Keyfacts
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Am 10. Mai 2023 verabschiedet der brasilianische Bundessenat einstimmig die neue Verrechnungspreisgesetzgebung.
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Mit den angepassten Verrechnungspreisgesetzen führt Brasilien unter anderem den Fremdvergleichsgrundsatz ein.
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Für das Geschäftsjahr 2023 können Steuerpflichtige noch zwischen den derzeitigen Verrechnungspreisregeln und den neuen OECD-basierten Regeln wählen.
Das Herzstück der neuen Verrechnungspreisgesetze ist die Einführung des Fremdvergleichsgrundsatzes, der bis dato keine Rolle spielte. Darüber hinaus wurden neue Verrechnungspreismethoden, Dokumentationsanforderungen sowie erhebliche Änderungen bei der Behandlung von immateriellen Wirtschaftsgütern, Finanztransaktionen und Funktionsverlagerungen erlassen.
Was passiert jetzt?
Die offizielle Unterschrift Präsident Lulas unter das Gesetz stand Mitte Mai noch aus, wird aber zeitnah erwartet.
Das Gesetz benötigt noch weitere Erläuterungen, insbesondere Details in der Anwendung sind noch unklar. Hier erwartet brasilianische Steuerpflichtige in naher Zukunft eine wahre Flut an Durchführungsverordnungen (Instrução Normativa) zu Themen wie Verrechnungspreisdokumentation oder Advanced Pricing Agreements (APAs).
Zwischen dem 1. und dem 30. September müssen sich die Steuerpflichtigen entscheiden, ob sie bereits in 2023 das neue Steuerregime anwenden möchten, ab dem 1. Januar 2024 ist die Anwendung der neuen Regeln obligatorisch. Dieser Entscheidung sollte eine tiefgreifende Analyse auf beiden Seiten des Atlantiks vorausgehen.
Was ist neu?
der OECD in ihrer neuesten Fassung. Die Gesetzgebung weist folgende Merkmale auf:
Während sich die derzeitigen Verrechnungspreisregeln auf materielle Güter, Dienstleistungen und Rechte konzentrieren, fällt mit der neuen Regelung jede Art von wirtschaftlichen Vorgängen (Geschäftsvorfälle) in den Anwendungsbereich.
Die geschäftsvorfallbezogenen Standardmethoden und die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden ersetzen die derzeitigen, einzigartigen Verrechnungspreismethoden. Damit müssen jetzt die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM) und die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode angewendet werden.
Vergleichbarkeitsanalyse, Funktions- und Risikoanalyse sowie Benchmarking werden integraler Bestandteil des Verrechnungspreisinstrumentariums. Sie ersetzen die aktuellen, gesetzlich vorgeschriebenen Kostenaufschläge und Bruttomargen.
Verrechnungspreisdokumentationsberichte werden die einfache Buchhaltungslogik ablösen, die derzeit Teil der elektronischen Körperschaftssteuererklärung ist.
Transaktionen mit immateriellen Wirtschaftsgütern sowie Finanztransaktionen sind nun Bestandteil der Verrechnungspreisregularien (und werden nicht wie bisher nur unter dem Aspekt der Steuerabzugsfähigkeit behandelt).
Das DEMPE-Konzept (Development, Enhancement, Maintenance, Protection and Exploitation) sowie das Konzept der schwer zu bewertenden immateriellen Wirtschaftsgüter (HTVI) werden eingeführt.
Erstmalig wird es eine explizite Behandlung von Funktionsverlagerungen aus Verrechnungspreissicht geben.
Es wurden verschiedene Arten von Verrechnungspreisanpassungen eingeführt, zum Beispiel „kompensatorische“ oder „Jahresend“-Berichtigungen, die üblicherweise mit der TNMM einhergehen.
Unilaterale Advance Pricing Agreements (APAs) und das Mutual-Agreement-Verfahren (MAP) stehen erstmals als Instrumente zur Verfügung.
Es werden Strafzuschläge für die Nichtvorlage oder die Vorlage unvollständiger Verrechnungspreisdokumente eingeführt.
Was ist anders?
Es gibt jedoch einige Punkte, in denen die neuen brasilianischen Verrechnungspreisregeln nicht mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien übereinstimmen beziehungsweise bei denen der Fiskus eine Brasilien-spezifische Auslegung der Leitlinien vornimmt:
Rohstoffe spielen für die brasilianische Volkswirtschaft eine übergeordnete Rolle. Deshalb ist es nur verständlich, dass sie eine besondere Behandlung erfahren. Allerdings wurde die starke Fixierung auf die Preisvergleichsmethode im finalen Gesetzestext gelockert. Spezifische Regeln für den Zeitpunkt der Transaktionen und die Verpflichtung der Warenimporteure und -exporteure, den Steuerbehörden Informationen über die Verrechnungspreise zu übermitteln, dürften die Komplexität in diesem wichtigen Bereich jedoch nochmals erhöhen.
Im Falle von HTVI (Hard-to-Value Intangibles) hat der brasilianische Fiskus spezifische Ideen, wie man mit Unsicherheit bei der Bepreisung des Wirtschaftsgutes umzugehen hat. Ansätze sind bedingte Zahlungen (beispielsweise in Form von Lizenzen) und/oder Preisanpassungsklauseln, die beim Eintreten bestimmter Parameter automatische Preisanpassungen auslösen würden.
Der Zinssatz für konzerninterne Darlehen ist abhängig vom Funktions- und Risikoprofil der Darlehensgebers. Ist dieser „funktionsschwach“, findet ein risikoloser Zins Anwendung. Bei funktionsstarken Darlehensgebern ist auf den Basiszins ein Risikoaufschlag vorzunehmen. Im Fall einer reinen Intermediation ist der Fremdvergleichsgrundsatz anzuwenden. Ob sich die brasilianische Finanzverwaltung hier einen Kostenaufschlag vorstellt oder ob eine Vermittlungsgebühr zulässig ist, bleibt bis dato unbeantwortet. Eine Sperrwirkung von Artikel 9 OECD Musterabkommen sieht die brasilianische Finanzverwaltung nicht. Komplex ist auch die Bepreisung von Garantien. Hierbei ist der Rückhalt im Konzern quantitativ abzubilden. Die Dokumentationsanforderungen gehen über die Anforderungen des dreigliedrigen Dokumentationskonzept (Master File, Local File und Country-by-Country Reporting) hinaus und umfassen Informationen über die steuerliche Lage und die Rentabilität der Gruppe.
Was ist zu tun?
Für multinationale Unternehmen, die in Brasilien tätig sind, ist es jetzt an der Zeit, ihr Verrechnungspreismodell aus Sicht der OECD zu überprüfen. Für ausländische multinationale Unternehmen bedeuten die neuen Regelungen die Integration der brasilianischen Tochtergesellschaften in das globale Verrechnungspreismodell. Brasilianische multinationale Unternehmen sollten ihren operativen Ansatz im Hinblick auf die neuen Richtlinien umfassend analysieren.
Zwischen dem 1. und dem 30. September müssen sich die Steuerpflichtigen entscheiden, ob sie bereits in 2023 das neue Steuerregime anwenden möchten. Die Möglichkeit, für das Steuerjahr 2023 zwischen den aktuellen Verrechnungspreisregularien und den OECD-basierten Regularien zu wählen, ist eine einzigartige Gelegenheit, diesen Check durchzuführen und den steuerlich effizientesten Ansatz zu wählen.
Darüber hinaus bietet das Fehlen spezifischer Regeln für die Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter und Funktionsverlagerungen Gestaltungsoptionen für den Übergang zu einer steuereffizienten Struktur, bevor die neuen Verrechnungspreisregeln verbindlich werden beziehungsweise die brasilianische Finanzverwaltung ein Umgehungsverbot erlässt.
Für weitere Informationen wenden Sie sich gern an unsere brasilianischen Verrechnungspreisexperten:
Sebastian Hoffmann (KPMG in Deutschland, aktuell in Brasilien tätig)