Krisenzeiten werfen ein Schlaglicht auf die finanzielle Widerstandsfähigkeit von Lieferketten. Die Covid-19-Pandemie und Herausforderungen in den Lieferketten hat Treasurer weltweit dazu veranlasst, verstärkt Handelsfinanzierungsprogramme zu nutzen, um sich und ihren Lieferanten einen schnelleren Zugang zu Betriebskapital zu verschaffen und aktiv Lieferketten aufrechtzuhalten.
Die dynamische Marktentwicklung von Anbietern ganzheitlicherer Supply Chain Finance Lösungen wie Global Trade Corporation (GTC), Cflox und Traxpay deutet darauf hin, dass singuläre Instrumente der Handelsfinanzierung in Bezug auf Marktanteile nach und nach abgelöst werden. Die Anbieter setzen hierbei auf Plattformlösungen zur Realisierung von unter anderem Dynamic Discounting, Reverse Factoring und der dynamischen Anpassung von Zahlungszielen zum Teil mit dem Aufbau von Multi-Bank-Anbindungen. Unternehmen wie Danone setzen inzwischen auf mehrere SCF-Programme in verschiedenen Regionen der Welt, die über unterschiedliche Plattformen abgewickelt werden können.1 Entsprechende Plattformen binden unterschiedlichste Lieferanten ein, die die gesamte Variation der Wertschöpfungskette abbilden und per Schnittstellen in die bestehende IT-Infrastruktur eingebunden werden können. Der administrative Aufwand kann somit auf ein Minimum reduziert werden.
Den Zusammenbruch von Lieferketten verhindern
Wenn Lieferanten mit langsamen oder unzuverlässigen Zahlungen ihrer Kunden konfrontiert sind und nur unsichere und teure Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung haben, können die Kosten für die von ihnen gelieferten Waren und Dienstleistungen entsprechend hoch ausfallen. Darüber hinaus sind unternehmensinterne Zielsetzungen bezüglich des Working Capital Managements nur noch schwer aufrechtzuhalten. Für die Abnehmer der Lieferanten droht dadurch eine nicht unerhebliche betriebliche Gefahr, da Lieferketten an Zuverlässigkeit einbüßen und bei Zahlungsunfähigkeit einzelner Teilnehmer zusammenbrechen können. Eine Gefahr, die durch den erwarteten Rückstau an Unternehmensinsolvenzen weiterhin wesentlich ist.2
So ist im besten Falle schon vor einer Krise sicherzustellen, dass auf Supply Chain Finance Programme zurückgegriffen werden kann, insbesondere zu einem Zeitpunkt, an dem die Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen besonders hoch ist. Wenn eine Krise ähnlich der aktuellen Covid-19 Pandemie eintritt muss sichergestellt werden, dass Lieferanten Zugang zu ausreichend liquiden Mitteln haben. So kann bei bereits aufgesetzten Supply Chain Finance Programmen flexibel auf Krisen reagiert werden, beispielsweise indem der Umfang der Programme erhöht wird. Das Ergebnis ist die Begleichung von Rechnungen in ein bis zwei Wochen anstatt der oftmals in der Praxis beobachteten zwei bis vier Monaten. Für die Einkäufer wiederum ergibt sie die vorteilhafte Situation, Zahlungsfristen länger als gewohnt zu fassen und somit ihr Working Capital aktiver auszusteuern und zu verbessern.
Wie Lieferkettenfinanzierungen an Bedeutung gewinnen
Während diese Art der Finanzierung bereits nach der Finanzkrise 2008 einen Popularitätsschub erlebte, waren die Unternehmen im vergangenen Jahr erneut besorgt über die Auswirkungen verspäteter Rechnungszahlungen, und das zu einer Zeit, in der der Zugang zu Liquidität für viele Unternehmen aufgrund unter anderem wegbrechender Umsätze überlebenswichtig war.
Dies förderte das Wachstum von Supply Chain Finance Lösungen, mittels welcher größere Einkäufer ihre eigenen Lieferanten vor Liquiditätsengpässen bis hin zur Zahlungsunfähigkeit schützen wollten, indem sie mehr und größere Finanzfazilitäten für sie einrichteten. Diese Fazilitäten boten ihren Lieferanten einen schnelleren Zugang zu mehr und billigeren Finanzierungen, die auf der Kreditwürdigkeit der Abnehmer basiert. So kann Geld zu einer niedrigeren Marge aufgenommen werden, als wenn das Unternehmen das Geld direkt bei ihrer eigenen Bank leihen würden.
Fazit – Supply Chain Finance erweitert den unternehmerischen Handlungsspielraum, nicht nur in Krisenzeiten
Anbieter digitaler Supply Chain Finance Plattformen bieten ein hohes Maß an Flexibilität. Die Nutzungsintensität der Programme hängt davon ab, wann Unternehmen zusätzliche Barmittel benötigen. Dies ist nicht nur in Krisenzeiten eine relevante Fragestellung. So können Programme für einzelne Rechnungen in einem spezifischen Zeitraum aktiviert, oder aber für einen kontinuierlichen Strom von Rechnungen genutzt werden. Ein Modell, das nicht nur in Krisenzeiten genutzt werden sollte, sondern auch darüber hinaus für weiteren Spielraum in der beispielsweise Einkaufsstrategie genutzt werden kann. So können saisonal bedingte Liquiditätsengpässe ausgeglichen oder neue Einkaufstrategien mit erhöhten Stückzahlen realisiert werden. Über das Jahr werden Zahlungsein- und Ausgänge gewissermaßen geglättet, wodurch eine höhere Planungssicherheit bezüglich liquider Mittel geschaffen wird.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 116, November 2021
Autoren: Börries Többens, Partner, Finance and Treasury Mangement, KPMG AG; Julian Fisahn, Manager, Finance and Treasury Mangement, KPMG AG
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1 The Global Treasurer, „Covid-19 turbo charges take-up of Supply Chain Finance” (18.10.2021)
2 Technik+Einkauf, „Was tun bei einer Lieferanteninsolvenz?“ (12.05.2021)
Börries Többens
Partner, Financial Services, Finanz- und Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft