Der European Green Deal wurde von der Europäischen Kommission am 11. Dezember 2019 mit dem Ziel vorgestellt, dass die Mitglieder der Europäischen Union bis 2050 ihre Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null reduzieren. Ein wesentlicher Bestandteil zur Erreichung der im Green Deal Konzept formulierten politischen Ziele ist das nachhaltige Finanzwesen („Sustainable Finance“). Bislang beschäftigt der Green Deal vor allem die Bankenwelt. Doch auch im Corporate Treasury wird zunehmend deutlich, dass sich hier einerseits neue Handlungsspielräume eröffnen, andererseits auch operative Herausforderungen auftun und die Verantwortung des Treasurys hinsichtlich des gesamtunternehmerischen Marktauftritts wächst. 

Was bedeutet eigentlich ESG?

Der Begriff „Sustainable Finance“ bezieht sich auf den Mechanismus, bei Investmententscheidungen sowohl umwelttechnische, soziale als auch Governance-bezogene Aspekte einfließen zu lassen. Dies soll zu langfristig ausgerichteten und nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten und Projekten führen. Dadurch ist dieser Mechanismus, oft betitelt durch die drei Buchstaben E (Environment), S (Social) und G (Governance) einer der fundamentalen Bestandteile des ehrgeizigen European Green Deal. Unter ESG versteht die Europäische Union im Wesentlichen das Folgende:

Environment: Ökologische Erwägungen beziehen sich auf den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel sowie auf die Umwelt im weiteren Sinne, zum Beispiel auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die Vermeidung von Umweltverschmutzung und die Kreislaufwirtschaft.

Social: Soziale Überlegungen umfassen Fragen der Ungleichheit, der Inklusivität, der Arbeitsbeziehungen, der Investitionen in Humankapital und Gemeinden sowie auf Menschenrechtsfragen.

Governance: Die Führung öffentlicher und privater Institutionen – einschließlich der Managementstrukturen, der Beziehungen zu den Mitarbeitern und der Vergütung von Führungskräften – spielt eine grundlegende Rolle bei der Sicherstellung der Einbeziehung sozialer und ökologischer Überlegungen in den Entscheidungsprozess.

Die Corporate Treasury Einheit als eine der wesentlichen Schnittstellen eines Unternehmens zu Investoren und Kapitalmärkten zeigt bezüglich dieser neuen Entwicklungen eine besondere Exposition. Unter den ESG-Ambitionen entwickeln sich neue Produkte und an Marktakteure werden neue Anforderungen gestellt. Hieraus ergeben sich entsprechend besondere Herausforderungen für das Corporate Treasury.

Etablierung neuer Vehikel zur Refinanzierung

Mit sogenannten Green Bonds, Green Loans und in Deutschland auch Green Schuldscheinen hat sich ein immer noch recht junger aber mittlerweile doch etablierter Markt neuer Refinanzierungsprodukte entwickelt. 

Grundprinzip dieser (Re-)Finanzierungsprodukte ist, den entsprechenden Erlös für nachhaltige Produkte oder Projekte einzusetzen. Voraussetzung ist demnach, dass die damit in Zusammenhang stehenden Unternehmensaktivitäten so zugeschnitten werden, dass diese die ESG-Kriterien erfüllen. Dabei existieren relativ viele Freiheitsgrade, da die entsprechenden Kriterien vom Unternehmen selbst bestimmt werden. In der Regel wird zusätzlich eine sogenannte Second Party Opinion einer Nachhaltigkeitsagentur eingeholt.

Neue Anforderungen gleich neue Herausforderungen?

ESG kann als nützlicher Hebel dienen, den Zugang zu Kapitalmärkten zu erleichtern und gegenüber Vertragspartnern attraktive Konditionen zu erzielen. Neben diesen neuen Möglichkeiten, die durch Sustainable Finance entstehen, hat sich in den letzten anderthalb Jahren herauskristallisiert, dass umfangreiche zusätzliche Informationsbedarfe durch den institutionellen Sektor an Unternehmen herangetragen werden. Dabei dient insbesondere der Bankensektor als Multiplikator für die EU: In entscheidenden banken-aufsichtsrechtlichen Papieren wurde und wird eine Verankerung von ESG-spezifischen Themen in bankeninternen Prozessen vorgenommen, die sich unmittelbar auf die Kundenbeziehung zwischen Bank und Unternehmen auswirken. Über den Umweg der Kreditinstitute sind die Bankkunden dann ebenfalls von den Auswirkungen betroffen. Hervorzuheben ist aktuell die Vorgabe der Bankenaufsicht (Teil der EBA Guideline Loan Origination and Monitoring (LOaM)), die Verankerung von ESG-Risiken in Kreditentscheidungen vorzusehen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Verankerung bleibt den Kreditinstituten selbst überlassen, jedoch wird bei vielen Instituten ein ESG-Score oder ein ESG-Rating in den Kundenkonditionen berücksichtigt werden. Mit weitreichenden Folgen für die Unternehmen:

  • Zukünftig müssen im Rahmen der Darlehensverhandlungen zusätzliche Informationsbedarfe der Institute bedient werden.
  • Die entsprechend zugelieferten ESG-relevanten Parameter haben Auswirkungen auf die Konditionen der verhandelten Darlehen. Für Unternehmen, deren ESG-spezifische Bewertung negativ ausfällt, wird es im Zeitverlauf schwieriger, wettbewerbsfähige Konditionen durch die Kreditgeber gestellt zu bekommen. Der Zugang zu Fremdkapital wird dadurch erschwert.
  • Auch während der Darlehenslaufzeit spielen immer häufiger ESG-bezogene Kennzahlen, beispielsweise im Kontext von Covenants, eine Rolle. 

Über aufsichtsrechtliche Themen hinaus merken insbesondere Unternehmen, die an den Aktienmärkten gelistet sind, dass die Themen Nachhaltigkeit und ESG derzeit „en vogue“ bei (potenziellen) Investoren sind. So muss auch hier ein zunehmend größer werdender Informationsbedarf befriedigt werden – herangetragen von der Hausbank, von Kreditgebern oder direkt von Investoren – um weiterhin attraktiv für den Kapitalmarkt zu bleiben.

Auswirkungen auf das Corporate Treasury

Vor allem der gewachsene Informationsbedarf muss durch die Corporate Treasury Abteilungen gedeckt werden. Doch die beschriebenen Entwicklungen wirken darüber hinaus aus mehrerlei Hinsicht auf das Treasury:

  • Als direkte unternehmensinterne Schnittstelle zu Kreditgebern muss das Treasury verstehen, wie Banken das Unternehmen hinsichtlich der ESG-Kriterien bewerten. So besteht die Möglichkeit zielgerichteter Maßnahmen, um die Bankenbewertung zu optimieren und weiterhin einen attraktiven Zugang zu Fremdkapital zu erhalten. Die Treasury Einheit in der Rolle des internen Beraters rückt hierbei bezüglich der strategischen Ausrichtung des Unternehmens somit mehr in den Fokus. Mit dem Ziel, die Bewertung des Unternehmens durch Kreditgeber zu optimieren und so weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.
  • Das effiziente Bedienen der neu entstandenen externen sowie internen Informationsbedarfe hat Auswirkungen auf die existierende IT- und Berichtsinfrastruktur. Dabei geht es beispielsweise um die schnelle Identifikation von Transaktionen, die in Verbindung mit nachhaltigen Produkten oder Projekten stehen. Auch die Analyse „grüner Bestandteile“ des Capex/Opex oder des Umsatzes ist relevant, das heißt die Identifikation von Bestandteilen, die bereits die ESG-Kriterien erfüllen.
  • Eine Intensivierung der Schnittstellen in die Bereiche Verkauf, Einkauf, Controlling aber auch Investor Relations ist notwendig, um gemeinschaftlich den Herausforderungen zu begegnen.

ESG stellt die Corporate Treasury Abteilungen also zunächst vor neue Aufgaben, die bislang in vielen Unternehmen nicht als Teil der klassischen Treasury Funktion verankert waren. Die Kernverantwortlichkeiten der Treasury werden zwar auch in Zukunft in den Bereichen Liquidität, Funding und Risikomanagement verbleiben. Jedoch wird der Antrieb, sich als beratende und kollaborative Instanz innerhalb des Unternehmens zu positionieren mit wachsenden Anforderungen bzgl. ESG-Thematiken steigen. Umso mehr bietet ESG die Chance, das Selbstverständnis der Corporate Treasury Abteilungen als interner Berater und wertstiftende Unternehmensfunktion zu stärken.  

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 113, Juli/August 2021
Autoren: Nils Bothe, Partner, Finanz- und Treasury-Management, KPMG AG; Anna-Lena Remmel, Managerin, Finanz- und Treasury Management, KPMG AG