• Angelika Huber-Straßer, Partner |

Keyfacts

  • Das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) wird von China, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland sowie den zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten gebildet und nach Ratifizierung der Verträge die weltweit größte Freihandelszone sein.

  • Das Handelsabkommen schafft die Grundlage für eine noch engere Verflechtung zwischen den Volkswirtschaften der Mitgliedsländer und wird die Wertschöpfungsketten in der asiatisch-pazifischen Region stärken.

  • Dadurch entsteht der größte Automarkt der Welt: Das CAR-Institut geht davon aus, dass bereits 2040 jedes zweite Auto in der Freihandelszone verkauft werden könnte.

„Willkommen im größten Automobilmarkt der Welt.“ So könnte demnächst der Titel einer Imagebroschüre für die Freihandelszone Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) im Asien-Pazifik-Raum lauten, die Mitte November 2020 gegründet wurde. Das Handelsabkommen, das coronabedingt in einer Videokonferenz unterzeichnet wurde, umfasst mehr als 40 Prozent aller weltweit verkauften Neuwagen und wird schon aufgrund seiner Größe über die zukünftigen Erfolge aller Player in der Automobilindustrie entscheiden. 

China treibt weltgrößte Freihandelszone

Allein die Zahlen und Fakten zum Freihandelsabkommen sollten das RCEP-Thema an die Spitze der Managementagenden europäischer Unternehmen katapultieren.

15 Asien-Pazifik-Staaten  - China, Japan, Südkorea, die zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten sowie Australien und Neuseeland  - werden nach der vollständigen Ratifizierung der Verträge die größte Freihandelszone der Welt bilden. Erstmals sind China, Indonesien, Japan und Südkorea  - vier der fünf größten Volkswirtschaften in Asien  - einem gemeinsamen Handelsabkommen beigetreten. Das von China getriebene Abkommen wurde in achtjährigen Verhandlungen und 31 Verhandlungsrunden geschaffen.

In den RCEP-Mitgliedsstaaten lebten 2019 30 Prozent der Weltbevölkerung (2,2 Milliarden Menschen) und sie erwirtschafteten fast 30 Prozent des globalen BIP (26,2 Billionen US-Dollar) und 29 Prozent des weltweiten Handelsvolumens. 

Handelserleichterungen stärken lokale Wertschöpfungsketten

Zwar liegt der Anteil der Europäischen Union am Welthandel mit 33 Prozent gegenwärtig noch über dem der RCEP-Gemeinschaft, allerdings dürfte das starke Wachstum Chinas und anderer Mitgliedsstaaten diesen Anteil bald zugunsten des neuen Handelsblocks verschieben. Es wird erwartet, dass das neue Freihandelsabkommen den Welthandel bis 2030 um insgesamt 500 Milliarden US-Dollar steigern könnte. Getragen wird diese Prognose durch ein  - im Vergleich zu Europa  - höheres Bevölkerungswachstum und einen stärkeren Anstieg des Bruttoinlandsprodukts.

Die primären Ziele des RCEP-Abkommens sind Handelserleichterungen durch Zollsenkungen und Bürokratieabbau. Das Vertragswerk schafft aber auch einen einheitlicheren Rahmen für Wettbewerbsregeln, geistiges Eigentum sowie Investitionen. Es enthält Bestimmungen zu technischen Standards, Normen und zur Harmonisierung von Herkunftsbestimmungen. Aspekte wie Arbeitsrechte und Umweltstandards werden in den Verträgen hingegen nicht behandelt. 

Auch vor dem November 2020 bestanden zahlreiche bilaterale und multilaterale Handelsabkommen im Asien-Pazifik-Raum  - so betrug beispielsweise der durchschnittliche Zollsatz auf Handel innerhalb des RCEP-Raums laut ifo-Institut lediglich 1,6 Prozent (2017). Das Abkommen harmonisiert und konsolidiert viele dieser weiterhin existierenden Verträge. Besonders deutlich wird dies bei den für Exporteure relevanten Ursprungsregeln. Statt teils komplexer und sehr bürokratischer Vorgaben eines „local contents“, darf künftig die gesamte Wertschöpfung, die in den 15 Mitgliedstaaten erbracht wird, bei der Berechnung des Ursprungsnachweises und entsprechender Quoten verwendet werden.

Neuordnung des Automobilmarktes

Das RCEP schafft die Grundlage für eine noch engere Verflechtung zwischen den Volkswirtschaften der Mitgliedsländer. Die Freihandelszone wird die geo-ökonomische Weltkarte massiv verändern und die Wertschöpfungsketten in der asiatisch-pazifischen Region stärken. Die Auswirkungen dieser Verschiebungen werden besonders in der Automobilindustrie zu spüren sein.

In den RCEP-Mitgliedsstaaten wurden nach Berechnungen des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen 2020 rund 27,6 Millionen Neuwagen abgesetzt  - dies entspricht einem Weltmarktanteil von fast 43 Prozent. Im Jahr 2030 soll dieser Anteil bereits bei fast 46 Prozent liegen  - entsprechend der Modelle des CAR-Instituts wären dies 41,8 Millionen Fahrzeuge. Und 2040 könnte weltweit bereits jedes zweite Auto in der neugeschaffenen Freihandelszone verkauft werden.

Damit wird auch dem Trend der divergierenden Automärkte Auftrieb verliehen. Es gibt nicht mehr den einen Automarkt: Das RCEP beschleunigt das sich Auseinanderbewegen der Märkte.

Der Abbau bürokratischer und finanzieller Hürden durch das RCEP stärkt die bereits innerhalb der Freihandelszone bestehenden Wertschöpfungsnetzwerke. Besonders südkoreanische und japanische Autohersteller und Zulieferer erwarten davon Wettbewerbsvorteile auf dem weltgrößten Automarkt China. Aber auch Exporte von günstigen Fahrzeugen, Komponenten und Teilen aus China in den RCEP-Raum werden vereinfacht. Dadurch werden auch europäische Unternehmen der Automobilindustrie, die dort bereits tätig sind, von belastbareren und leistungsstärkeren Lieferketten profitieren.

Global Footprint im Umbruch

Mittelfristig wird eine gestärkte Produktion den asiatischen Herstellern zusätzlichen Auftrieb verleihen, und sie werden auf dem Weltmarkt der Zukunft eine bedeutendere Rolle spielen. Der Produktionsstandort Europa hingegen wird durch Handelsumlenkungseffekte sowie gestärkten und neuen Wettbewerbern aus Asien an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Das Handelsabkommen schafft aber auch Anreize: beispielsweise relevante, noch außerhalb bestehende Wertschöpfung in den RCEP-Raum zu verlagern oder neu aufzubauen. Importe aus Europa oder den USA könnten in Zukunft stärker von Zöllen, Produktharmonisierungen und Exporteinschränkungen betroffen sein und dadurch deren Wettbewerbsfähigkeit reduzieren. Nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit wird das Verschiffen von Fahrzeugen, Teilen und Komponenten zunehmend durch eine Produktion vor Ort verdrängt. Global ausgerichtete Standortstrategien mit spezialisierten Produktions- und Export-Hubs (beispielsweise bei SUVs in Nordamerika) könnten schon bald überholt sein.

Die schiere Größe und die stetig wachsende Bedeutung des neuen Wirtschaftsraumes wird nicht nur die Verlagerung von Produktion und Lieferketten hin zu den Absatzmärkten verstärken, sondern auch das Entstehen eigener Ökosysteme, Innovationsstränge und Standards. Öffentliche Förderungen und Vorgaben einerseits und die Berücksichtigung lokaler Konsumgewohnheiten beim Autokauf andererseits werden deutlicher das regionale Modell-Portfolio der Original Equipment Manufacturers (OEMs) bestimmen und Zulieferer dazu zwingen, ihre Innovationsarbeit weiter zu dezentralisieren. 

Wird auch die Forschungs- und Entwicklungsarbeit stärker nach Asien verlagert, werden dort mehr Innovationen entstehen, wodurch neue Standards und Normen in Asien geprägt werden könnten.

Decoupling fördert dezentrale Wertschöpfungsnetzstrategie

Die europäischen Player sollten ihre „local-for-local“-Strategie schärfen, um den privilegierten Zugang zum zukünftig größten Absatzmarkt für Autos zu sichern. Um Teil der immer prägenderen Innovationscluster zu werden, die durch staatlich geförderte Initiativen (beispielsweise bei der Elektromobilität in China oder der Wasserstofftechnologie in Japan) zusätzlich an Bedeutung gewinnen, brauchen die europäischen OEMs und Zulieferer einen neuen Masterplan für ihre globalen Innovations- und Produktionsstrategien.

In einer ersten Phase wird dies einen Verlust an Flexibilität und einen Zuwachs an Koordinations- und Investitionsaufwand für die Automobilindustrie bedeuten. Bislang vernetzte, interagierende und globale Ökosysteme, die über Wirtschaftskorridore hinausreichen, sollten überdacht und mit Blick auf das fortschreitende Decoupling neu aufgesetzt werden. Bei der Standortwahl gilt es, sich abzeichnende geopolitische Tendenzen in Form von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen sowie Investitionssicherheit, Nachhaltigkeit und Technologiezugang noch stärker zu berücksichtigen.

Einige OEMs und Zulieferer werden diesen Schritt nicht aus eigener Kraft bewältigen können. Sie sollten beizeiten darüber nachdenken, ob und mit wem sie Kooperationen eingehen sowie Chancen und Risiken dieses Weges bewerten. 

Der Abbau von Handelshemmnissen durch das RCEP wird dem asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum Auftrieb verleihen und die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten stärken. Mit der richtigen Strategie kann davon langfristig auch die europäische Autoindustrie profitieren. Wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehören wird, hängt von den jeweiligen regionalen und globalen Lieferketten ab. Ohne individuelle Regionalstrategien werden die Unternehmen der Automobilindustrie den neuen Herausforderungen nicht gewachsen sein.