• Philipp Schiml, Senior Manager |

Gastbeitrag*

Keyfacts

  • Der Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz wurde veröffentlicht.

  • Die Sanktionen können bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen.

  • Die derzeitige Ausgestaltung der Sanktionierung wirft allerdings eine Vielzahl von Fragen und Problemen auf.

  • Unternehmen sollten die zwei Jahre bis Inkrafttreten nutzen, um entsprechende Compliance-Systeme zu implementieren oder ggf. anzupassen.

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hat am 21. April 2020 „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft“ veröffentlicht. Dessen Kernstück ist das „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (Verbandssanktionengesetz  - VerSanG). 

Der vorgestellte Entwurf des Verbandssanktionengesetzes wird weitreichende Auswirkungen auf die Strafverfolgungspraxis und den Umgang von Unternehmen mit Rechtsverstößen mit sich bringen. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Ausgestaltung des Sanktionsinstrumentarium des VerSanG-E, welches eine „angemessene Ahndung“ von Unternehmenskriminalität ermöglichen soll.

1. Grundlagen der Sanktionierung

Eine Sanktionierung des Verbands erfolgt dann, wenn eine Verbandstat (1) durch eine Leitungsperson begangen worden ist oder (2) wenn diese durch eine Nicht-Leitungsperson begangen wurde, die Leitungspersonen des Verbands die Vorkehrungen unterlassen haben, die zur Vermeidung oder Erschwerung der Straftat angemessen gewesen wären. 

Problematisch hierbei ist, dass Verbandstaten, die durch eine Leitungsperson volldeliktisch begangen werden, dem Verband ohne weitere Voraussetzungen zugerechnet werden. Eine Exkulpation des Verbandes soll hier nur bei sog. Exzesstaten möglich sein. 

Für die Zurechnung von Verbandstaten von Nicht-Leitungspersonen genügt im Gegensatz zu § 130 OWiG bereits die objektive Pflichtwidrigkeit des Unterlassens der angemessenen Vorkehrungen. Auf ein Verschulden der Leitungsperson kommt es nicht an. Ausreichend ist bereits das volldeliktische Verhalten einer Nicht-Leistungsperson, die allerdings nicht notwendig individuell ermittelt werden muss. Ohne Bestimmung eines konkreten Täters wird der Nachweis einer schuldhaft begangenen Verbandsstraftat indes nur selten zu erbringen sein. Dennoch sollte hier auf das Verschuldensprinzip zurückgegriffen werden. 

2. Konzernsachverhalte

Die Sanktionierung richtet sich grundsätzlich immer gegen den Verband, dessen (Nicht-)Leistungsperson die Verbandstat begangen hat (Rechtsträgerprinzip). Eine Erstreckung auf Konzerngesellschaften – außerhalb der Rechtsnachfolge und Ausfallhaftung – sieht der Entwurf grundsätzlich nicht vor. Allerdings ist dies nach dem derzeitigen Gesetzesentwurf und der dazugehörigen Begründung durchaus denkbar:

  • Der Täter der Verbandstat ist Leitungsperson (auch) einer anderen Konzerngesellschaft (Doppelmandat). Gleiches gilt, wenn der Konzerngesellschaft Weisungs- und Direktionsrechte gegenüber einer Nichtleitungsperson zustehen, die in Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten handelt, jedoch bei einer anderen Konzerngesellschaft beschäftigt ist.
  • Der Täter der Verbandstat ist Leitungsperson (auch) einer anderen Konzerngesellschaft (Doppelmandat). Gleiches kann gelten, wenn eine Nicht-Leitungsperson einer Konzerngesellschaft in seinem Fachbereich – z. B. aufgrund von Richtlinien – Weisungs- und Direktionsrechten eines Mitarbeiters einer anderen Konzerngesellschaft (Matrixstruktur) unterliegt. 

In beiden Fällen ist Voraussetzung, dass durch die Tat Verbandspflichten (auch) der anderen Konzerngesellschaft verletzt worden sind oder auch diese bereichert worden ist oder werden sollte. 

3. Verbandssanktionen

Verbandssanktionen sind die Verbandsgeldsanktion und die Verwarnung mit dem Vorbehalt der Verbandsgeldsanktion. Als Nebenfolge kann bei einer großen Zahl von Geschädigten die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung ausschließlich für Zwecke der Information über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen angeordnet werden. Die verhängte Sanktion wird außerdem in das Verbandssanktionenregister eingetragen.

4. Verbandsgeldsanktion

Die Verbandsgeldsanktion beträgt ebenso wie im OWiG 10 Mio. Euro (vorsätzliche Tatbegehung) bzw. 5 Mio. Euro (fahrlässige Tatbegehung). Neu ist das umsatzabhängige Höchstmaß für Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als einhundert Mio. Euro. Dieses soll 10 % (vorsätzliche Tatbegehung) und 5 % (fahrlässige Tatbegehung) des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen. 

Hier wird die Problematik des zuvor beschriebenen Zurechnungsmodells sichtbar. Da allein das Verschulden der Nicht-Leitungsperson maßgeblich ist, kommt das umsatzbezogene Höchstmaß von 10 % bereits dann zur Anwendung, wenn die Nicht-Leitungsperson, die auch eine konzernfremde Person sein kann, die Tat vorsätzlich begangen hat, das Unternehmen jedoch die angemessenen Vorkehrungen lediglich objektiv fahrlässig unterlassen hat. 

Zudem kommt es zu einem Bruch mit dem geltenden Rechtsträgerprinzip: Bei der Ermittlung des durchschnittlichen Jahresumsatzes ist – orientiert am Kartellrecht – der weltweite Umsatz aller Personen und Verbände der letzten drei Jahre maßgeblich, die mit dem betroffenen Verband in einem Konzernverbund unter einheitlicher Leitung stehen (sog. wirtschaftliche Einheit). Damit haben Veränderungen der Konzernstruktur und damit des relevanten Konzernumsatzes unmittelbaren Einfluss auf die Höhe des Sanktionsrahmens: Denkbar ist, dass der durchschnittliche Jahresumsatz durch eine Ausgliederung des Verbands aus der wirtschaftlichen Einheit in den letzten drei Jahren vor der Verurteilung reduziert werden könnte. Umgekehrt kann beispielsweise die Eingliederung eines Zielunterunternehmens in den Käufer-Konzern nach einem Share-Deal dazu führen, dass sich der durchschnittliche Jahresumsatz auch nach dem (ggf. höheren) Umsatz des Käufer-Konzerns bestimmt. Mit der Neuregelung wächst daher die Bedeutung von Compliance Due Diligence, durch die böse Überraschungen im Rahmen von M&A-Transkationen vermieden werden können, deutlich.

Überhaupt stellt der Umsatz – erst recht der Konzernumsatz – anders als der Gewinn kein angemessenes Kriterium zur Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dar. Zwar sind die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Bemessung der Höhe der Geldsanktion in einem zweiten Schritt zu berücksichtigen. Sachgerechter wäre es bereits bei der Bestimmung des Sanktionsrahmens auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen. 

Ein weiterer Nachteil des umsatzbezogenen Sanktionsrahmens gegenüber einem Tagessatzsystem, das an das Unrecht der Tat knüpft, ist die fehlende Vorhersehbarkeit der Sanktionshöhe. Insoweit bleibt die Praxis der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte abzuwarten. Der Referentenentwurf geht von ca. 15.000 Verfahren im Jahr aus. 

Schließlich ist zweifelhaft, ob der umsatzbezogene Sanktionsrahmen, der unterschiedslos für Verbandstaten mit hohem und niedrigem Unrechtsgehalt gilt – z. B. Totschlag und Diebstahl – den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gleichheitssatzes standhält.

5. Verwarnung mit dem Vorbehalt der Verbandsgeldsanktion

Sofern ein Absehen von der Verfolgung nach den §§ 35 ff. VerSanG-E nicht in Betracht kommt, wird das Hauptaugenmerk der Verteidigung auf der Verwarnung mit dem Vorbehalt der Verbandsgeldsanktion liegen – einer Art Bewährung für den Verband. 

Das Gericht kann den Verband lediglich verwarnen und die Verhängung einer Geldsanktion (ggf. auch nur teilweise) für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren vorbehalten, wenn besondere Umstände die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion entbehrlich machen.

Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn es sich bei der Tat um einen nicht schwerwiegenden „Ausreißer“ handelt, der Täter bestehende Kontrollmechanismen umgangen hat, der Verband selbst durch die Tat schwer betroffen ist und/oder die Geschädigten vorbehaltlos entschädigt wurden. 

Es ist davon auszugehen, dass die Gerichte ihr diesbezügliches Ermessen ausüben und die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt mit Auflagen und/oder Weisungen verbinden werden. In Betracht kommt insbesondere die Implementierung von bestimmten Compliance-Maßnahmen, die gegebenenfalls durch Bescheinigung einer sachkundigen Stelle (z. B. eines Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Unternehmensberatung) nachzuweisen sind. 

Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzesentwurf keine konkreten Vorgaben enthält, die als angemessen anzusehen sind. Die Auswahl der zu bestimmenden Vorkehrungen wird daher in das Ermessen des Gerichts und bei generischen Weisungen des Gerichts letztlich in das Ermessen der sachkundigen Stelle gestellt. Hinsichtlich Qualifikation, Prüfungsumfang und -maßstab, Dauer der Tätigkeit und Überwachung der sachkundigen Stelle stellen sich bisher allerdings noch zahlreiche Fragen, die der Klärung durch den Gesetzgeber bedürfen. 

Verstößt der Verband in der Vorbehaltszeit gröblich oder beharrlich gegen die Auflagen oder Weisungen oder kommt es zu einer weiteren Verbandstat, wird die bislang vorbehaltene Geldsanktion verhängt. Auch vor diesem Hintergrund muss Ziel der Verteidigung sein, die Vorbehaltszeit möglichst kurz zu halten. 

6. Kriterien für die Bemessung der Verbandsgeldsanktion

Entscheidend für die Bemessung der Verbandsgeldsanktion sind die Bedeutung der Verbandstat, der Vorwurf, der den Verband trifft, und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verbands, d. h. die Umstände, welche die Fähigkeit des Verbands beeinflussen, eine bestimmte Geldsanktion aufzubringen.

Bei einer Verlustübernahmepflicht, namentlich im Rahmen von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen, sind auch – wiederum in Abweichung vom Rechtsträgerprinzip – die wirtschaftlichen Verhältnisse der beherrschenden Muttergesellschaft zu berücksichtigen. 

Eine besondere Bedeutung misst der Referentenentwurf Compliance-Maßnahmen auch im Rahmen der Bestimmung der angemessenen Sanktion bei. Ein effektives Compliance-Management-System kann dazu führen, dass die Verbandstat der Nicht-Leitungsperson dem Verband nicht zugerechnet wird, von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit oder gegen Auflagen abgesehen werden kann oder lediglich eine Verwarnung ausgesprochen wird. Bei der Bestimmung der Höhe der Geldsanktion können die vor oder nach der Tat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten sowie die Bemühungen des Verbands, die Verbandstat aufzuklären, sanktionsmildernd berücksichtigt werden. 

Der umgekehrte Fall, d. h. dass das Unterlassen angemessener Vorkehrungen strafschärfend berücksichtigt wird, wenn die Verbandstat von einer Nichtleitungsperson begangen wurde, scheint nach der Gesetzesbegründung ebenfalls möglich. Unklar bleibt ferner, ob die strafschärfende Berücksichtigung von unterlassenen Compliance-Maßnahmen auch bei der Tat einer Leitungsperson zulässig ist. 

Schließlich werden erfolgreiche verbandsinterne Untersuchungen mit einer besonderen (sog. vertypten) Sanktionsmilderung honoriert – der Sanktionsrahmen wird halbiert und eine öffentliche Bekanntmachung ist ausgeschlossen. 

7. Fazit

Die beabsichtigte Verbesserung des Sanktionsinstrumentariums im Referentenentwurf stellt vor allem eine Verschärfung dar. Mit der geplanten Einführung von der Verfolgungspflicht sind mehr und schärfere Sanktionen zu erwarten. Wünschenswert ist, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die starre Obergrenze und die Anknüpfung an den Umsatz des Konzerns durch ein Tagessatzmodell ersetzt werden, das sich an dem Unrechtsgehalt der Tat und dem Gewinn des Unternehmens orientiert.

Unternehmen sollten die Übergangszeit von zwei Jahren bis zum Inkrafttreten des geplanten Gesetzes zu nutzen, angemessene Compliance-Systeme zur Vermeidung von Verstößen zu implementieren oder die bestehenden Systeme im Hinblick auf die geplanten Regelungen anzupassen. Bestehen bereits Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Verbandstat, gibt es neben präventiven Maßnahmen auch eine Vielzahl von Verteidigungsansätzen: Das Hinwirken auf das Absehen von der Verfolgung (z. B. gegen Auflagen), die Kooperation im Rahmen von verbandsinternen Untersuchungen, die Erreichung einer Geldsanktion unter Vorbehalt oder schließlich einer Reduzierung der Geldsanktion. Die Vorgehensweise sollte eng mit dem Unternehmensverteidiger abgestimmt werden. 

*Dies ist ein Gastbeitrag des Experten Philipp Schiml. Als Senior Manager der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH betreut er u.a. Steuer- und Wirtschaftsrecht