In unserer Ausgabe 151 aus Januar/Februar 2025 des KPMG Corporate Treasury Newsletters waren wir bereits in die Tiefen des klassischen Kontrahentenrisikos eingetaucht und auf aktuelle Entwicklungen eingegangen. Aufbauend darauf, sehen wir uns in dieser Ausgabe das klassische operative Credit Management unter Einbezug von Kreditversicherungslösungen genauer an.

„Die schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen“, hieß es bereits vor über 200 Jahren in der Adaption des Märchens Aschenputtel der Brüder Grimm. Und die Redewendung hat bis heute nichts an Aktualität in Bezug auf Risikomanagement und Kreditversicherungen eingebüßt. 

Im Kontext der Versicherungsbranche ist hierbei häufig von „Cherry Picking“ die Rede. Im Rahmen sogenannter Forderungspools (in der Regel werden ganze Forderungsbündel abgesichert) neigen Versicherungsnehmer dazu, risikoärmere Forderungen aus dem Pool zu entfernen und den Versicherungsumfang auf ausgewählte Hochrisiko-Forderungen zu beschränken, was wiederum zulasten des Versicherers fällt.

Wie Versicherer Cherry Picking aufdecken

Um dieser Form des Cherry Pickings zuvorzukommen, folgt die Vertragsgestaltung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsgeber meist einem zweistufigen Verfahren. Zunächst prüft der Versicherer einen repräsentativen Teil des Forderungsportfolios in Form einer Vorprüfung, bevor in der Folge ein Rahmenvertrag gestaltet wird. Diese Vorprüfung dient einerseits als Grundlage der späteren Versicherungsleistung, andererseits nutzt der Versicherer den Portfolioeinblick, um die Versicherungsprämie mit einer adäquaten Risikokomponente auszustatten. Je nach Branche und Portfolio kann dies zu Vergünstigungen oder Teuerungen der Versicherungsprämie führen. Darüber hinaus wird offensichtlich, ob das angediente Debitorenportfolio sich auf Hochrisikotickets beschränkt, der potenzielle Versicherungsnehmer also versucht die „schlechten“ Risiken ins „Kröpfchen“ des Versicherers zu bewegen, während die „Guten“ im eigenen „Töpfchen“ verbleiben, um so Versicherungsprämien einzusparen.

Kreditversicherung im operativen Betrieb

Im laufenden Versicherungsbetrieb erfüllt der Versicherungsnehmer die in der Versicherungspolice vereinbarten Obliegenheiten, um weiterhin Versicherungsschutz zu genießen. So sind Debitoren ab einem bestimmten Forderungsvolumen beim Versicherer zur Prüfung zu melden (man spricht vom sogenannten „benannten Bereich“). Der Versicherer hat dann die Möglichkeit den Versicherungsschutz für einzelne Debitoren individuell, beispielsweise in Form einer Vollzeichnung, Teil-Genehmigung oder Ablehnung, zu beantworten. Zur Veranschaulichung sei an dieser Stelle auf die nachfolgende Abbildung 1 verwiesen, die das Dreiergespann aus Versicherer, Ihrer Firma (i.e. Versicherungsnehmer) und Abnehmer (i.e. Debitor) visualisiert. Während zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer der vertragliche Risikotausch Versicherungsschutz gegen Prämie stattfindet, überwacht und steuert der Versicherer kontinuierlich die Forderungspositionen gegenüber den Abnehmern.

Abb. 1 Versicherungsdreieck

Abb. 1 Versicherungsdreieck

Quelle: KPMG AG

Der frühzeitige Eingriff des Versicherers über Limitkürzungen oder gar Streichungen führt im operativen Betrieb zur Reduktion oder gar Vermeidung von Ausfällen. Zur Früherkennung solcher sich manifestierenden Risiken verfügen Versicherer über ein breites Netzwerk an Informationen und Bewertungsverfahren. Insbesondere schätzen Versicherungsnehmer an ihren Versicherern, dass sie nahezu in Echtzeit Zahlungsverzögerungen auch bei anderen Versicherungsnehmern feststellen können und diese sofort in die Risikobewertung einbeziehen.

Kreditversicherung in der näheren Betrachtung

Im Allgemeinen lässt sich die Kreditversicherung als ein Tausch von sicheren Zahlungen (definitiv gegenwärtige Prämienzahlung) gegen Unsichere (durch Eintritt des Versicherungsfalls bedingte und damit nicht sichere Ausgleichszahlung) definieren. Anders ausgedrückt wälzt der Versicherungsnehmer durch die Zahlung einer Prämie einen Teil seiner Einkommensunsicherheit auf den Versicherungsgeber über. Gemeinhin lässt sich die Kreditversicherung in zwei Varianten unterteilen: Die klassische Kreditversicherung, die dem Portfolio-Ansatz folgt, und die Einzelabsicherung, die auf Debitoren-, Projekt- oder sogar Einzelforderungsebene abstellen kann (und damit ganz besonders zu „Cherry Picking“ verleitet). Dazu kommen weitere Varianten und Mischkonzepte wie z.B. Excess-of-Loss Versicherung, Einzelforderungsversicherung oder Factoring-Lösungen, die in diesem Artikel nicht näher beleuchtet werden.

Bei der klassischen Form der Debitorenversicherung versichert der Versicherungsgeber in der Regel das gesamte Forderungsportfolio seines Versicherungsnehmers zu einer vertraglich bestimmten Entschädigungsquote (gängige Praxis: Absicherung zu 90% der Nettoforderung). Dabei ist der Versicherungsnehmer dazu verpflichtet, die Limite seiner versicherbaren Positionen aktiv zu monitoren, um keine unversicherten Geschäfte einzugehen, beispielsweise nach bonitätsbedingter Ablehnung eines Debitors oder Ausbau der Geschäftsbeziehung. Der Versicherungsgeber wiederum profitiert von der Prämienzahlung und der Diversifikation des eigenen Risikoportfolios. Typisch für diese Art der Forderungsversicherung sind sogenannte Mantelverträge, damit eine stabile Struktur des Kreditportfolios gewährleistet werden kann. Der Mantelvertrag definiert die Parameter für wiederholt vorkommende Sicherungsgeschäfte zwischen den beiden Vertragsparteien. Zu den Parametern können beispielsweise maximal vereinbarte Zahlungsziele, Versicherungsquote, Mindestprämie oder auch anderweitige operative Regelungen wie Meldefristen, Wartefristen oder Inkasso-Regelungen gehören.

Im Gegensatz zur Versicherung eines ganzen Kreditportfolios können auch einzelne Risikopositionen selektiv versichert werden. Gründe dafür können z.B. Aufträge von Neukunden, ausgewählte Großkunden oder auch einmalige Projekte sein. Häufig wird solchen Geschäften kein Rahmenvertrag zugrunde gelegt, da die Geschäftsbeziehung in der Regel nicht auf Langfristigkeit ausgelegt ist. Voraussetzung für diese Form der singulären Forderungsversicherung ist eine ausreichende Mindestgröße der Forderung. 

Anzahl und Volumina der Unternehmensinsolvenzen ziehen wieder an

Um zu verstehen, welche Bedeutung Kreditversicherungen als ergänzendes Instrument des Kreditmanagements für Treasury Organisationen haben, genügt ein Blick auf die finanziellen Schäden durch Unternehmensinsolvenzen der letzten Jahre. Waren 2019 noch finanzielle Schäden in Höhe von 23,5 Mrd. € entstanden, lag die Schätzung für 2024 bereits bei 56 Mrd. €. So berichtete Creditreform in der Veröffentlichung „Insolvenzen in Deutschland 2024“ im Dezember 2024. Das entspricht einem Anstieg von knapp 240%. Ein direkter Zusammenhang zwischen den finanziellen Schäden und der absoluten Anzahl an Insolvenzen ist nicht festzustellen (vgl. Jahr 2019 vs. 2024)1.

Abb. 2 Unternehmensinsolvenzen

Abb. 2 Unternehmensinsolvenzen

Quelle: KPMG AG

Daraus lässt sich ableiten, dass die Insolvenzen einem Mischportfolio aus kleinen wie großen Unternehmen entsprechen. Folgend dieser Annahme wird deutlich, dass die Versicherung des eigenen Forderungspools für eine Vielzahl an Unternehmen als attraktives Instrument zum Risikotransfer dienen kann. Stand 2023 nutzen laut dem Versicherungsmagazin ca. 600.000 Unternehmen Warenkreditversicherungen, was damals einer Abdeckung von ca. 18,4% der deutschen Unternehmen entsprach2.

Was bedeutet ein Ausfall für mein Unternehmen?

Zum besseren Verständnis, was ein einzelner Forderungsausfall für Unternehmen bedeutet, bedienen wir uns eines Rechenexperiments. Anhand der nachfolgenden Abbildung 3 werden die Auswirkungen von Forderungsausfällen auf den Umsatz deutlich: Verrechnet man den Schaden mit der Gewinnmarge (Kehrbruch), erkennt man, wie viel zusätzlicher Umsatz nötig wäre, um den Verlust wieder auszugleichen. Konkret bedeutet das, dass ein vergleichsweise „geringer“ Forderungsausfall in Höhe von 100.000 € bei einer Gewinnmarge von 10% erst durch Zusatzumsätze von 1.000.000 € aufgefangen würde. Je kleiner die Gewinnmarge, desto mehr Umsätze müssen neu generiert werden, um die entstandenen Schäden durch Forderungsausfälle zu kompensieren.

Abb. 3 Ausfälle vs. nötige Zusatzumsätze

Abb. 3 Ausfälle vs. nötige Zusatzumsätze

Quelle: KPMG AG

Je nach Risikoprofil lohnt es sich also, die volatilen Risiken gegen eine fixe Prämie (meist im Promillebereich bemessen am versicherbaren Umsatz) einzutauschen.

Für welche Risikoprofile lohnt sich das Instrument Kreditversicherung?

Zur Veranschaulichung des abstrakten Begriffs „Risiko“ und der davon abhängigen Risikoprofile werfen wir einen Blick in die nachfolgende Grafik Abbildung 4. Die Grafik illustriert auf stark vereinfachter Grundlage die vier Quadranten möglicher Risikoprofile. Die X-Achse repräsentiert geringe bzw. hohe Wahrscheinlichkeiten, dass sich Risiken manifestieren, visualisiert durch Anzahl und Breite der Schlaglöcher. Die Y-Achse zeigt dagegen die Höhe des Risikovolumens, veranschaulicht durch Falltiefe der Schlaglöcher.

Abb. 4 Risikoprofile in vier Quadranten

Abb. 4 Risikoprofile in vier Quadranten

Quelle: KPMG AG

Im Quadranten rechts oben sehen wir übersetzt auf Kreditrisiken ein Debitorenportfolio mit hohen Ausfallwahrscheinlichkeiten bei gleichzeitig hohen Schadensvolumen. Bei dieser Art Risikoportfolio scheint eine Absicherung naheliegend, da der Forderungsausfall praktisch vorprogrammiert ist. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass solche Profile vom Versicherer erkannt werden und durch Teilzeichnungen oder Ablehnung einzelner Debitoren aktiv gesteuert und ausgeschlossen werden. Somit ist die Kreditversicherung für dieses Profil nicht die beste Wahl. Vielmehr lautet hier die Empfehlung, sich strategisch mit dem Zielkundenportfolio auseinanderzusetzen, risikoärmere Kunden auszubauen und die Hochrisikopositionen sukzessive abzuschmelzen.

Der Quadrant unten rechts repräsentiert ein Profil, bei dem sich zahlreiche und oft regelmäßige, gleichzeitig kleinere Strukturschäden realisieren. Bei Geschäftsbereichen, die einem solchen Profil entsprechen, ist jeder Ausfall zwar ärgerlich, allerdings nicht existenzgefährdend. Hier lautet die Empfehlung, die gut prognostizierbaren, geringen Schäden selbst durch eine entsprechende Risikomarge zu würdigen, sofern dies im Markt umsetzbar ist. Ergänzend kann das aktive Kreditmanagement durch Bewertung mithilfe externer Wirtschaftsauskünfte in Kombination mit entsprechenden Geschäftskonsequenzen, z.B. das Erwirken von Vorkassenregelungen, der Risikofrequenz entgegenwirken.

Ähnlich verhält es sich beim Quadranten unten links. Bei diesem Profil realisieren sich mit geringer Wahrscheinlichkeit allenfalls kleinere Ausfälle. Die Anstrengungen im Kreditmanagement können sich hier auf die Portfoliobetrachtung nach Branche, Land und anderer Strukturfaktoren beschränken, um frühzeitig zu erkennen, falls sich das Risikoprofil ändert.

Im letzten Quadranten, der eine geringe Wahrscheinlichkeit mit hohen Risikovolumen verbindet, zeigt sich das interessanteste Potenzial für die Kreditversicherung. Als Versicherungsnehmer schützt man sich hier vor unwahrscheinlichen, jedoch existenzgefährdenden Worst-Case Szenarien. Für den Versicherungsgeber sind die wirtschaftlichen Risiken dagegen überschaubar, da er womöglich entstehende Versicherungsleistungen durch Diversifikationseffekte des eigenen Versicherungspools ausgleichen kann. Hier ist der Einsatz einer Kreditversicherung für beide Parteien wirtschaftlich attraktiv und eine klare Empfehlung.

Wie strukturiert man nun seine Kreditversicherung für den optimalen Kosten-Nutzen Mix?

Wenn wir erkannt haben, welche unserer Geschäftsbereiche oder Dienstleistungen welchem Risikoportfolio am ehesten entsprechen, können wir unser Portfolio als Risikomanager optimal strukturieren. So können wir beispielsweise Wertgrenzen bei Forderungsvolumen dazu nutzen, marginale Risiken mit geringem Volumen aus dem Portfolio zu heben (also die beiden unteren Quadranten). Beim Separieren der Wahrscheinlichkeitsprofile kann die Unterteilung von Ländern oder Kundenbranchen helfen. Vertraglich lässt sich dies in der Praxis in der Regel in einer Kreditversicherungspolice entsprechend einarbeiten, solange noch ein adäquater versicherbarer Umsatz bestehen bleibt.

Unser Corporate Treasury Advisory Team der KPMG hilft Ihnen gerne dabei, die optimale Kreditmanagement Struktur für Ihr Unternehmen zu entwickeln und umzusetzen. Von der Analyse der aktuellen Risikostruktur über die Entwicklung standardisierter Risikomanagement-Prozesse bis hin zur (technischen) Implementierung in die täglichen Geschäftsprozesse und Entscheidungsfindung begleiten wir Sie und Ihr Unternehmen mit unserer fachlichen und technischen Expertise. Auch im Change Prozess lassen wir Sie während und nach der Umsetzung nicht allein und helfen Ihnen beim Etablieren Ihrer individuellen Risikokultur. Sprechen Sie uns bei Interesse doch gleich darauf an.

Fazit

Die Ausgestaltung des Kreditmanagement-Mix und der Nutzen des Instruments Kreditversicherung ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Faktoren wie branchenspezifische Risiken, Unternehmensgröße und -struktur oder auch kulturelle Unterschiede haben erheblichen Einfluss auf die modulare Zusammenstellung des Service-Mix. Mit dem richtigen Ansatz lässt sich dieser Service-Mix für Ihr Unternehmen individualisieren und Instrumente wie die Kreditversicherung optimiert einsetzen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Marktbedingungen und steigender Insolvenz-Kennziffern lohnt es sich, das hauseigene Kreditmanagement zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Freuen Sie sich außerdem in unserem nächsten Newsletter (Ausgabe 154 im Mai 2025) auf einen Gastbeitrag der Experten der Professor Schumann GmbH. Hier werden wir auf system-technische Lösungen im operativen Credit Management eingehen und wie Sie damit Ihre Credit Management Organisation auf das nächste Level bringen.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 153, April 2025
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Lukas Kallup, Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG

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1 Creditreform (2024) Insolvenzen in Deutschland Jahr 2024. Verfügbar unter: https://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/central_files/News/News_Wirtschaftsforschung/2024/Insolvenzen_in_Deutschland/2024-12-16_AY_OE_analyse_UE-2024.pdf (Aufgerufen: 31.03.2025).
2 Schmidt-Kasparek, U. (2023) 'Jetzt in die Kreditversicherung einsteigen', Versicherungsmagazin. Verfügbar unter: https://www.versicherungsmagazin.de/rubriken/branche/jetzt-in-die-kreditversicherung-einsteigen-3430411.html (Aufgerufen: 31.03.2025).