Garantien und Akkreditive gehören im Zuge der Außenhandels- bzw. Exportfinanzierung (Trade Finance) für viele Unternehmen zum Tagesgeschäft. Doch wie zahlreiche andere Bereiche des Treasury befindet sich auch dieser im Wandel durch Digitalisierung – sei es die Einführung von Garantie- und Akkreditivverwaltungssystemen bis hin zur Prozessautomatisierung. 

Ein bisher allerdings kaum beachteter Faktor stellt die Environmental, Social and Governance (kurz ESG) -Komponente dar. Banken sind im Zuge der Kreditvergabe mittlerweile bereits angehalten, gemäß den ESG-Kriterien zu agieren, beispielsweise durch die Vergabe von Sustainability-Linked Loans, bei denen die Verzinsung von Nachhaltigkeitskomponenten des Unternehmens abhängig ist. Im Bereich der Handelsfinanzierung ist das bisher noch nicht konsequent der Fall. Aufgrund der erwarteten zunehmenden Bedeutung von ESG kann und sollte der ein oder andere Gedanke in diese Richtung allerdings nicht ausgeschlossen werden, da Banken bereits heute bei der Vergabe von Garantien und Akkreditiven ESG-Kriterien miteinbeziehen. Dadurch ist es für Unternehmen mit offensichtlichen nicht-ESG-konformen Produkten, wie beispielsweise im Braunkohleabbau eingesetzte Maschinen, deutlich herausfordernder, eine Handelsfinanzierung (Garantie, Akkreditiv, etc.) zu erhalten.

Auch wenn ESG im Trade Finance Bereich noch nicht verpflichtend umgesetzt ist, möchten wir nachfolgend einige mögliche Ausgestaltungsformen und die damit verbundenen Chancen sowie auch Herausforderungen aufzeigen.

Der erste Blick richtet sich auf die möglichen Bestandteile von ESG-Kriterien im Trade Finance Umfeld, wobei eine Umsetzung sowohl einzelner Bereiche wie auch eine Kombination aus verschiedenen Bereichen denkbar erscheinen.

Bewertung des eigenen Unternehmens

Die Grundlage hier bilden die relevanten ESG-Faktoren innerhalb des eigenen Unternehmens. Dazu zählen die nachhaltige Ausrichtung und das entsprechende Handeln des Unternehmens, welches auch mittels ESG-Reporting erfasst wird. Auch kann eine nachhaltige Finanzierung einen Beitrag leisten. Entsprechende Berichte sind bei kapitalmarktorientierten Unternehmen – und bei Überschreitung gesetzlicher Größenmerkmale – in der Regel bereits verpflichtend (basierend der Vorgaben gemäß der Non Financial Reporting Directive, § 289b HGB ff. und 315b HGB f.) und finden sich auch in der Berichterstattung im Zuge des Jahresabschlusses wieder. Das Unternehmen kann hierfür also gegebenenfalls auf bereits bestehende Strukturen zurückgreifen.

Bewertung der eigenen Produkte

Einen speziell im Zuge der Handelsfinanzierung möglichen ESG-Ansatz stellt die Bewertung des zu finanzierenden Fabrikats bzw. der Ware dar. Hierbei geht es im Kern um die konkreten Auswirkungen des zu finanzierenden Produkts im ESG-spezifischen Kontext. So kann der Fokus entweder auf den entsprechenden Produktionsvorgang inklusive aller relevanten Inputfaktoren, welche zur Herstellung erforderlich sind, gelegt werden, oder aber auf die Auswirkungen des entsprechenden Produkts nach der Auslieferung an den Kunden. Ein Beispiel für die letztgenannte Möglichkeit wäre ein Bagger, welcher entweder zur Errichtung von Photovoltaik (PV)-Parks oder im Zuge des Braunkohleabbaus eingesetzt wird. Vermutlich wird der Einsatz zur Errichtung von PV-Parks ESG-perspektivisch auf den ersten Blick vorteilhafter gewertet werden als der Einsatz im Tagebau.

Bewerten von Handelspartnern entlang der Lieferkette

Dieser Ansatz stellt auf die gemäß ESG-Kriterien erfolgte Einordnung der jeweiligen Geschäftspartner ab. Hierbei sind sowohl die Kunden des eigenen Unternehmens als auch die Lieferanten relevant. Eine solche Einordnung sollte bei diesem Ansatz entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfolgen und somit auch, soweit möglich, etwaige Zwischenakteure (wie beispielsweise Speditionen) berücksichtigen. Die in diesem Kontext erschwerende Variable ist die Anzahl der involvierten Akteure. Je mehr Parteien in die Wertschöpfungskette eingebunden sind, umso schwieriger wird eine vollständige wie sachgerechte Datenerhebung.

Einbeziehung von entsprechenden nachhaltigen Banken und Trade Finance Produkten

Hierbei geht es um den Einsatz von nachhaltig agierenden Finanzierungspartnern sowie nachhaltigen Handelsfinanzierungsprodukten. Da allerdings solche Institute meist nur gegen den Nachweis der Einhaltung von gewissen Auflagen Geschäftsbeziehungen eingehen, handelt es sich hierbei gewissermaßen um ein Henne-Ei-Problem. Unternehmen, die nachhaltige Produkte von diesen Institutionen in Anspruch nehmen wollen, müssen einen entsprechenden Nachhaltigkeitsnachweis liefern. Dieser Nachweis soll allerdings mit dem Einsatz dieser Produkte erzeugt werden. Ein möglicher Lösungsansatz könnte in der Art gestaltet werden, dass der erste Schritt vom Unternehmen ausgeht, indem es eine nachhaltige Ausrichtung ansteuert. Wenn bereits erste ESG-konforme Strategien Früchte tragen, kann im Nachgang der Schritt zu nachhaltigen Banken angegangen werden, um entsprechend nachhaltige Projekte einzubeziehen.

Wie die exemplarische Darstellung dieser zu berücksichtigenden Aspekte unmittelbar deutlich macht, ist die Implementierung eines ESG-Reportings kein Selbstläufer. Die vielfältigen Herausforderungen beim Thema ESG umfassen die Bereiche der Datenerfassung, Datenverarbeitung bzw. Auswertung und Vergleichbarkeit.

Datenerfassung

Bei der Datenerfassung können Unternehmen zum Teil auf die Daten ihrer eigenen Prozesse und Produktionsabläufe zugreifen. Bei Handelspartnern sind allerdings meist nicht alle erforderlichen Daten öffentlich verfügbar. Aktuell liegt es in der Hand der Unternehmen, welche Daten sie für den ESG-Score veröffentlichen. So entscheidet jedes Unternehmen, welche ausgewählten Daten sie zu bestimmten Variablen öffentlich machen (zum Beispiel Wasserverbrauch). Jedoch ist das Unternehmen nicht zur Auskunft über vertrauliche Themen (zum Beispiel Gehaltsgefüge unter den Mitarbeitenden) verpflichtet. Interessant wird diese Thematik auch dann, wenn der Einsatzzweck bzw. die Verwendung des Produkts eine Rolle spielen soll. Kaum ein Unternehmen kann die Verwendung eines Produkts im Laufe der kompletten Produktlebenszeit vollständig vorhersagen. In der Regel liegen hierbei nur Informationen für den ersten Gebrauch vor. Natürlich kann eine Nutzung gemäß dem Ersteinsatz – auch bei Weiterveräußerungen des Produkts – vertraglich geregelt werden. Eine effektive Kontrolle über einen unsicheren Zeitraum erscheint unrealistisch. Eine weitere Herausforderung stellt die Validität von Daten aus Ländern mit weniger entwickelten Infrastrukturen oder protektionistischen Regimeformen dar.

Datenverarbeitung & Auswertung

Neben der Datenerfassung stellt die Verarbeitung der erhobenen Daten in einem adäquaten Modell, welches ein qualifiziertes ESG-Reporting als Endergebnis aufweist, eine Hauptaufgabe und Herausforderung dar. In diesem Zusammenhang ist die Auswahl und die Gewichtung der entsprechenden Variablen (beispielsweise CO2-Ausstoß, Wasserverbrauch, Geschlechterdiskrepanz, Größe des Aufsichtsrats) aus den drei übergeordneten Bereichen (Environmental, Social und Governance) die zentrale Gestaltungskomponente des gesamten ESG-Modells. Weitere zu berücksichtigende Faktoren in diesem Zusammenhang sind beispielsweise die eigene Branche, die relevanten Standortregionen und die Anzahl der Mitarbeitenden. 

Nach erfolgter Definition und Verarbeitung der festgelegten Parameter folgt der Schritt der Interpretation bzw. der Deutung des erzielten ESG-Scores. Hierbei ist eine vorherige Abstimmung hinsichtlich der Bedeutung der ESG-Werte sowie der entsprechenden Bandbreiten mit allen beteiligten Parteien (zum Beispiel Banken, Lieferanten und Kunden) sinnvoll, um mögliche Fehlinterpretationen zu vermeiden.

Vergleichbarkeit

Die dritte Herausforderung stellt die Vergleichbarkeit des ESG-Reportings bzw. der ermittelten ESG-Scores dar. Aufgrund von fehlenden einheitlichen ESG-Marktstandards im Trade Finance Kontext sind entsprechende Reportings aktuell noch schwer miteinander vergleichbar. Eine Möglichkeit besteht aber darin, gemeinsam mit den involvierten Partnern, beispielsweise den einbezogenen Banken, ein gemeinsames Verständnis des ESG-Scores bzw. der Bandbreiten zu definieren. Hierfür sind sowohl die einbezogenen Daten, die ausgewählten Variablen als auch deren Gewichtung von Bedeutung.

Die Etablierung von ESG-Reportings und entsprechender Standards im Trade Finance Bereich mag auf den ersten Blick komplex und herausfordernd erscheinen, kann jedoch auch eine Vielzahl von Vorteilen mit sich bringen. Neben dem offensichtlichsten Vorteil, der Etablierung und dem Nachweis von nachhaltigen Standards, möchten wir im Folgenden einige der weiteren möglichen Vorteile erörtern.

Innovationsimage/Reputation

Die Einführung von ESG-Kriterien im Bereich der Exportfinanzierung führt sowohl bei Kunden als auch bei Lieferanten und auch Banken zu einer Reputation als nachhaltigkeitsbewusstes Unternehmen. Da es sich hierbei noch um ein relativ neues Feld im Trade Finance Kontext handelt, entstehen Chancen zur Positionierung als Vorreiter auf diesem Gebiet und zur Unterstreichung des eigenen Innovationsanspruchs.

Bessere Konditionen/Zugang zu Kapital – Wachstum

Die Etablierung von ESG-Kriterien im Trade Finance Bereich kann Unternehmen unter gewissen Umständen einen leichteren bzw. vergünstigten Zugang zu Instrumenten der Exportfinanzierung ermöglichen. Eine mögliche Ausgestaltungsform stellen spezielle ESG-Garantielinien dar. Sofern die vereinbarten ESG-Kriterien (siehe vorhergenannte Ausgestaltungsformen) erfüllt sind, kann für das entsprechende Produkt die vergünstigte ESG-Linie herangezogen werden. Diese reduzierten Finanzierungskosten können somit zu einem erkennbaren Wettbewerbsvorteil beitragen bzw. auch die eigene Profitabilität steigern.

Einhaltung von möglichen künftigen Berichtspflichten

Die Einführung von ESG-Kriterien inklusive eines entsprechenden Prozesses kann in die Nachhaltigkeitsangaben des Unternehmens mit aufgenommen werden. Auch wenn dies zum derzeitigen Zeitpunkt für den Trade Finance Bereich noch nicht verpflichtend ist, so kann in der Zukunft eine entsprechende Vorgabe nicht ausgeschlossen werden. Sofern Unternehmen diese Angaben bereits heute vorliegen haben, sind sie für die Zukunft gerüstet.

Widerstandsfähigkeit des eigenen Geschäfts und der Lieferketten

Die Auseinandersetzung mit dem Thema ESG im Trade Finance Bereich kann die Widerstandsfähigkeit des eigenen Unternehmens als auch die der eigenen Lieferketten stärken. Im Zuge der Implementierung eines entsprechenden ESG-Reportings werden verschiedenste Vorgänge und Prozesse analysiert. In diesem Zuge können somit auch sämtliche Inputfaktoren kritisch hinterfragt und bei Bedarf angepasst werden.

ESG im Trade Finance Bereich ist zwar regulatorisch noch nicht erforderlich, wird aber in Zukunft einen immer größer werdenden Stellenwert einnehmen und somit das Thema auch für das Treasury zum relevanten Betätigungsfeld werden. Generell lässt sich zusammenfassen, dass die Etablierung von einheitlichen ESG-Standards und entsprechenden Reportings im Trade Finance Bereich die Treasury-Abteilungen vor einige Herausforderungen stellen wird. Allerdings können Treasurer hierdurch auch gegebenenfalls notwendige Prozessveränderungen und auch das Thema Digitalisierung im Trade Finance Bereich weiterhin vorantreiben und durch das Einbeziehen von ESG-Kriterien eine Vorreiterrolle im Markt einnehmen.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 132, Mai 2023
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Maximilian Gschoßmann, Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG