Die Corona-Krise und die damit grundlegend veränderten globalen Absatz- und Erzeugungsketten brachten ein ernstzunehmendes Existenzrisiko für viele Unternehmen mit rohwarenwirtschaftlichem Schwerpunkt mit sich. Die seit Oktober 2021 stark angestiegenen Rohstoff- und Energiepreise haben ebenfalls eine zentrale Bedeutung für das Risikomanagement für Unternehmen. Im Zuge dieses Artikels soll die derzeitige Situation für agrarwirtschaftliche Betriebe beleuchtet werden. 

Seit Beginn des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine spiegeln sich die weltweiten politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten auch in den Rohstoffpreisen wider. Es ist vor allem ein Preisanstieg für Dünger, Mais, Sojabohnen, Sonnenblumensamen und Weizen zu verzeichnen. Da die Ukraine und Russland weltweit zu den führenden Weizenexporteuren zählen (Abb.2), macht sich die preisliche Volatilität besonders bei Weizen bemerkbar. (Abb. 1)

Abb. 1: Entwicklung des Weizenpreises an der CBOT und tägliche prozentuale Veränderung seit 01.02.2022

Entwicklung des Weizenpreises an der CBOT

Quelle: KPMG AG, basierend auf Reuters-Martkdaten

Abb. 2: Entwicklung der Erntemengen von Weizen für die Jahre 2019/2020 bis 2021/2022.

Entwicklung der Erntemengen von Weizen

Quelle: www.statista.com

Das derzeitige Preisniveau stellt nicht nur landwirtschaftliche Bertriebe, Rohstoffhändler und verarbeitende Betriebe vor große Herausforderungen was das Zusammenspiel von Beschaffung, Erzeugung und Vertrieb betrifft, sondern birgt auch das Risiko von Hungersnöten und Versorgungsengpässen innerhalb von Schwellen- und Entwicklungsländern in Afrika, die zu den größten Kunden der ukrainischen und russischen Getreideexporte zählen. 

Von Lieferengpässen, steigender Inflation und Verbraucherpreisen

Seit Beginn des Russland-Ukraine Konflikts ist der Export von Agrarrohstoffen erwartungsgemäß stark eingebrochen. Das Bestellen der Felder ist nur unter größter Gefahr möglich und ein Export der Rohstoffe über See sowie Land ist seitens der Ukraine kaum möglich. Das hat zur Folge, dass die Beschaffung der sonst sehr gefragten Rohstoffe wie Weizen, Mais, Sonnenblumenöl aus Russland und der Ukraine vor allem für Nord- und West-Afrikanische Länder, den Nahen Osten, aber auch europäischen Agrarunternehmen, unter Lieferengpässen oder hohen Preisen leidet. Zusätzlich kommen die Preise von wichtigen Produktionsfaktoren wie beispielsweise Saatgut und Düngemittel durch die gleichzeitig verteuerten Energiepreise für Strom, Öl und Gas unter Druck.

Der Anstieg in den Beschaffungskosten wirkt sich unmittelbar auf die Kosten für Grundnahrungsmittel und weiterverarbeitete Produkte aus. Hinzu kommen lange Wartezeiten für Güter, bedingt durch verlangsamte Lieferketten, was vor allem Landwirte vor Herausforderungen stellt, welche auf Tiernahrung, Dünger und ähnliche zur Tierhaltung benötigten Güter angewiesen sind. Die Auswirkungen von Lieferengpässen werden aber auch auf Produzentenseite sowie in der Nahrungsmittelindustrie wahrgenommen. Im Einzelhandel zeigen sich die Auswirkungen bereits durch teilweise leere Regale. Entsprechend könnte der Handel auf die gestiegenen Beschaffungskosten reagieren, indem er sie an die Endverbraucher weiterreicht (siehe Abb. 4). Die Folge: Ein signifikanter Beitrag zur bereits vorhandenen Inflation. (siehe Abb. 3 für derzeitige Inflation)

Abb. 3: Inflationsrate in Deutschland der letzten drei Monate

Inflationsrate in Deutschland

Quelle: KPMG AG, basierend auf Reuters-Martkdaten

Abb. 4: Verlauf des harmonisierten Verbraucherpreisindex Deutschlands der letzten 2 Jahre

Verlauf des harmonisierten Verbraucherpreisindex Deutschlands

Quelle: KPMG AG, basierend auf Reuters-Martkdaten

Ökonomen halten einen Anstieg der Inflationsrate auf einen Wert von mindestens 4 % zum Jahresende für wahrscheinlich. Laut BGA1 wird in Europa auch langfristig mit höheren Niveaus der Erzeugerpreise zu rechnen sein. Über die Frage, ob es sich bei der aktuellen Entwicklung um eine direkte Folge des Russland-Ukraine Konfliktes oder einen langfristigen Trend handelt, sind sich Analysten und Ökonomen uneins.    

Durchreichen des Marktpreisänderungsrisikos

„Kein Hersteller kann ohne Weitergabe der dramatisch steigenden Kosten überleben“, so beschreibt der Geschäftsführer von Lorenz den aktuellen Umgang des Marktpreisrisikos.

Aktuell sind vor allem die Nahrungsmittelindustrie und der stationäre Einzelhandel von den hohen Beschaffungspreisen betroffen, welche sie an den Kunden weitergeben, um die Handelsmargen zu stabilisieren. So sind durchweg die Preise von Grundnahrungsmitteln sukzessiv angestiegen. Selbst die sonst so preiswerten und preisstabilen Eigenmarken der Discounter und Supermärkte mussten auf Grund der derzeitigen Rohstoff-, Energie- und Logistikpreise mit einem Preisaufschlag versehen werden. Doch nicht in allen Branchen lässt sich das Marktpreisrisiko durchreichen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Fall eines Zulieferers, welcher einen mehrjährigen Liefervertrag oder Kooperation mit dem stationären Einzelhandel geschlossen hat. Das könnte beispielsweise eine Fleischproduktion und eine oder mehrere Einzelhandelsketten betreffen. Der Produzent ist dem Marktpreisrisiko ohne entsprechende Preissicherung durch Festpreisverträge bzw. Derivate auf Seite der Beschaffung ausgesetzt. In der Angebotsphase werden vertriebsseitig Preise für den Verkauf der produzierten Güter fixiert. Auf der Beschaffungsseite findet jedoch in der Regel keine Preisfixierung für die benötigten Rohstoffe bis zum Produktionsbeginn statt. Somit unterliegt in diesem Beispiel die Fleischproduktion voll dem Risiko eines zwischenzeitlichen Anstiegs der Preise für Fleisch bei hoher Preisvolatilität, auf Grund der gestiegenen Futterkosten. Weiterhin kommen die erhöhten Energiepreise zum Tragen, welche die durch die gestiegenen Rohstoffpreise bereits verminderte Marge weiter drückt, oder sogar komplett ausreizt, so dass ein Weiterbestehen, bei den jetzigen Lieferketten und Marktverhältnissen ohne vorher getroffene Sicherungsmaßnahmen, gefährdet ist. Dieses Beispiel lässt sich auf weitere Branchen innerhalb der rohstoffintensiven Industrie übertragen. 

Beschaffungs- und vertriebsseitiges Risiko minimieren

Viele Unternehmen im Bereich der rohstoffintensiven Industrie und des Rohstoffhandels stehen vor der Herausforderung, dass sie meist nicht in der Lage sind ihr Exposure aus offenen Positionen auf Beschaffungs- und Vertriebsseite sachgerecht zu bestimmen. Dies liegt meist an einer heterogenen Daten- und Systemlandschaft, die eine einheitliche und zentrale Messung und Erhebung des Exposures erschwert. In Zeiten eines seitwärtstendierenden Marktes mag hieraus kein größeres Risiko resultieren, aber in Zeiten mit hochvolatilen Rohstoffpreisen gestaltet sich die Lage anders. Die derzeitige Marktsituation gibt Unternehmen erneut Anlass, die Angemessenheit der bisherigen Strategien, Methoden und Prozesse im Risikomanagement und die Ausgestaltung des Risikokreislaufs im Handel und Treasury auf die Fähigkeit zur nachhaltigen Bewältigung von Unsicherheiten, zu hinterfragen. 

Für den langfristigen Umgang mit volatilen Rohstoffpreisen stehen Unternehmen mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung: 

  • Risikostrategie und Risikokennzahlen
    Prüfen Sie, ob Ihre derzeitige Risikostrategie mit der unternehmerischen Zielsetzung übereinstimmt und ob die Bedeutung relevanter Risiken (Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken) für das Unternehmen bekannt ist. Vergewissern Sie sich, dass die aktuellen Risikokennzahlen eine verlässliche Aussage über Auswirkungen auf die unternehmensspezifischen Performancekennzahlen (EBIT, Cash, Eigenkapitalquote), nach denen gesteuert wird, zulassen. Legen Sie eine klare Risikomanagementstrategie fest. 
  • Exposure-Erhebung
    Überprüfen Sie die Höhe und den Entstehungszeitpunkt Ihres Rohstoffrisikos. Verschaffen Sie sich einen Überblick darüber, welche Geschäftsarten in das Exposure bzw. in die Sicherungsmengen einbezogen werden (physische Vorräte, physische Lieferkontrakte, finanzielle Kontrakte, Time Buckets, Lieferorte, etc.). Dabei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit und gegebenenfalls mit welchem Zeitverzug die Risiken überwälzt werden können, da zum Beispiel das Risiko überschätzt wird, wenn nur auf die Einkaufspreise für Rohstoffe geblickt wird, ohne gleichzeitig die Reaktionen der Verkaufspreise auf Veränderungen der Rohstoffmärkte zu berücksichtigen. 
  • Risikotragfähigkeit
    Legen Sie fest, welches Risiko Sie in diesem strategischen Bereich zu tragen bereit sind. Wählen Sie eine geeignete Methodik, mit der Sie das Risiko messen und berichten können. Entscheiden Sie welche Risiken eingegangen werden dürfen (Risk-Return-Profil). Dabei kann auch zwischen einer Grenze für die Geschäftstätigkeit in normalen Zeiten und einem zusätzlichen Puffer für Extremszenarien unterschieden werden.
  • Sicherungsstrategie
    Formulieren Sie vor dem Hintergrund Ihrer Ziele im Rohstoffeinkauf eine klare Sicherungsstrategie. Berücksichtigen Sie hierbei, ob die Möglichkeit des Eigenhandels bzw. des Eingehens von Market-Timing-Positionen besteht. Legen Sie die Methodik für die Erfolgsmessung Ihrer Sicherungsstrategie fest und führen diese regelmäßig durch (zum Beispiel Benchmarking). Stellen Sie sicher, dass die Effektivität von Sicherungsbeziehung ökonomisch und buchhalterisch in Anbetracht der aktuellen Marktlage noch gegeben ist (zum Beispiel Effektivität von Proxy-Hedges).
  • Rahmenbedingungen für den Rohstoffhandel
    Schaffen Sie eine klare Governance-Struktur, die eine Festlegung der Rahmenbedingungen im Rohstoffhandel zulässt und Verantwortlichkeiten klar regelt. Identifizieren Sie, wer Änderungen an den bestehenden Rahmenbedingungen vorgibt bzw. ob Ausnahmen bei der Einhaltung von Rahmenbedingungen möglich sind. Legen Sie fest, welche Produkte/Instrumente für den Handel zulässig sind.

Die vergangenen Monate haben erneut gezeigt, dass es durchaus sinnvoll sein kann, der Unternehmensleitung und dem Kosten-Controlling die Notwendigkeit und Nutzen eines wirksamen und umfassenden Risikomanagements für Marktpreisrisiken vor Augen zu führen. Daher gilt: Bereiten Sie sich rechtzeitig auf die nächsten Extremfälle vor und entwickeln Sie Maßnahmen, mit denen Sie sich gegen kommende Turbulenzen absichern.

Ihr Finanz- und Treasury Management Team steht Ihnen für Rückfragen sehr gerne zur Verfügung.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 120, April 2022
Autoren: 
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Mangement, KPMG AG
Moritz zu Putlitz, Manager, Finance and Treasury Management, KPMG AG

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