Unser Gastautor Prof. Dr. Christian Debus gibt einen Rückblick auf 30 Jahre Treasury und was Treasurer daraus lernen können.
Auch wenn die folgenden Ausführungen nicht unbedingt wissenschaftlich belegbar sind und die Zeitangaben sicher diskutiert werden können (nach dem Motto „das hatten wir schon viel früher“), sollen nachstehend beschriebene Entwicklungen im Corporate Treasury eine Anregung dafür geben, welche Lehren für die Zukunft aus der Geschichte gezogen werden können.
Mitte der 90er Jahre überwogen in den Treasury-Abteilungen von Industrie- und Handelsunternehmen die manuellen Tätigkeiten. Finanzgeschäfte wurden im Buchhaltungssystem erfasst, wobei Derivate nur erforderlichenfalls als Drohverlustrückstellungen zum Abschlusstermin gebucht wurden. Die Liquiditätsplanung fand, wenn überhaupt, in Excel statt. Obwohl Zahlungen noch weitgehend beleghaft per Überweisung, Schecks und Wechseln erfolgten, gab es hierfür bereits elektronische Plattformen für die Bankenkommunikation. Das Treasury war entweder als Tätigkeit im Rechnungswesen integriert (die Governance-Regelungen waren damals noch nicht so strikt) oder wurde von wenigen Exoten mit Bankhintergrund und ohne viel Anbindung an andere Unternehmensfunktionen wahrgenommen.
Die Gründung des Verbands Deutscher Treasurer im Jahr 1997 markierte eine Art „Bewusstwerdung“ als eigenständige Unternehmensfunktion und damit der Notwendigkeit eines Berufsverbandes zwecks Informationsaustauschs und Interessenvertretung — insbesondere auch im eigenen Unternehmen. Parallel dazu gründeten sich Beratungsunternehmen und bei den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften entstanden eigenständige Teams für das Corporate Treasury. Angesichts der folgenden Ereignisse war das auch das Gebot der Stunde.
Die großen Herausforderungen für das Treasury begannen 1999 mit der Umstellung auf den Euro. Es folgte 2001 die Einführung der internationalen Rechnungslegungsstandards für Finanzinstrumente IAS 39 und FAS 133. Auf einmal mussten Derivate bewertet und bilanziert werden, Accounting und Treasury mussten miteinander kommunizieren und oftmals tauchten erstaunliche Transaktionen mit Auswirkungen auf die Bilanz und GuV auf, die vorher unerkannt geblieben waren. Damals schlug bei vielen Unternehmen die Stunde der Einführung spezialisierter Treasury-Management-Systeme.
Etwa 2003 sorgten die Ergebniseffekte diverser leichtfertig abgeschlossener strukturierter Produkte wie Constant Maturity Ladder Swaps, Target Redemption Forwards und anderer Derivate mit eingebetteten Optionen in vielen Fällen für Erstaunen und teilweise Panik aufgrund des Verschwindens größerer Teile des Eigenkapitals. Dies unterstrich die Notwendigkeit der Verbesserung der Bewertungsalgorithmen sowie der Festlegung von Hedging-Strategien.
Die vom IFRS 7 ab 2007 verlangten detaillierten Anhangangaben führten zu einer Ausweitung der Erfassung der Daten von Finanzinstrumenten und entsprechenden Erweiterungen der Treasury-Management-Systeme. Häufig waren die Module für Handel, Risikomanagement, Cashmanagement und Zahlungsverkehr schon implementiert, jetzt folgten die Accounting-Applikationen.
Ab dem Jahr 2008 rückten durch die Finanzkrise Liquiditätsplanung und Liquiditätsreserven an die Spitze der Agenda. Cash is King war ein damals häufig strapazierter Begriff und die Systemlandschaft musste entsprechend erweitert werden. Zudem offenbarte sich, dass Liquiditäts- und Kreditrisiko signifikante Bewertungsparameter darstellen, die Anpassungen an den Bewertungsalgorithmen notwendig machten —seitdem dürfte der Begriff Multicurve-Framework jedem Treasurer ein Begriff sein. Die damals begonnene Berücksichtigung des Kreditrisikos bei der Bewertung von Finanzinstrumenten wurde in Folge dann auch im IFRS 9 explizit gefordert.
Vier Jahre später der nächste große Aufreger: 2012 wurde die European Markets Infrastructure Regulation „EMIR“ veröffentlicht und in Deutschland 2013 umgesetzt. Die Notwendigkeit des Nachweises, dass nur risikomindernde Derivate eingesetzt werden, führte zu umfangreichen Diskussionen, insbesondere mit den zur Prüfung der Einhaltung der Regulierung bestimmten Wirtschaftsprüfern. Die Risikostrategie musste definiert und teilweise angepasst werden. Systeme zur Derivatemeldung wurden eingerichtet. Die in der Frankfurt School abgehaltene Fachtagung des VDT zu diesem Thema platzte aus allen Nähten.
Auch der Zahlungsverkehr unterlag zunehmend der EU-Regulierung. 2014 trat SEPA in Kraft, dem folgten weitere Regulierungen wie 2018 die Payment Services Directive PSD II, welche die Legitimierung von In-House Banken notwendig machte. Der VDT hatte hier gemeinsam mit einigen engagierten Mitgliedsunternehmen maßgeblich die Gespräche mit der BaFin geführt und bei der Bankenregulierung erfolgreich um Verständnis für die Besonderheiten des Corporate Treasury geworben.
Während der gesamten Zeit gab es immer mal wieder Preisschocks durch Währungsschwankungen wie die Aufwertung des CHF nach der Entscheidung der SNB, Abwertung des GBP nach dem Brexit, Verfall des Rubels nach der Krim-Invasion, der USD stieg 2003 um 20% und wertete 2005 um 14% ab. Seitdem hat so mancher Treasurer eine Marktmeinung aus seinen Hedging-Strategien verbannt und sich der automatisierte FX-Handel immer mehr durchgesetzt.
Signifikante Fälle von Cybercrime, die seit etwa 2016 gehäufter auftraten und als Bedrohung seitdem in Umfang und Methoden zunehmen, erforderten Anpassungen der Prozesse und Systeme im Zahlungsverkehr. Arbeitsanweisungen und Schulungen der Mitarbeiter, Erhöhung der Sicherheitslevels der Systeme, automatisierte Prüfungen auf Sanktionslisten und Betrugsversuche sind seitdem regelmäßig Gegenstand von Projekten im Treasury.
Die technologische Entwicklung und damit die Anpassung der IT-Systeme im Treasury sowie die Notwendigkeit einer Automatisierung hat sich insbesondere in den letzten 15 Jahren immer mehr beschleunigt. Künstliche Intelligenz wird vor allem bei der Liquiditätsplanung eingesetzt und es wird überlegt, wie der neueste Hype ChatGPT verwendet werden kann.
Auch die für das Treasury relevante Regulierung scheint munter weiterzugehen. Zwar wurde die CSRD und damit das ESG-Reporting in Deutschland nicht fristgerecht 2024 umgesetzt, aber auch hierbei dürfte das Treasury künftig in die Pflicht genommen werden. Die EMIR 3.0 wurde Anfang Dezember im EU-Amtsblatt veröffentlicht und tritt pünktlich zu Weihnachten in Kraft. Weitere aktuelle Regulierungsinitiativen der EU-Institutionen betreffen den Handel mit Emissionszertifikaten, die Emission von Geldmarktinstrumenten und Instant Payments.
Es war also ganz schön etwas los im Treasury während der letzten 30 Jahre, und die Entwicklung hat sich im Laufe der Zeit stetig beschleunigt. Aber welche Lehren können jetzt daraus gezogen werden?
Die Erkenntnisse sind — wie so häufig in Wissenschaft und Praxis — oftmals Trivialitäten, die aber dennoch in der Tagesarbeit gerne übersehen werden.
Die IT-Systeme werden immer leistungsfähiger und die Notwendigkeit einer Automatisierung nimmt stetig zu. Wesentliche Grundlage, um mit der Entwicklung Schritt zu halten, ist zum einen die Ausnutzung des vorhandenen Potenzials und zum anderen die Vereinheitlichung der bestehenden Prozesse, damit die Basis stimmt, bevor ein Upgrade erfolgt oder ein neues System eingeführt wird. Ein Standardsystem auf nicht standardisierte Prozesse aufsetzen zu wollen, führt ebenso wie der Versuch der Anpassung von Systemen auf althergebrachte Prozesse regelmäßig sowohl zu massiven Zeit- und Budgetüberschreitungen als auch zu Frustration bei den Projektbeteiligten. Eine Automatisierung setzt das Vertrauen auf die Funktionalität der Systeme voraus, dies erfordert einerseits eine stringente Qualitätssicherung in Form ausreichender Tests bei Einführung und Wartung. Andererseits bedeutet die notwendige hohe Datenverfügbarkeit und Datenqualität vor allem Aufräumen, Aufräumen und Aufräumen. Wenn der Treasurer mangels Vertrauens in die automatisiert erstellten Ergebnisse immer noch die generierten Hedges oder die Liquiditätsplanung im Detail kontrollieren will, ist wenig Effizienz gewonnen.
Man muss nicht unbedingt Early Adopter sein, aber immer Fast Follower. Es lohnt sich, manche Hypes, wie in der Vergangenheit Blockchain oder Krypto, erstmal zu beobachten und zu schauen, was andere machen, bevor man sich auf diesen Weg begibt. Hilfreich dafür ist auch, zunächst einmal die Erkenntnis zu gewinnen, ob die eigene Organisation sowohl fähig als auch Willens genug ist, solche innovativen Entwicklungen frühzeitig anzugehen. Aber dann sollte möglichst unverzüglich danach gestrebt werden, das eigene Treasury auf den aktuellen Stand der Technik und Methoden zu bringen und nicht aufgrund der stets vorhandenen Gründe, etwas nicht zu tun, in einen Reformstau hineinzulaufen.
Das Treasury als wichtiger Partner der Unternehmensführung entspricht schon länger dem Selbstverständnis und der Zielsetzung von Treasurern. Der Anspruch erfordert jedoch häufig einen holistischeren Ansatz der Tätigkeit als gegenwärtig üblich. Im Risikomanagement wird oft die Zuständigkeit für das Kreditrisikomanagement außerhalb der Banken abgelehnt und im Zahlungsverkehr kein Einfluss auf Zahlungsziele oder Working Capital Management genommen. Als Treasurer kann man sich ja schon mal fragen, warum viel mehr Controller und Accountants zu CFOs werden — kann dies möglicherweise daran liegen, dass Aufsichtsräte diesen eher einen Gesamtblick auf das Unternehmen zutrauen?
Regulierung wird meistens als lästige Pflicht angesehen statt positiv zu denken und die sich bietenden Chancen zu sehen. Der größte Booster für die Systeme und Methoden im Treasury war 2001 die Einführung der Bilanzierungsstandards FAS133 bzw. IAS 39. Die Einführung des IFRS 9 bot die – allerdings oftmals ungenutzte - Möglichkeit für die Fortentwicklung des Kreditrisikomanagements, ebenso wie EMIR für die Überarbeitung von Sicherungsstrategien und die PSD 2 für die Payment Factory. Zudem gibt es keine Ausrede, eine Regulierungsvorgabe nicht zu erfüllen, also verbessert dies auch die Argumentation für ein entsprechendes Budget, welches dann auch für die Umsetzung nicht nur der Mindestanforderungen sondern gleichzeitig einer sinnvollen Erweiterung der Treasury-Funktion eingesetzt werden kann.
Expect the Unexpected, in den letzten 30 Jahren sind schon viele schwarze Schwäne aufgetaucht. Viele Ereignisse lassen sich nicht vorhersehen und Prognosen sind bekanntermaßen unsicher, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Es gilt daher, sich für den Eintritt des Unerwarteten so vorzubereiten, dass das Instrumentarium vorhanden ist. Dies umfasst neben reibungslosen Prozessen und funktionsfähigen Systemen ein hochentwickeltes und vollständiges Risikomanagement, inklusive der Durchführung von Stresstests und dem Treffen von Vorsorge, z.B. in Form ausreichender Liquiditätsreserven. Dazu gehört auch, Entwicklungen und potenzielle Risiken nicht aus dem Auge zu verlieren und frühzeitig durch den Austausch mit anderen Treasurern Hinweise und Informationen zu sammeln – sowie Berater nicht als lästige Mahner, die nur Umsatz machen wollen, anzusehen. Um nicht in der Tagesarbeit unterzugehen, Informationen zu sammeln, Erfahrungen mit anderen auszutauschen und Trends frühzeitig zu erkennen, bietet der Verband Deutscher Treasurer seit nunmehr fast 30 Jahren die ideale Plattform.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 150, Dezember 2024
Gastautor:
Prof. Dr. Christian Debus
Vorstand des Verbands Deutscher Treasurer
Nils A. Bothe
Partner, Financial Services, Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft