• Victoria Schweizer, Expert |
  • Samantha Duff, Expert |

Telearbeit im Wohnsitzstaat ist nicht mehr wegzudenken. Die damit einhergehende Komplexität im Bereich der Sozialversicherungsunterstellung bedarf deshalb einer dringenden Lösung. Die von der EU-VK beauftragte Arbeitsgruppe scheint nun mit dem MFA einen praxisrelevanten Vorschlag gefunden zu haben.

Eine Pandemie – tausend neue Komplexitäten

COVID-19 hatte Auswirkungen in den verschiedensten Gebieten, so auch in der Arbeitswelt. In unzähligen Ländern stellten Massnahmen zur Einschränkung der Pandemie sowohl Arbeitgebende wie auch Arbeitnehmende vor bisher unbekannte Herausforderungen. Vor der Pandemie war Telearbeit in vielen Unternehmen noch keine gängige Arbeitsweise – die Umstellung war entsprechend komplex und forderte von beiden Seiten Anpassungsfähigkeit.

Um diese Komplexität wenigstens im Bereich der Sozialversicherungsunterstellung zu mindern, galt bis zum 30. Juni 2022 das Credo, dass die Sozialversicherungsunterstellung aufgrund von coronabedingter Telearbeit im Wohnsitzstaat im Arbeitgeberstaat verbleibt.

Mittlerweile hat sich die Telearbeit vielerorts etabliert – auch ohne Massnahmen zur Einschränkung der Pandemie. Um dieser neuen Arbeitswelt Rechnung zu tragen gilt aktuell bis zum 30. Juni 2023 nach wie vor, dass sich die Sozialversicherungsunterstellung nicht in den Wohnsitzstaat verschiebt, wenn die Arbeitstätigkeit zu 25% oder mehr dort ausgeübt wird.

Wie sieht die (mittelfristige) Zukunft der Sozialversicherungskoordination aus?

Dieser Frage ist die EU-Verwaltungskommission in den letzten Monaten intensiv nachgegangen. Sie beauftragte dazu eine Arbeitsgruppe, welche nun das Multilateral Framework Agreement präsentiert.

Bisher galt: Wenn eine Person in zwei oder mehr Mitgliedsstaaten arbeitet und ihre Arbeitstätigkeit zu einem wesentlichen Teil im Wohnsitzstaat ausübt, gelten die Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates und diese Person ist dessen Sozialversicherungssystem unterstellt. Mit «wesentlich» galt bis anhin «mindestens 25%».

Multilateral Framework Agreement (MFA)

Mit dem MFA wird nun ein Optionsrecht (Opt-in) für Arbeitgebende und Arbeitnehmende vorgeschlagen, um im Sozialversicherungssystem des Arbeitgeberstaates zu verbleiben, wenn sich die Tätigkeit im Wohnsitzstaat auf zwischen 25% und 49% beläuft. 

Welche Staaten sind dem MFA unterstellt?

  • EWR
  • Schweiz
  • UK für Arbeitnehmende, die unter das EU-UK Withdrawal Agreement fallen

Die Ausübung der Arbeitstätigkeit ist somit nicht auf den Wohnsitzstaat und Arbeitgeberstaat beschränkt. Wichtig ist, dass die Arbeitstätigkeit im Wohnsitzstaat unter 50% liegt.

Wichtig: Drittstaatsangehörige im Verhältnis Schweiz – EU sind nicht abgedeckt. Für Drittstaatsangehörige, welche in mehr als einem Staat arbeiten, besteht das Risiko eines Sozialversicherungssplits oder einer Doppelunterstellung. Solche Fälle sollten stets individuell geprüft werden!

Per wann könnte das MFA zur Anwendung kommen?

Aktuell liegt das MFA bei den Mitgliedsstaaten zur Unterschrift vor. Sobald es von allen unterzeichnet ist, würde das MFA per 1. Juli 2023 in Kraft treten.

Welche Möglichkeiten bietet das MFA, sobald es in Kraft getreten ist?

  • Arbeitnehmende, die in einem anderen Mitgliedsstaat leben als ihr Arbeitgebender den Sitz hat (z.B. Grenzgänger) sind durch das neue MFA abgedeckt.
  • Arbeitgebende und Arbeitnehmende können einen Antrag auf Verbleib im Sozialversicherungssystem des Arbeitgeberstaates stellen, wenn die Arbeit im Wohnsitzstaat mehr als 25% und weniger als 50% beträgt.
  • Das Opt-In kann so lange beantragt werden, wie die Arbeitssituation anhält.

Wichtig: Wenn das MFA in Kraft tritt, handelt es sich dabei nicht um geschriebenes Gesetz – es ist ein Opt-in! Anwendung findet das Opt-in nur, wenn eine A1-Bescheinigung beantragt wird. Wird kein A1 beantragt, findet die 25%-Grenze Anwendung.

Welche Änderungen sind langfristig zu erwarten?

Das MFA soll eine temporäre Lösung sein, da Gesetzesänderungen im Sozialversicherungsbereich ihre Zeit brauchen. Die EU-Verwaltungskommission hat bereits eine neue Arbeitsgruppe damit beauftragt, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Dieser soll die Ziele des MFA widerspiegeln, damit die EU Verordnung geändert werden kann.

Der Gesetzesentwurf muss bis Ende 2024 vorgelegt werden.

Was gilt es sonst noch zu beachten?

Das MFA bietet eine praktikable Lösung im Bereich der Sozialversicherung. Es sollte jedoch stets das Gesamtbild im Auge behalten werden. Die vermehrte Ausübung einer Arbeitstätigkeit im Wohnsitzstaat kann neue Herausforderungen im Individual- und Unternehmenssteuerbereich mit sich bringen. Eine ganzheitliche Betrachtung der grenzüberschreitenden Situation ist deshalb unumgänglich.