optimieren, sondern auch ihre Kapitalkosten senken und ihre Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten stärken. All diese Aspekte sollten in der langfristigen Finanzplanung Berücksichtigung finden, um ein nachhaltiges und resilientes Geschäftsmodell zu schaffen. Nur so kann Supply Chain Finance tatsächlich dazu beitragen, die finanzielle Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens in einer immer komplexer werdenden Wirtschaftswelt zu steigern.

Stolperfallen bei der Implementierung

Die Implementierung einer SCF-Lösung ist selten ein reibungsloser Prozess. Ein klassischer Fehler besteht in der unzureichenden Integration in das operative Geschäft. Die effektive Umsetzung erfordert die enge Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen, von der Beschaffung bis zum Vertrieb. Darüber hinaus sollten Sie sich nicht allein auf die Technologie verlassen, sondern sicherstellen, dass die ausgewählte SCF-Lösung mit den bestehenden Treasury-Prozessen und -Systemen kompatibel ist. Ein weiterer Stolperstein kann die mangelnde Flexibilität sein, die durch starre Vertragsbedingungen oder die fehlende Möglichkeit, auf Marktveränderungen zu reagieren, hervorgerufen wird.

Die Integration von SCF in bestehende Treasury-Prozesse ist nicht nur eine technische, sondern auch eine organisatorische Herausforderung. Hier gilt es, SCF-Maßnahmen in die strategische Finanzplanung einzubetten und eine Schnittstelle zum operativen Geschäft zu schaffen. Bei der technischen Implementierung ist darauf zu achten, dass die SCF-Lösung in die bestehende IT-Landschaft integriert wird, um eine Echtzeit-Überwachung und -Steuerung der Finanzflüsse zu ermöglichen. In Zeiten von Schwankungen durch Zinspolitik und geopolitischen Risiken kann eine enge Verzahnung von SCF und Treasury-Prozessen dabei helfen, agil auf Veränderungen zu reagieren.

Der Aufwand zahlt sich aus

Supply Chain Finance ist weit mehr als nur ein Instrument zur Steigerung der Effizienz innerhalb der Lieferkette. Es stellt in der heutigen komplexen Geschäftswelt ein strategisches Werkzeug dar, das eine transformative Wirkung auf das gesamte Finanzmanagement eines Unternehmens haben kann. Dies gilt insbesondere in Zeiten angespannter geopolitischer Verhältnisse.

Die Erfolgsfaktoren für eine effektive Implementierung und Nutzung von Supply Chain Finance sind vielschichtig. An erster Stelle steht die nahtlose Integration in die strategische Finanzplanung des Unternehmens. Hier geht es nicht nur darum, kurzfristige Liquiditätsengpässe zu überbrücken, sondern vielmehr um die langfristige Optimierung der Kapitalstruktur und des Working Capitals. Darüber hinaus ist die vollständige Einbettung in das operative Geschäft entscheidend. Die verschiedenen Abteilungen, von Einkauf und Produktion bis hin zum Vertrieb, müssen in den Prozess eingebunden sein, um Synergien zu schaffen und Risiken zu minimieren.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die technische Anbindung an die bereits existierenden Systeme wie das Treasury Management System und das ERP innerhalb des Unternehmens. Durch die Digitalisierung und Automatisierung der Supply Chain Finance können Daten in Echtzeit verarbeitet werden, was nicht nur die Transparenz erhöht, sondern auch die Reaktionsgeschwindigkeit auf etwaige Probleme oder Chancen verbessert.

All diese Faktoren machen deutlich, dass die Umsetzung von Supply Chain Finance kein trivialer Akt ist, sondern fundierte Fachkenntnisse und technologisches Know-how erfordert. Das Team von KPMG steht Ihnen dabei gerne zur Seite und bietet Ihnen eine unabhängige Beratung bei der Auswahl und Implementierung der maßgeschneiderten SCF Lösung. Unsere Expertise dient als Bindeglied zwischen Fachlichkeit und technischen Prozessen und ermöglicht es, die Supply Chain Finance Lösung nahtlos in operative Strukturen und strategische Planung zu integrieren. So wird Ihre Lieferkette nicht nur effizienter, sondern wandelt sich auch in einen echten Wettbewerbsvorteil.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 136, September 2023
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Daniel Lichtenberg, Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG