„Green New Deal“ und „Green Economy” gewinnen für Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Ein wesentliches Instrument für Corporates sind dabei physische sowie virtuelle Power Purchase Agreements (PPA), um den Zugang zu erneuerbaren Energien langfristig und nachhaltig zu sichern. Bislang stellen PPA die nach IFRS bilanzierenden Unternehmen jedoch vor immense Herausforderungen, da die Regelungen des IFRS 9 zur „Own Use Exemption“ weder den Besonderheiten dieser Produkte noch allgemein den Spezifika von nicht speicherbaren Commodities Rechnung tragen. Konsequenz ist damit häufig die Bilanzierung von PPA zum beizulegenden Zeitwert (Fair Value through Profit or Loss). Auch wenn die Weichenstellungen für die Umstellung auf eine „Green Economy“ erfahrungsgemäß im Unternehmen nicht vom Accounting dominiert werden, stellt eine unplanbare Volatilität der Gewinn- und Verlustrechnung aus langfristigen Bezugsverträgen für grünen Strom ein ernstzunehmendes Hindernis dar und wird eine rasche Umsetzung der Klimaziele nicht gerade begünstigen.
Ein Outreach des IFRS Interpretations Committee (IFRS IC), welchem die nachfolgenden drei Fallkonstellationen zu Grunde lagen, hat nun Bewegung in die seit längerem anhaltende Diskussion zur Own Use Exemption gebracht. Ausgangspunkt war eine Anfrage zur Bilanzierung von Grünstrom PPA und Auswirkungen des Ukrainekrieges auf die europäischen Energiemärkte. Bei letzterem Punkt stand insbesondere das tatsächliche Abnahmeverhalten von Unternehmen in Bezug auf zuvor kontrahierte Mengen als Reaktion auf erwartete Marktengpässe sowie postulierte Einsparungen im Fokus. Konkret wurden dem IFRS IC folgende Fälle eingereicht1:
- Fact Pattern One: Pay-as-Produced Verträge mit Rückvermarktung
- Fact Pattern Two: Glattstellung von langfristigen Bezugsverträgen im Spotmarkt
- Fact Pattern Three: Grünstrom PPA mit maximaler Kapazität oberhalb des physischen Bedarfes
Basierend auf den Antworten der Mitglieder des Internationalen Forums der Rechnungslegungsstandardsetzer, Wertpapieraufsichtsbehörden und großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, welche im Outreach angesprochen wurden, erschien ein erstes Staff Paper „Application of the ‘own use’ exception to some physical power purchase agreements“2 im Juni 2023. Bereits nach diesen initialen Überlegungen war eine Empfehlung des IFRS IC für ein „narrow-scope standard-setting project“, also die Festlegung von Normen im engeren Sinne, wahrscheinlich geworden. Für das Juli Meeting mit dem IASB wurde nun in die Sondierung möglicher Änderungen an IFRS 9 und konkrete Handlungsoptionen herausgearbeitet sowie eine priorisierte Befassung mit dem Themenkomplex empfohlen.
Folgt das IASB der Argumentation und den Vorschlägen des IFRS IC, lassen sich mit Blick in das Staff Paper aus Juli 2023 bereits einige Weichenstellungen für mögliche Änderungen erkennen:
- Die Relevanz einer sachgerechten Bilanzierung von Bezugsverträgen nicht hinreichend speicherbarer Rohstoffe scheint vom Standardsetter eindeutig erkannt worden zu sein. Entsprechende Lücken in den bisherigen Regelungen zeigt das Staff Paper in diesem Punkt auf.3
- Obgleich sich Fragestellungen zum sachgerechten Umgang mit der Own Use Exemption somit auch auf Bezugsverträge aus konventioneller Erzeugung beziehen, ist für das geplante Normsetzungsprojekt beabsichtigt ausschließlich PPA aus erneuerbaren Energien in den Scope zu nehmen.4 Es ist daher zu erwarten, dass für Produkte mit konventioneller Energie und mithin auch Teile des Fact Pattern Two keine abschließende Regelung erfolgen wird.
- Den Marktusancen folgend haben sich neben physischen Grünstrom PPAs auch zahlreiche virtuelle PPAs etabliert. Da diese keine physische Lieferung vorsehen, ist eine Bilanzierung unter der Own Use Exemption von vornherein ausgeschlossen. An dieser Tatsache will das IFRS IC erkennbar auch nichts ändern, schlägt aber zur annähernden Gleichbehandlung ökonomisch identischer Strategien eine Konkretisierung von Hedge Accounting vor, wenn virtuelle PPA als Sicherungsinstrumente designiert werden.5
Da dem IASB eine Aufnahme des Normensetzungsprojekt mit hoher Priorität empfohlen wurde, bleibt zu hoffen, dass ein entsprechendes Projekt zügig starten wird. Für alle IFRS-Bilanzierer, die zum 30. September oder 31. Dezember 2023 ihre Abschlüsse aufstellen, werden über die erkennbaren Weichenstellungen hinaus aber wohl noch keine klaren Vorgaben existieren.
Auch erscheint basierend auf dem gegenwärtigen Diskussionsstand die Hoffnung für eine grundlegende Klarstellung zur Anwendung der Own Use Regelungen für nicht speicherbare Rohstoffe unbegründet zu sein. Das IFRS IC hat hier zwar grundlegendes Verständnis für den Bedarf der Anwender erkennen lassen und mit einer Interpretation des IFRS 9.2.6(c) erneut einen Anknüpfungspunkt für die weitere Diskussion in der Praxis in den Raum gestellt, wird aber mutmaßlich keine allgemeingültigen Regelungen für Energiebezugsverträge schaffen.6
Für Bilanzierende, Abschlussadressaten und Prüfer hat sich dank der Weichenstellungen angedeutet welchen Weg der Standardsetter für Grünstrom PPA womöglich einzuschlagen gedenkt. Bis sich dieses in verbindlichen Rechnungslegungsnormen niederschlägt, werden alle Beteiligte aber weiterhin mit den bisherigen Regelungen umgehen und für die Abschlussadressaten gegebenenfalls schwer nachvollziehbare Bilanzansätze akzeptieren müssen. Entsprechend des vorläufigen Beschlusses des IASB, ein Projekt in den Arbeitsplan aufzunehmen, soll nun zunächst untersucht werden, ob und wie Änderungen in obigem Sinne vorgenommen werden können.7 Erst danach wird eine endgültige Entscheidung zur Aufnahme in den Arbeitsplan des IASB und die konkrete Anpassung des Standards erfolgen können.
Die Herausforderung der Bilanzierung von Verträgen in Zusammenhang mit dem „Green New Deal“ und „Green Economy” ist also erkannt, die bilanziellen Unwägbarkeiten für kommende Abschlüsse aber leider in keiner Weise gebannt.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 135, August 2023
Autoren:
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
Robert Abendroth, Senior Manager, Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
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1 Siehe Appendix A zum Staff Paper - July 2023 – Agenda Reference 12 (abgerufen unter ap12a-application-of-the-own-use-exception-to-some-physical-power-purchase-agreements.pdf (ifrs.org))
2 Staff Paper - June 2023 - Agenda Reference 2 (abgerufen unter https://www.ifrs.org/news-and-events/updates/ifric/2023/ifric-update-june-2023/#2)
3 Vgl. Tz. 33-41 Staff Paper - July 2023 – Agenda Reference 12
4 Vgl. Tz. 49 Staff Paper - July 2023 – Agenda Reference 12
5 Vgl. Tz. 53-60 Staff Paper - July 2023 – Agenda Reference 12
6 Vgl. Tz. 26 Staff Paper - July 2023 – Agenda Reference 12 hinsichtlich der kumulativen Erfüllung einer Net Settlement Practice und Absicht der Gewinnerzielung aus kurzfristigen Preisschwankungen
7 Vgl. IFRIC Update July 2023 Agenda Reference 12A unter https://www.ifrs.org/news-and-events/updates/iasb/2023/iasb-update-july-2023/#9
Ralph Schilling
Partner, Audit, Head of Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft