Im Rahmen des Corporate Treasury Newsletters haben wir bereits mehrfach den Einsatz von KI im Treasury betrachtet, verwandte Artikel sind entsprechend verlinkt.

In Zeiten einer zunehmenden wirtschaftlichen Unsicherheit nimmt die Relevanz des Risikomanagements stetig zu. Insbesondere kann ein effizientes Finanzrisikomanagement ein entscheidender Faktor sein, den Fortbestand eines Unternehmens zu sichern, indem finanzielle Risiken frühzeitig identifiziert und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

In einer nahezu vollkommen globalisierten Welt und einer vielfältigen Verzahnung von Wirkung und Gegenwirkung, verliert die marginalisierende Redewendung „In China ist ein Sack Reis umgefallen“ zunehmend an realwirtschaftlicher Bedeutung. Deutlich wurde das zum Beispiel an der Havarie eines einzelnen Schiffes, der „Ever Given“, die für sechs Tage den Suezkanal blockierte und damit die Weltwirtschaft empfindlich beeinflusste. Auch wenn es sich in diesem Beispiel um ein operatives Risiko handelt, welches nicht im Fokus des Finanzrisikomanagements liegt, haben doch seine Folgen direkte Auswirkungen auf das Finanzrisikomanagement. In diesem Fall wirkten sich die Folgen direkt auf die „klassischen“ Risiken des Finanzrisikomanagements wie Marktrisiko, Kreditrisiko und Liquiditätsrisiko aus. 

Mit der fortschreitenden Entwicklung von Technologien, insbesondere der Künstlichen Intelligenz (KI), eröffnen sich neue Möglichkeiten diese Zusammenhänge schneller identifizieren zu können, wodurch die resultierenden Risiken leichter zu bewerten und zu steuern sind. KI-Technologien transformieren das Treasury und auch das Risikomanagement in vielfältiger Weise und bieten Unternehmen die Chance, Prozesse zu optimieren und zukunftssicher zu gestalten.

Potenziale von KI

Für das Finanzrisikomanagement bietet KI speziell in folgenden Bereichen wesentliche Potenziale: 

1. Identifikation von Risiken
KI kann und soll große Datenmengen aus verschiedenen Quellen analysieren, um Risiken schneller und präziser zu identifizieren. Durch den Einsatz von Machine Learning und Data-Mining können Muster und Anomalien in den Daten erkannt werden, die auf potenzielle Risiken hinweisen. Dies ermöglicht eine objektivere, schnellere und genauere Risikoidentifikation, die traditionelle Methoden oft nicht leisten können. Dies gilt insbesondere für Risiken, die sich hinter komplexen Zusammenhängen verstecken.

  • Kreditrisiken: KI kann helfen, die Kreditwürdigkeit von Geschäftspartnern und Kunden zu bewerten, indem sie historische Zahlungsdaten, soziodemografische Informationen und andere relevante Daten analysiert.
  • Marktrisiken: KI-Modelle können Markttrends und -verhalten analysieren, um potenzielle Marktrisiken wie Preisvolatilität und Marktliquidität zu identifizieren.
  • Betrugsrisiken: Durch die Analyse von Transaktionsmustern kann KI ungewöhnliche Aktivitäten erkennen, die auf Betrug oder andere unethische Verhaltensweisen hinweisen.
  • Operationelle Risiken: KI kann dabei helfen Schwachstellen in Prozessen zu identifizieren, indem sie Muster in Daten erkennt, die auf ineffiziente oder fehleranfällige Abläufe hinweisen.
  • Liquiditätsrisiken: KI kann Cashflows und Liquiditätsanforderungen analysieren, um potenzielle Liquiditätsengpässe vorherzusagen.

2. Bewertung und Vorhersage von Risiken
Ein weiterer bedeutender Vorteil der KI im Finanzrisikomanagement liegt in ihrer Fähigkeit, potenzielle zukünftige Risiken vorherzusagen und die Eintrittswahrscheinlichkeit sowie das Ausmaß der potenziellen Folgen für ein Unternehmen einzuschätzen. Predictive Analytics verwendet historische Daten aus verschiedenen Quellen, um zukünftige Ereignisse mit potenziellen Risiken zu prognostizieren. Dies ermöglicht es Unternehmen proaktiv Maßnahmen zu ergreifen, bevor sich das Risiko realisiert. Auch können Maßnahmen zur Risikoreduktion auf Basis der Prognosen gezielter eingesetzt und überprüft werden. 

3. Automatisierung und Effizienzsteigerung
KI kann auch dazu beitragen, die Effizienz im Risikomanagement zu steigern, indem routinemäßige und zeitaufwendige Aufgaben automatisiert werden. Dies ermöglicht es Risikomanagern, sich auf komplexere und strategische Risikoaspekte zu konzentrieren. Zum Beispiel kann die Automatisierung der Datenerfassung und -analyse Risikomanagern helfen, schneller auf sich ändernde Bedingungen einzustellen und fundierte Entscheidungen zu treffen.

4. Compliance und regulatorische Anforderungen
Die Einhaltung gesetzlicher, regulatorischer Anforderungen und Anforderungen im Rahmen von Finanzierungen ist ein wesentlicher Bestandteil des Finanzrisikomanagements. KI kann dabei unterstützen Compliance-Risiken zu minimieren, indem sie kontinuierlich die Einhaltung von Vorschriften überwacht und automatisch Berichte erstellt. Dies reduziert das Risiko von Verstößen und die damit verbundenen finanziellen und reputativen Schäden.

Herausforderungen und Grenzen beim Einsatz von KI im Finanzrisikomanagement

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Finanzrisikomanagement bietet zwar erhebliche Vorteile, bringt jedoch auch spezifische Herausforderungen mit sich. Diese Herausforderungen zeigen auch die Grenzen des Einsatzes von KI auf.  

1. Datenqualität und -verfügbarkeit
KI-Systeme benötigen große Mengen an qualitativ hochwertigen Daten, um effektiv zu sein. Es kann jedoch schwierig sein, Zugang zu sauberen, gut strukturierten und umfassenden Daten zu erhalten. Unvollständige oder fehlerhafte Daten können zu ungenauen Vorhersagen und Analysen führen. Jeglicher Einsatz von KI-Modellen wird also auf die Daten beschränkt, die in ausreichender Qualität vorliegen. Hier sollten vor dem Einsatz die Kosten der Qualitätssteigerung und der Datenbeschaffung mit dem potenziellen Nutzen abgewogen werden.

2. Komplexität der Modelle und Erklärbarkeit
KI-Modelle, insbesondere solche, die auf Deep Learning basieren, können extrem komplex sein. Diese Komplexität erschwert nicht nur das Verständnis wie Entscheidungen getroffen werden, sondern kann auch die Wartung und das Update der Modelle verkomplizieren. Die Entscheidungen von KI-Systemen sind oft nicht transparent, was sie kaum nachvollziehbar macht. Im Bereich des Risikomanagements ist es jedoch entscheidend, dass die Entscheidungsprozesse klar und nachvollziehbar sind. Ist ein Risiko in seinen Ursachen und Ausprägungen nicht zu erklären, so wird es schwierig gezielt zu reagieren.  

3. Überanpassung (Overfitting)
KI-Modelle können übermäßig auf die Nuancen der Trainingsdaten "trainiert" werden und somit bei neuen oder sich ändernden Daten schlecht performen. Dies ist im Finanzrisikomanagement besonders problematisch, da Marktbedingungen schnell fluktuieren können.

4. Abhängigkeit von der Technologie
Eine zu starke Abhängigkeit von KI-Systemen kann dazu führen, dass menschliche Experten weniger in die Entscheidungsprozesse eingebunden sind, was das Risiko von Fehlern erhöht, die durch mangelndes menschliches Urteilsvermögen entstehen können. Das kann gerade bei Risiken problematisch sein, die menschlichen Irrationalitäten unterliegen, da hier die verwendeten Mechaniken an ihre Grenzen stoßen. Hierunter fallen zum Beispiel geopolitische Risiken. 

5. Datenschutz und Datenethik
Da die Analysen im Finanzrisikomanagement immer auf hochsensiblen Daten basieren, muss sichergestellt werden, dass die eingesetzten Daten jederzeit vor unbefugtem Zugriff geschützt sind. Bereits bei der Zusammenführung und Speicherung der verwendeten Daten muss sichergestellt sein, dass die verwendeten IT-Systeme und Anwendungen die Compliance Anforderungen erfüllen. Sollten in die KI zusätzlich zu unternehmenseigenen Daten auch personenbezogene Daten einfließen, muss zusätzlich gewährleistet werden, dass die Anforderungen der DSGVO erfüllt werden. Zudem ist es wichtig zu prüfen, ob die KI die ethischen Anforderungen des KI-Gesetztes der EU erfüllt und inwieweit eine Meldepflicht vorliegt. 

Fazit

Der Einsatz von KI im Finanzrisikomanagement ist vielversprechend, da die relevanten Risiken gewissen Logiken unterliegen und dank moderner Treasury Management Systeme oft eine gute Datengrundlage vorhanden ist. Daher lässt sich für das Treasury ein guter Business Case für den Einsatz von KI aufzeigen. Ablösen kann eine KI den menschlichen Risikomanager aber nicht ‒ dies sollte auch nicht das Ziel sein. Vielmehr sollte es darum gehen dem Risikomanager ein Werkzeug an die Hand zu geben, welches ihm die Möglichkeit bietet Routinetätigkeiten abzugeben, Szenarien zu entwickeln und durchzuspielen. Durch eine effiziente Arbeitsteilung zwischen Mensch und KI lassen sich zum einen bessere Ergebnisse erzeugen und zum anderen können Zusammenhänge betrachtet werden, die zuvor aufgrund zeitlicher Restriktionen keine Beachtung fanden.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 147, September
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Tobias Riehle, Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG