Die Erstellung von Prognosen über die Predictive Analytics Methode findet bereits in vielen Unternehmensbereichen Anwendung. In vorherigen Newslettern haben wir uns bereits mit Analytics-Ansätzen im Treasury auseinandergesetzt. So wurde in der Newsletter-Ausgabe März 2020 Predictive Analytics im Cash Forecasting bereits beleuchtet. Die im Juni 2020 veröffentliche KPMG-Umfrage zum „Intelligent Treasury“ ergab noch, dass mit einem Fünftel ein relativ geringer Anteil der Treasurer beabsichtigt, Analytics-Methoden im Treasury anzuwenden.
Das Interesse an dem Themengebiet ist aber ungebrochen und für uns Grund genug, die Anwendungsbereiche weiter zu vertiefen. Dieser Artikel basiert auf der Masterarbeit: „Predictive Analytics im Controlling - Erfolgsfaktoren der Implementierung im Forecasting“ von Dominic Störzer. Dabei sollen die gesammelten Erkenntnisse nach Möglichkeit auf den Anwendungsbereich des Corporate Treasurys übertragen werden und auf vorhandene Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede aufmerksam machen.
Predictive Analytics – Auch ein Fall für Treasurer?
Die Einführung neuer Arbeitsmethoden in finanznahen Abteilungen insbesondere im Treasury ist aktuell noch deutlich weniger fortgeschritten als im Marketing bzw. Vertrieb. Allerdings kann Predictive Analytics grundsätzlich überall dort Anwendung finden, wo große Datenmengen vorhanden sind und die Ableitung von Mustern für die zukünftige Erkenntnisgewinnung im Vordergrund steht. Die Vorteile der Automatisierung des Treasury Managements erschöpfen sich aber nicht nur in einer verbesserten Entscheidungsgrundlage und der gesteigerten Produktivität. Hinzu kommen zum Beispiel die Reduktion von Fehlerquellen, nachvollziehbare Prozesse und Revisionssicherheit. Die neu gewonnene Transparenz für das Finanzmanagement hilft nicht nur unternehmensinternen Stakeholdern, sondern wird immer häufiger auch von Investoren und Banken honoriert.
Im Folgenden werden neben der Liquiditätsplanung weitere potenzielle Einsatzmöglichkeiten von Predictive Analytics im Treasury aufgeführt:
- Financial Modelling zum Zweck der Maßnahmenplanung und Kontrolle auf Basis verschiedener Szenarien und Eintrittswahrscheinlichkeiten
- Working Capital Management für die präzisere Steuerung der Laufzeiten von Forderungen und Verbindlichkeiten sowie insbesondere der Lagerdauer
- Mustererkennung bei der Kontoauszugsverarbeitung beim Abgleich von offenen Posten und Zuordnung zu Nebenbuchkonten
- Dynamische Cash Flow Vorschau als Basis der zukünftigen Zahlungsfähigkeit bzw. des Zahlungsverkehrs
- Finanzrisiken quantifizieren und priorisieren anhand verschiedener Chancen-Risiko Portfolios auch als Schnittmenge zum Risikomanagement
- Tages bzw. wochengenaue Zins-, Fremdwährungs- oder Rohstoffprognosen
Welche Voraussetzungen müssen geschaffen sein? – Die Erfolgsfaktoren
Zahlreiche grundlegende Voraussetzungen für die oben genannten Anwendungsfälle müssen im Unternehmen geschaffen werden, damit diese Vorhaben erfolgreich sind.
COVID-19
Die COVID-19 Pandemie konnte durch Predicitve Analytics Tools weder eine verbesserte Performance im Vergleich zu manuell erstellten Forecasts erzielen, noch wurde dadurch deren Nutzungsintensität erhöht.
Derartige prognostische Methoden entfalten erst unter normalisierten Bedingungen, also außerhalb von Sondersituationen mit ihrer einhergehenden Verzerrung von Daten, ihr volles Potenzial. Hervorzuheben ist eine gesteigerte Güte von Predictive Analytics in Bezug auf die Trendumkehr, also der erneute wirtschaftliche Aufschwung nach dem ersten „Lockdown“. Dieser wurde vor allem dort wahrgenommen, wo externe Prädiktoren Bestandteil des Prognosemodells waren und einen Zusammenhang zur konjunkturellen Entwicklung im weiteren Jahresverlauf von 2020 abbildeten. Überträgt man diesen Sachverhalt zum Beispiel auf die Bewertung von Commodities so hätten vorlaufende konjunkturelle Indikatoren vermutlich ebenfalls eine präzisere Trendumkehr identifiziert. In jedem Fall hat die COVID-19 Krise (potenziellen) Predictive Analytics Anwendern dazu verholfen ein besseres Verständnis für deren Funktionsweise sowie deren situativ bedingte Performance zu entwickeln.
Personelle Anforderungen
Für die Entwicklung von Predictive Analytics Anwendungen haben sich cross-funktionale Teams als Kombination aus Domänen-, Data Science- und IT-Experten bewährt. Die Weiterentwicklung des Fachbereichs wie Controlling oder Treasury als Domänenexperten hin zum Business Partner des Managements mit Kenntnissen im Bereich der Data Science ist sowohl Folge also auch Erfolgspotenzial von Predictive Analytics Tools.
Bewährtes Vorgehen
- Definition des angestrebten Ziels inklusive eines Verständnisses des Geschäftsmodells und unternehmensinterner Zusammenhänge
- Verständnis der Daten und in welcher Form diese zur Verfügung stehen bzw. bereinigt werden müssen; eine niedrige Datenqualität ist nach wie vor Haupttreiber für Misserfolge
- Aufstellung der statistischen Modelle im Einklang mit den internen (und externen) Daten und dem Geschäftsmodell
- Laufende Evaluation und Optimierung der Modelle
Im Treasury bekommt ein vollumfängliches Verständnis des Geschäftsmodells wie im Controlling eine immer größere Bedeutung. Wesentlicher Anknüpfungspunkt ist die Erfassung zahlungsstromorientierter Finanzmittelflüsse und damit ein Verständnis bestimmter prozessuale Treiber der Liquiditätsteuerung.
Auswahl der die Implementierungsbreite – und tiefe
Im Zusammenhang zu der eben beschrieben Vorgehensweise steht die Implementierungsbreite und -tiefe. Bei der Breite der Implementierung konnten einerseits ressourcenschonende Ansätze mittels „Proof of Concept“ und andererseits auch vorab skalierbare Großprojekte Erfolge erzielen. Abzustellen ist bei der konkreten Entscheidung auf den Reifegrad der Organisation, der personellen Kompetenz und die Daten- und IT-Infrastruktur. Je kleiner ein Unternehmen ist desto eher ist ein risikoaverser Ansatz über ein erstes „Prototyping“ zu empfehlen.
Bei der Tiefe der Implementierung des Predictive Analytics Forecasts liegt der Fokus auf steuerungsrelevanten Kennzahlen, dem „Big Picture“. Manuelle Forecasts sind in der Regel granularer aufgebaut, was sie aufwendiger und weniger steuerungsrelevant erscheinen lässt. Der Prozess der Forecasterstellung sowie der Ablauf der automatisierten Prognose sollten durch eine reduzierte Darstellung der KPI’s verschlankt werden. Dieser eher methodische Erfolgsfaktor lässt sich direkt auf das Treasury übertragen.
Big Data und externe Treiber
Die dem Prognosemodell zugrundeliegende Datenbasis sowie deren Bereinigung kann als ausschlaggebend für die Prognosequalität angesehen werden. Zentrale und einheitlich strukturierte Datensysteme sind bei vielen Unternehmen noch nicht anzutreffen oder nicht in hinreichender Qualität vorhanden, weshalb in der Praxis über saubere Schnittstellen auch aus dezentralen Silolösungen Daten gezogen werden müssen. Etwaige vorgelagerte Projekte der Datenzentralisation sind zwar zu empfehlen, stoßen jedoch oftmals aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Anforderungen auf Ablehnung.
Die Integration von unstrukturierten Daten in Finanzforecasts ist weitestgehend unerschlossen und bietet einen ungeklärten Mehrwert. Bei der Fokussierung auf reine Absatzforecasts konnten hingegen im Einzelhandel metrologische (Wetter-) Daten die Performance von Predictive Analytics erhöhen.
Grundsätzlich ist der Einsatz von externen Daten und Big Data bei jedem Predictive Analytics Modell zu empfehlen, da das gesamte statistische Modell robuster gegenüber Marktschwankungen wird. Problematisch ist das Herleiten der Kausalität des externen Indikators zur prognostizierten Kennzahl, weshalb diejenigen Systeme in der Praxis in der Unterzahl sind. Besonderer Fokus ist bei der Evaluierung des Einbezugs externen Daten auf das Geschäftsmodell des Unternehmens zu legen. Bei zyklischen Geschäftsmodellen könnten sich vorlaufende Indikatoren als Einbezug in das Predictive Analytics Modell verstärkt anbieten. So führt beispielsweise eine steigende Konjunktur tendenziell zu einer Vermehrung von Einzahlungsvorgängen in Unternehmen, was auch für eine entsprechende Treasury Applikation von Nutzen sein kann.
Auswahl der Prognosemethoden
Die lineare Regression bietet einen ressourcenschonenden Ansatz, der im Kleinen schon von findigen Controllern in Microsoft Excel gute Prognosen liefern kann. Je komplexer ein Geschäftsmodell oder die Größe eines Unternehmens ist, desto eher ist ein heterogenes Bündel aus ARMA- und Supportive Vector Machine-Modellen zu empfehlen. Einen „Meta-Algorithmus“ als übergeordnete Instanz kann dabei eine gewisse Vorauswahl treffen, welche Algorithmen in der jeweiligen Situation die besten Ergebnisse erzielen. Derartige Systeme sind ungleich wartungs- und fehleranfälliger als eine vergleichsweise simple und robuste lineare Regression, können dafür aber komplexere Zusammenhänge zwischen den Variablen abbilden. Im Treasury sind Forecasts, die auf die Steuerung der GuV gerichtet sind weniger relevant als beispielsweise Cash Prognosen. Hier spielt die genaue Auswahl des Algorithmus eine wichtige Rolle. Kurzfristige Cash Forecasts müssen vermehrt Extrema abbilden können, ohne diese „Ausreißer“ gleichzeitig bei Verwendung einer linearen Regression glatt zu ziehen. Demnach eignen sich, abhängig vom jeweiligen Prognoseziel, ARIMA Modelle für eine Anwendung im Treasury deutlich mehr als dies im Controlling der Fall sein muss. Lineare Regressionen sind für Cash Prognosen weitestgehend ungeeignet.
Prognosequalität
Bei der Validierung der Modelle ist neben statistischen Gütekriterien insbesondere in der Praxis das „backtesting“ zu empfehlen. Dabei werden die Modelle mit unterschiedlichen Altdaten erprobt, um das Modell mit der höchsten Präzision in einem anschließenden Ist-Abgleich zu selektieren oder schrittweise die Gewichtungen einzelner Variablen zu justieren. Zu Beginn derartiger Projekte laufen in der Regel maschineller und manueller Forecast parallel nebenher („dualtrack“). Die Akzeptanz und das Vertrauen in Predictive Analytics ist nach wie vor kritisch. Der zu Übergangszwecken und als Werkzeug der Befürwortung bzw. Validation geschaffene „dual-track“ verkommt dabei oft zu einer ineffizienten Dauerlösung. Dies muss langfristig durch ein dauerhaftes Top Management Commitment abgebaut werden. (Analog zum Treasurer)
Zeitlicher Aspekt
Die Frequenz, in der Forecasts aufgestellt werden, sollte durch Predictive Analytics nicht nur aufgrund der technischen Machbarkeit erhöht werden. Dabei ist der Forecast nach wie vor ein Instrument der Steuerung, weshalb ein monatlicher oder gar wöchentlich erstellter Forecast im Controlling keinen zusätzlichen Mehrwert bietet. Im Treasury hingegen kann die unter Umständen tagesgenaue Abbildung des Finanzstatus ausschlaggebend sein. Werden beispielsweise finanzielle Covenants verletzt, was eine unmittelbare Kredit Fälligstellung zur Folge haben kann, werden etwaige Zahlungsschwierigkeiten früher erkannt als bei manuellen Prognosen.
Fazit
Die in diesem Artikel dargestellten Erfolgsfaktoren von Predictive Analytics im Forecasting als Teilbereich des Controllings können auch auf das Corporate Treasury übertragen werden. Sie lassen sich sogar miteinander kombinieren und tragen somit zu einer höheren Konsistenz der Steuerungsinstrumente im Unternehmen bei. Wesentlicher Unterschied von Forecasts in Controlling- bzw. Treasury Abteilungen ist lediglich ein andersartiger Fokus der Steuerungsgrößen. Dabei stehen im Controlling hauptsächlich Ergebnis orientierte Größen wie unter anderem Absatzmengen, EBIT, EBITDA, Deckungsbeiträge oder variable und fixe Kosten im Vordergrund. Im Treasury Bereich wird diese GuV getriebene Steuerung eher auf Liquiditätsvorschauen, Finanzierungs- und Risikoszenarien gerichtet. Der Hauptunterschied zwischen beiden Fachbereichen liegt in der unterschiedlichen Abbildung des statistischen Modells, bedingt durch die Anforderungen an den Algorithmus. Dennoch überwiegen die Gemeinsamkeiten, insbesondere im methodischen Doing von Predictive Analytics, wobei im Vergleich zum manuellen Forecast qualitative, zeitliche und prozessuale Vorteile gehoben werden können.
Es ist daher ratsam, sich funktionsübergreifend über den Einsatz von Predictive Analytics Methoden auszutauschen, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, um Skaleneffekte und Konsistenz in der Unternehmenssteuerung zu erzielen.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 118, Januar/Februar 2022
Autoren:
Börries Többens, Partner, Finance and Treasury Management, KPMG AG
Daniel Müller, Senior Manager, Finance and Treasury Management, KPMG AG
Börries Többens
Partner, Financial Services, Finanz- und Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft