Nachdem wir im ersten Teil dieser Artikelreihe mit „EAM für den öffentlichen Sektor: IT-Konsolidierung“ den Blick auf ein klassisches Thema der IT gerichtet haben, werden wir nun das Potenzial von Enterprise Architecture Management (EAM) zur Unterstützung von Geschäftsaspekten und ganzheitlichen Vorhaben näher betrachten.

Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) ist eine der vordringlichsten Aufgaben, denen sich Behörden im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung gegenübersehen. Das OZG verpflichtet Bund, Länder und Kommunen bis Ende 2022 ihre Verwaltungsdienstleistungen über Verwaltungsportale beziehungsweise den Portalverbund auch digital anzubieten. Diese sind im OZG-Umsetzungskatalog definiert und nach Lebens- und Unternehmenslagen strukturiert. Die OZG-Umsetzung stellt die öffentliche Verwaltung vor unterschiedliche Schwierigkeiten.

Herausforderungen bei der Umsetzung des OZG

Bei der Einführung von elektronischen Verwaltungsdienstleistungen im Zuge der Umsetzung des OZG ist der prozess- und serviceorientierte Ansatz, der konträr zum traditionellen Organisationsaufbau von Behörden in Silostrukturen steht, die erste Herausforderung. Auch eine oft mangelnde ebenenübergreifende Koordination zwischen Behördenleitung, IT- und Fachabteilungen ist häufig Ursprung von Fehlentwicklungen. Ein Informationsmanagement, das die bedarfsgerechte Bereitstellung von Informationen steuert und eine zu Grunde liegende einheitliche und konsistente Datenbasis existieren meist bestenfalls in einzelnen Inselumgebungen. Die Dokumentation der geschäftlichen Ressourcen (Services, Prozesse, Rollen, etc.) und technologischen Ressourcen (Anwendungen, Systeme, Schnittstellen, etc.) ist vielfach mangelhaft und inkonsistent. Die Anwendungen und Systeme selbst sind in der Regel durch eine hohe Heterogenität, zahlreiche Redundanzen und Lücken, mangelnde Interoperabilität und nicht mehr anforderungsgemäße Leistungsfähigkeit geprägt. Der Vielzahl an in bester Absicht gestarteten Projekten im Bereich E-Government steht das Fehlen eines richtungsweisenden Rahmens und einer übergeordneten Strategie gegenüber. 

Weitere Herausforderungen wie Kommunikation, Organisationskultur und rechtliche Besonderheiten belegen eindeutig: Mit der Erstellung einiger Prozessmodelle, der Etablierung eines Workflowsystems und der Weiterentwicklung der Homepage der jeweiligen Behörde ist es nicht getan. Die digitale Umsetzung der im OZG geforderten Verwaltungsdienstleistungen erfordert grundsätzliche, ganzheitliche und nachhaltige Änderungen und eine zielgerichtete Transformation der Behörden.

EAM ermöglicht die Umsetzung des OZG

EAM ist keine speziell für die Definition von Verwaltungsdienstleistungen und ihrer Leistungserstellungsprozesse entwickelte Methode. EAM liefert auch kein universelles Vorgehensmodell, mit dem die Digitalisierung des behördlichen Leistungsangebots bis auf kommunale Ebene genau nach Vorgabe und mühelos zu realisieren ist.

EAM generiert vielmehr einen in der Industrie erprobten Ansatz, um die notwendige Weiterentwicklung der Verwaltung und ihre grundlegende Befähigung zur Bereitstellung bürger- und unternehmensorientierter Leistungen zu ermöglichen und diese dann auch dauerhaft zu steuern. Viele der genannten Herausforderungen bei der Umsetzung des OZG gehen über die elektronische Bereitstellung der 575 im Umsetzungskatalog gelisteten Verwaltungsdienstleistungen weit hinaus und erfordern eine tiefgreifende Veränderung und Neuausrichtung der Behörden. Für diesen dauerhaften Prozess liefert EAM den notwendigen ganzheitlichen Ansatz. Gleichzeitig wird eine starke methodische Grundlage bereitgestellt, um mittels Architekturen und Modellbildung Strukturen und Verhalten der Organisation zu erfassen, zu analysieren und zielgerichtet neu auszurichten. Dabei kommt wiederum der ebenenübergreifende Ansatz von EAM zur Geltung.

Im Folgenden betrachten wir einen Ausschnitt einer Architektur, genauer gesagt ein (stark vereinfachtes) Meta-Modell einer Enterprise Architecture (EA), das eine Reihe von für die zu digitalisierende Verwaltungsdienstleistung relevanten Elementen und Beziehungen umfasst. Hiermit soll exemplarisch gezeigt werden, wie durch EAM die tiefgehende Verknüpfung einer OZG-Verwaltungsdienstleistung in der Behörde sichtbar gemacht und im nächsten Schritt ausgewertet und gesteuert werden kann.

Metamodell einer ebenenübergreifenden EA. Zentrales Element ist die Verwaltungsdienstleistung (eigenes Modell basierend auf ArchiMate 3.1®).

Metamodell einer ebenenübergreifenden EA. Zentrales Element ist die Verwaltungsdienstleistung (eigenes Modell basierend auf ArchiMate 3.1®).

Zentrales Element der hier dargestellten Architektur ist die Verwaltungsdienstleistung, die durch die Behörde zu digitalisieren ist. Sie ist über verschiedene Ebenen hinweg mit wichtigen Ressourcen der Organisation verbunden: Zunächst sind die Stakeholder verknüpft und stehen in Beziehung zur Verwaltungsdienstleistung. Diese ist darüber hinaus mit den Zielen der Organisation assoziiert, denn selbstverständlich müssen sich die bereitgestellten Leistungen einer Behörde in deren Zielkaskade einsortieren. Mit Blick auf die Realisierung der Verwaltungsdienstleistung ist der Leistungserstellungsprozess verknüpft. Er wird von Prozessverantwortlichen verantwortet und verarbeitet Geschäftsobjekte, die durch Daten realisiert und von Applikationen verarbeitet werden. Applikationen selbst haben Schnittstellen und stellen Applikationsfunktionen bereit, die die Ausführung des Leistungserstellungsprozess unterstützen. Um die Applikationen betreiben zu können, sind diese über Technologieschnittstellen mit Technologieknoten (zum Beispiel Servern) verbunden, die zusammen mit verschiedenen Endgeräten Teile von Netzwerken sein können.

Basierend auf einer gemäß dem dargestellten Meta-Modell erfassten Architektur lassen sich verschiedene Analyse- und Steuerungsfunktionen ausführen. Es können an Hand einer Ist-Architektur Beziehungen ausgewertet, kritische Abhängigkeiten identifiziert und Schwachstellen aufgedeckt werden. Mit Hilfe der Entwicklung von Soll-Architekturen können zukünftige Zustände der EA entworfen und umgesetzt werden. Somit kann ermöglicht werden, dass alle für die Realisierung einer Verwaltungsdienstleistung relevanten Ressourcen der Organisation bekannt und verstanden sind sowie zielgerichtet als Teil der Gesamtarchitektur entwickelt werden. Die oben aufgezeigten Herausforderungen bei der OZG-Umsetzung  - zum Beispiel die Schwierigkeiten mit siloübergreifenden Prozessen, die Interoperabilität, das Informations- und Datenmanagement  - können somit zielgerichtet adressiert und beherrscht werden.

EAM unterstützt OZG-Realisierungsprojekte

Auf Grund des Zeitdrucks, der durch die Umsetzungsfristen des OZG auf der einen Seite besteht und der dem gegenüberstehenden beschränkten Ressourcen, ist ein pragmatischer und zielgerichteter Ansatz bei Projekten zur Umsetzung von Verwaltungsdienstleistungen besonders wichtig. Einerseits gilt es daher, derartige Projekte nicht durch eine übermäßig komplexe Einführung von EAM-Prozessen und -Werkzeugen zusätzlich zu erschweren. Andererseits sollten die dargestellten Vorteile eines Einsatzes von EAM zur Beschleunigung und Mittel zum Erfolg der Umsetzung des OZG genutzt werden.

Die Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs ist der Einsatz von schlanken und smarten EAM-Ansätzen. Durch den Rückgriff auf Best Practices und die umfassenden Erfahrungen von KPMG als Business-Transformation-Berater können zielgerichtet bewährte EAM-Methoden ausgewählt und genutzt werden, um erfolgreich bei der Umsetzung des OZG zu sein. EAM wird dabei schrittweise im Projekt und in der Organisation als Methode eingeführt und etabliert  - ohne Überforderung von Budget und Personal sowie stets orientiert am unmittelbaren Nutzen und Mehrwert für unsere Kundschaft.

Mitautor des Beitrags ist Martin Czerwick, Consulting, Public Sector, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft