• Silvan Jurt, Partner |
  • Florian Bornhauser, Director |

Was ist geschehen?

Am 23. November hat der Bundesrat die Vollzugsverordnung zur Klimaberichterstattung verabschiedet.  Damit werden die Empfehlungen der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) für Unternehmen von öffentlichem Interesse verbindlich. Diese Entwicklung haben einige KPMG-Kollegen bereits vor einem Jahr vorausgesehen.

Damit den Unternehmen genügend Zeit für die Umsetzung bleibt, tritt die Verordnung erst ab dem 1. Januar 2024 in Kraft (ein Jahr später als ursprünglich geplant).

Dennoch sollten sich die betroffenen Schweizer Unternehmen jetzt keineswegs zurücklehnen. Vielmehr sollten sie sich bewusst sein, dass die indirekten Auswirkungen dieser Berichterstattungspflichten über eine reine Berichterstattungsproblematik hinausgehen werden. Viele Unternehmen werden in den kommenden 12 Monaten nämlich ernsthafte Strategiearbeit leisten müssen, um bereit zu sein, wenn im Jahr 2024 «die Lichter angehen».

Damit ist das Thema nicht nur für CFOs und Nachhaltigkeitsbeauftragte relevant. Vielmehr handelt es sich um eine strategische Thematik, die auf der Agenda von CEOs und dem Verwaltungsrat stehen sollte - und zwar genau jetzt.

Wer ist betroffen?

Dieses Thema betrifft diejenigen Schweizer Unternehmen, welche die neuen Vorschriften zur nicht-finanziellen Berichterstattung gemäss revidiertem Obligationenrecht (OR) einhalten müssen, d.h. börsenkotierte Unternehmen oder von der FINMA beaufsichtigte Finanzinstitute mit mindestens 500 Vollzeitstellen und entweder einer Bilanzsumme von CHF 20 Mio. oder einem Gesamtertrag von CHF 40 Mio. (auf konsolidierter Basis, einschliesslich kontrollierter Unternehmen im Ausland). Von diesen Unternehmen gibt es über 200 in der Schweiz.

Die Dringlichkeit sollte bei denjenigen Unternehmen am deutlichsten zu Tage treten, die die TCFD-Vorbereitung noch nicht in Angriff genommen haben.

Der umfassendere Kontext

Der Klimawandel ist für die Menschheit eine der bedeutendsten Herausforderungen überhaupt.  

Vor diesem Hintergrund haben sich 194 Staaten im April 2016 mit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens dazu verpflichtet, durch entsprechende Massnahmen die globale Erwärmung auf "deutlich unter" zwei Grad, idealerweise 1,5 Grad , zu begrenzen. Während seither die länderübergreifenden Diskussionen über die konkreten Umsetzungsmassnahmen fortgesetzt wurden – zuletzt auf der COP27 in Ägypten  – haben viele Länder damit begonnen, ihre eigenen Ziele und Aktionspläne zu entwickeln.

So hat beispielsweise die Europäische Union (EU) gesetzlich festgelegt, bis 2050 «klimaneutral» zu werden und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % zu senken. Die von der Schweiz veröffentlichte Klimastrategie zielt auf Netto-Null-Emissionen bis 2050 und eine Halbierung bis 2030 ab, wobei die Emissionen im Ausland teilweise angerechnet werden.

Es herrscht ein breiter Konsens darüber, dass zur Erreichung dieser Ziele mehr Transparenz über die Klimaauswirkungen von Unternehmenstätigkeiten erforderlich ist. Dementsprechend haben viele Länder im Laufe des Jahres 2022 neue Vorschriften für die nichtfinanzielle Berichterstattung eingeführt - sowohl in der Schweiz (revidiertes OR) wie auch in mehreren ausländischen Rechtsordnungen, die für Schweizer Unternehmen von Bedeutung sind (z.B. in der EU mit der CSRD oder in Grossbritannien mit seinem auf den TCFD-Empfehlungen basierenden System der klimabezogenen Offenlegung).

Inzwischen sind sich die meisten grossen Schweizer Unternehmen daher bewusst, dass sich die Vorgaben für die externe Berichterstattung ändern. Dank der Verordnung vom 23. November ist nun klar, welcher Detaillierungsgrad von einer solchen Berichterstattung erwartet wird – und zwar derjenige der TCFD-Empfehlungen.

Allerdings gehen die Auswirkungen unserer Meinung nach über die reine Berichterstattung hinaus, und zwar aus den im Folgenden dargelegten Gründen.

Weshalb also erfordert die TCFD-basierte Klimaberichterstattung eine Überprüfung der Strategie?

Es würde den Rahmen dieses Blogbeitrags sprengen, die konkreten Empfehlungen der TCFD im Detail zu erörtern. 

Der wichtigste Aspekt ist, dass die TCFD zwar in erster Linie ein Rahmenwerk für die Offenlegung ist, indirekt jedoch auch zu einem erhöhten Druck auf diejenigen Unternehmen führen wird, die einen unterdurchschnittlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die TCFD entsprang ursprünglich dem Wunsch, Investoren, Kreditgebern und Versicherern zu ermöglichen, die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken besser abschätzen zu können . Das Kernziel der TCFD-Empfehlungen besteht also darin, die Qualität der Offenlegung zu verbessern – sie enthalten keine direkten Vorgaben für Klimaschutzmassnahmen. Der vom Gesetzgeber verfolgte Grundgedanke ist jedoch, dass wenn die Unternehmen erst einmal ihre Berichterstattung im Rahmen der TCFD-Empfehlungen ausweiten müssen, der Druck auf Unternehmen mit einer unterdurchschnittlichen Klima-Performance zunehmen wird, da deren Leistung besser erkennbar wird, wenn die «Lichter angehen».

Abgesehen von diesem indirekten Effekt fordert der TCFD-Rahmen auch ausdrücklich die Berichterstattung über Bereiche, für die eine strategische Überprüfung erforderlich ist, um angemessen über sie berichten zu können, so zum Beispiel:

  1. Governance: Die TCFD verlangt eine Beschreibung der Rolle des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung in Bezug auf die Bewertung von klimabezogenen Risiken und Chancen. Nach unserer Erfahrung ist eine solche Governance in vielen betroffenen Schweizer Unternehmen nicht ausreichend institutionalisiert. Dementsprechend müssen die Rollen und Zuständigkeiten auf höchster Ebene in vielen Unternehmen neu definiert werden.
  2. Strategie: Die TCFD schreibt die Offenlegung von klimabezogenen Risiken und Chancen vor, mit der ausdrücklichen Empfehlung, Szenarioanalysen sowohl für physische Risiken als auch für Übergangsrisiken («Transition Risks») durchzuführen. Für viele Unternehmen ist eine solche szenariobasierte Analyse neu und stellt somit für viele eine Herausforderung dar. Darüber hinaus werden Anleger die Risiken und Chancen, welche in einer solchen Szenarioanalyse erkannt werden, prüfen und darauf achten, ob sie sich in der Gesamtstrategie des Unternehmens widerspiegeln. Beispiel: Nehmen wir an, ein wesentliches Übergangsrisiko eines fiktiven Unternehmens besteht im CO2-Fussabdruck von dessen Produkten in einer Welt mit stark steigenden CO2-Preisen. Für ein solches Unternehmen werden Investoren in absehbarer Zeit die Frage stellen, ob entweder ein angemessener Dekarbonisierungsplan besteht oder ob das Unternehmen eine Umstellung des Produktportfolios auf emissionsärmere Produkte plant. Solche Fragen können nur befriedigend beantwortet werden, wenn die entsprechende strategische Überprüfung vorgängig stattgefunden hat.
  3. Messgrössen: Die TCFD verlangt die Offenlegung von Treibhausgasemissionen (Scope 1, Scope 2 und in vielen Fällen Scope 3) sowie der entsprechenden zukünftigen Ziele. Derzeit gibt nur etwa ein Drittel der 100 grössten Schweizer Unternehmen an, dass sie im Einklang mit den TCFD-Empfehlungen berichten - zwei Drittel tun dies nicht. Für viele Unternehmen ist die Festlegung glaubwürdiger Dekarbonisierungsziele daher mit erheblichem Aufwand verbunden. Dies ist eine Aufgabe mit strategischer Tragweite, denn dazu müssen sie die verfügbaren Technologien zur Dekarbonisierung prüfen, die Kostenauswirkungen auf ihre Produkte modellieren, überlegen, inwieweit diese Kosten auf Kunden abgewälzt werden können, die Machbarkeit einer Umgestaltung von Geschäfts- und Betriebsmodellen durchdenken (z.B. auf Kreislaufwirtschaft basierende Modelle, die neue Wege der Interaktion mit Kunden und Lieferanten erfordern) usw. 

Welche Schritte sollten die Unternehmen nun anstossen – und wie können sie einen Mehrwert aus dieser Übung ziehen?

Wir empfehlen den betroffenen Schweizer Unternehmen die verbleibenden zwölf Monate bis zum Inkrafttreten der Verordnung so zu nutzen, dass folgendes zweigleisiges Vorgehen durchgeführt werden kann:

1. Überprüfung der Unternehmensstrategie unter der Federführung des Verwaltungsrats oder des CEOs, mit expliziter Betrachtung folgender Dimensionen:

  • Kunden: Sind Ihre Kunden dabei, ihr Kaufverhalten zugunsten von CO2-armen Produkten/Lieferanten zu ändern? Haben diese Kunden Ziele für die Reduzierung von Scope 3 Emissionen festgelegt, die auch Sie betreffen werden? Eröffnen sich möglicherweise neue Marktsegmente in einer CO2-armen Welt?
  • Wettbewerb: Wie sehen Ihre klimabezogenen Ambitionen im Vergleich zu Ihren Wettbewerbern aus? Wer ist diesbezüglich führend in Ihrem Sektor?
  • Investoren: Angesichts Ihrer Kapitalstruktur, wie verändern sich die Erwartungen Ihrer Investoren oder Kreditgeber? Gibt es Möglichkeiten, durch eine nachhaltigere Entwicklung Ihre Kapitalkosten zu senken?
  • Regulierung: Mit welchen Regulierungen ist in Ihrem Sektor mittelfristig zu rechnen, die die Wirtschaftlichkeit Ihres Unternehmens verändern werden? (z. B. Plastiksteuern, CO2-Preise, Rechtsvorschriften, welche die Reparierbarkeit oder das Recycling von Produkten vorschreiben, usw.)
  • Mitarbeitende: Welchen Stellenwert hat die Verbesserung der Klimaleistung für Ihre Attraktivität als Arbeitgeber?
  • Technologie: Wie sehr ermöglichen es Ihnen Ihre derzeitigen Prozesse und Technologien, Ihre Klimaleistung angemessen zu überwachen und aktiv zu steuern? Werden neue Technologien entwickelt, die Ihre Nachhaltigkeitstransformation entscheidend verändern könnten?
  • Lieferanten: Was für eine Rolle spielen Ihre Lieferanten in Bezug auf Ihre klimabezogene Leistung?
  • Governance: Sind die Rollen und Verantwortlichkeiten klar definiert? Sind diese Rollen so gestaltet, dass Sie einen funktionsübergreifenden Wandel wirksam vorantreiben und koordinieren können?
  • Physische Risiken und Übergangsrisiken: Wie sehr sind Sie den durch den Klimawandel bedingten Risiken ausgesetzt, und zwar sowohl in Bezug auf physische Risiken (bei Eintritt eines erheblichen Klimawandels) als auch in Bezug auf Übergangsrisiken (bei Ergreifung immer aggressiverer politischer Massnahmen zur Eindämmung des Klimawandels)?
  • Dekarbonisierung: Was müsste geschehen, um Ihr Unternehmen so zu dekarbonisieren, dass es den Ambitionen der offiziellen Schweizer Klimaziele gerecht wird? Wie würde sich ein solcher Dekarbonisierungspfad auf Ihr gesamtes Geschäfts- und Betriebsmodell auswirken?

2. Eine Beurteilung der Berichterstattungsbereitschaft unter der Leitung des für die Berichterstattung Verantwortlichen (z. B. CFO), mit dem Schwerpunkt auf dem Verständnis der TCFD-Anforderungen, dem Vergleich mit den aktuellen Berichterstattungsinhalten und -verfahren (Lückenanalyse) und der Frage, wie allfällige Lücken geschlossen werden können.

Zusammengenommen werden diese beiden Arbeitsbereiche dabei helfen, aus dem, was zunächst nur wie eine Formalität erscheinen mag, einen tatsächlichen Mehrwert abzugewinnen. Sie werden dabei erkennen, dass sowohl die Risiken als auch die Chancen des Klimawandels real und bereits heute sichtbar sind und entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette Anpassungs- und Schutzmassnahmen erfordern.

Mithilfe dieses zweigleisigen Ansatzes können Unternehmen das Risiko minimieren, auf dem falschen Fuss erwischt zu werden, sobald die TCFD-basierte Berichterstattung einsetzt und dadurch zu höherer Transparenz über Ihre tatsächliche klimabezogene Performance führt. Beide Arbeitsbereiche zusammen versetzen Unternehmen in die Lage, ihren Stakeholdern klar zu kommunizieren, dass die relevanten klimabezogenen Risiken verstanden sind und proaktiv gemanagt werden – und dass Sie dazu bereit sind, die Chancen zu nutzen, die eine klimafreundlichere Welt bietet.