Die aktuelle wirtschaftliche Lage in Europa, die von politischen Krisen und wirtschaftlichen Unsicherheiten geprägt ist, sorgt für kontinuierliche Veränderungen historischen Ausmaßes an den Energiemärkten. Die extremen Preisanstiege und hohen Volatilitäten an den Energiemärkten bewirken selbst bei geringem Energieverbrauch erhebliche Kostensteigerungen und -schwankungen. Dies hat auch eine deutliche Steigerung des Kapitalbedarfs und des Liquiditätsrisikos aus den Produktions- und Lieferketten zur Folge. Darüber hinaus steht die Wirtschaft einer Verschärfung des Marktpreisrisikos für Energie und damit für die Margen gegenüber. Diese aktuellen Veränderungen und die große Unsicherheit über mögliche Zukunftsszenarien machen es für Unternehmen aus nahezu allen Branchen zunehmend schwerer ihren Energieeinkauf mit in der Vergangenheit bewährten Methoden fortzuführen. Stattdessen gilt es aktuell, die Beschaffungsstrategie für Energie und deren operative Umsetzung an die Situation anzupassen, um diese historische Herausforderung zu meistern. 

Ausgestaltung der optimierten Beschaffungsstrategie

Besonders hart trifft die aktuelle Krise diejenigen Unternehmen, für die Energiekosten in der Vergangenheit keine große Rolle gespielt haben, weil hier oft das Knowhow, die Systeme und die operativen Prozesse nicht auf ein aktives Management der Energiebeschaffung ausgerichtet sind. Hat zum Beispiel wie in der Vergangenheit üblich ein Industrieunternehmen alle zwei bis drei Jahre seinen Strom- und Gasbezug ausgeschrieben und führt in der aktuellen Situation wieder eine Ausschreibung durch, werden die Angebote der Energieversorger aller Wahrscheinlichkeit nach wesentlich weniger Flexibilität im Hinblick auf die Abnahmemengen zulassen und je nach Zeitpunkt der Ausschreibung um einen zweistelligen Faktor höhere Energiekosten und damit in einigen Fällen eine existenzielle Bedrohung verursachen. Daher muss neben einer operativen Umstellung zur Einsparung von Energieverbräuchen darüber hinaus eine widerstandsfähige Beschaffungsstrategie mit einer flexiblen, krisenfesten und dazu passenden operativen Ausgestaltung für die neuen Rahmenbedingungen an den Energiemärkten erarbeitet und implementiert werden. Um eine geeignete Beschaffungsstrategie auszugestalten, müssen Unternehmen eine Vielzahl von unterschiedlichen Aspekten einfließen lassen, wie zum Beilspiel sich ihrer eigenen Wettbewerbsposition und damit auch der Frage der Weitergabefähigkeit von erhöhten Kosten für unterschiedliche Kunden- und Produktgruppen bewusst werden. Die strategischen Handlungsoptionen, die sich daraus ergeben, können sich dabei in vielerlei Hinsicht unterschiedlich darstellen. Typische strategische Zieldimensionen, die in den Handlungsoptionen berücksichtigt werden, sind zum Beispiel die Frage der Absicherung von Margen oder einer Kostenstabilität, die unternehmensspezifischen Ambitionen für die Umsetzung einer energetisch nachhaltigen oder „grünen“ Strategie, die Festlegung des Risikohorizonts für die Preissicherung bzw.-fixierung, oder der Freiheitsgrade für ein aktives oder strikt regelbasiertes Preismanagement. Auch die Frage einer zentralen oder dezentralen Steuerung der Energiebeschaffung muss festgelegt werden. Typischerweise geht in solchen Situationen der Blick in Richtung Treasury, insbesondere wenn die Beschaffungsabteilung kein tiefes, spezifisch energiewirtschaftliches Knowhow besitzt.

Auch bei einem weiteren aktuell viel diskutierten Themenfeld, geht der Blick der Fachexperten schnell in Richtung Treasury. Eine Teillösung und Handlungsoption bei der Umsetzung einer neuen Energiebeschaffungsstrategie, stellen Power Purchase Agreements (PPAs) dar, die eine nachhaltige Lösung bieten und gleichzeitig eine Preisfixierung ermöglichen können. Dabei sind die vertraglichen Ausgestaltungsmöglichkeiten sehr vielfältig hinsichtlich 

  • der Laufzeit zum Beispiel von einem bis zu 40 Jahren, 
  • der Preisgestaltung in fix vs float,
  • die weltweite Region bzw. Standort und damit auch Einspeise- bzw. Preisbildungsort des Stroms,
  • der zugrundeliegenden Assets, das heißt Photovoltaik, Onshore-/ Offshorewind, Laufwasser,
  • die Möglichkeit von Preiscaps/ -floors,
  • die vereinbarte Liefermenge als „Pay as Produced“, “Pay as nominated”, Mindest- und Maximalmengen
  • der Auswirkung auf die grünen Ambitionen und die Nachhaltigkeitsberichterstattung

Die Erwartung an das Treasury ist es dann häufig, bei aller Vielfalt der Verträge die PPAs initial und zu den Stichtagen bewerten zu können, Szenarien hinsichtlich finanzieller Auswirkungen zu rechnen und vieles mehr. Daher sollte das Treasury von Anfang an in die Auswahl und die Vertragsgestaltung der PPAs mit eingebunden werden.

Aber nicht nur die Preissicherungsstrategie macht den Unternehmen auf dem aktuellen Preisniveau Sorgen. Besonders Industrieunternehmen stehen der Herausforderung gegenüber, dass sie zunächst den Energiebedarf der Produktion vorfinanzieren müssen, bevor sie ihre Produkte am Ende der Logistikkette verkaufen können. Durch die gestiegenen Strom- und Gaspreise ist die Vorfinanzierung selbst bei konstanten Lieferterminen und Zahlungszielen unerwartet hoch, verursacht einen gestiegenen Kapitalbedarf und belastet die Liquiditätsausstattung in einer Phase, in der sich die Unternehmensfinanzierung nicht mehr so einfach und kostengünstig gestaltet wie in der Vergangenheit. Daher kommt der Optimierung des Liquiditätsmanagements wieder eine erhöhte Bedeutung zu.

Energieversorger und Stadtwerke sind ebenfalls stark betroffen

Doch nicht nur die Energiekonsumenten, auch die großen Energieversorger und Stadtwerke haben mit den Auswirkungen der Preisanstiege auf verschiedenen Ebenen zu kämpfen. Da Strom- und Gaskontrakte an Energiebörsen und auch bilateral (OTC) gehandelt werden, unterscheiden sich die Auswirkungen je nach eingesetzten Kontrakten. 

Im Börsenhandel zum Beispiel an der EEX werden standardisierte Handelsprodukte mit einer Zahlung von Sicherheiten über das Clearing Haus abgewickelt. Die stark gestiegenen Strom- und Gaspreise weit über den ursprünglich gehandelten Preisen sorgen für die Notwendigkeit zur Zahlung von Sicherheiten in Form von Variation Margins in einem bislang unbekannten Ausmaß. Zudem steigt wegen der hohen Volatilität die zu hinterlegende Initial Margin. Und auch für den Spothandel müssen gerade vor Wochenenden oder Feiertagen Sicherheiten in hohem Umfang gestellt werden. 

Beim OTC Handel besteht dagegen häufig keine Vereinbarung zur gegenseitigen Sicherheitenstellung und dadurch das Risiko, dass ein Marktteilnehmer ausfällt und eine Ersatzbeschaffung zu ungünstigen Konditionen durchgeführt werden muss. Dieser Effekt führte in jüngster Vergangenheit dazu, dass selbst große Energieversorger in Europa staatliche Hilfe in Anspruch nehmen mussten.

Durch die sehr hohen Marktpreise ergeben sich also für die Energieversorger wesentliche Liquiditäts- und Kontrahentenrisiken, die sehr genau gesteuert werden müssen. Und das zusätzlich zu den regulatorischen Veränderungen und den großen Herausforderungen im Management von Volumen- und Preisrisiken ihrer unterschiedliche Kundensegmente.

Was ist aus unserer Sicht zu tun?

Um die vielfältigen Auswirkungen der Energiekrise zu bewältigen, ist besonders in Industrie- und Handelsunternehmen eine strategische Anpassung und Optimierung im unternehmensweiten Energiemanagement und der Energiebeschaffung notwendig. Das Liquiditätsmanagement und die Weiterentwicklung der Methodik des Risikomanagements sind dabei wichtige Pflichtaufgaben, um den Unternehmensfortbestand dauerhaft zu sichern. Besonders für Energieversorger wird zudem wird eine verbesserte Allokation von Kontrahenten- und Liquiditätsrisiken in der Beschaffung und eine engere Verzahnung von Risikomanagement in Vertrieb und Beschaffung notwendig. 

Aktives Handeln sollte also das Hoffen auf einen milden Winter ersetzen!

Für Fragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 126, Oktober 2022
Autoren:
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
Bardia Nadjmabadi, Senior Manager, Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG