Verantwortung von Unternehmen in Bewegung Verantwortung von Unternehmen in Bewegung
Am 29. November fällt das Stimmvolk den Entscheid zur Volksinitiative „für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ (Konzernverantwortungsinitiative). Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung haben sich die Erwartungen an ein verantwortungsvolles Verhalten der Unternehmen in den letzten Jahren tiefgreifend verändert. Risiken im sozialen und ökologischen Bereich können gravierende Auswirkungen auf die Reputation und die finanzielle Situation eines Unternehmens haben, und verdienen darum angemessene Beachtung. Die gesetzliche Verankerung unternehmerischer Sorgfaltspflichten bringt eine Ausweitung des rechtlich eingegrenzten Verantwortungsbereichs von Unternehmen sowie steigende Anforderungen an Compliance-Systeme.
Doch welche Pflichten bestehen heute konkret und weshalb sind sie ein Thema für den Verwaltungsrat?
Verantwortung von Unternehmen
John Ruggie ist der Frage nach der Verantwortung von Unternehmen als UNO-Sonderbeauftragter zwischen 2005 und 2011 nachgegangen. „Unternehmen haben die Verantwortung, die Menschenrechte zu achten und die dazu erforderliche Sorgfalt anzuwenden. Staaten und Unternehmen müssen ausserdem dafür sorgen, dass geschädigte Personen wirksame Wiedergutmachung erhalten. „Diese beiden Leitprinzipien sind zwei von drei Säulen der UNO-Leitprinzipien, welche 2011 vom Menschenrechtsrat einstimmig verabschiedet wurden. Seither haben die sogenannten Ruggie-Principles sowohl die politischen Diskussionen angetrieben als auch Eingang in Berichterstattungsvorschriften, Richtlinien für Management-Prozesse und Beurteilungen von Rating-Agenturen gefunden. Sie bilden auch die Basis für die Kernforderungen der Konzernverantwortungsinitiative.
Mit den UNO-Leitprinzipien wurde klar kommuniziert, dass die Verantwortung der Unternehmen – geeignete Massnahmen zu ergreifen, um negative Auswirkungen auf Menschenrechte zu verhindern – bis dato zwar keine zwingend rechtliche Verpflichtung, aber eine unternehmerische Verantwortung darstellt. Die rechtliche Verankerung obliegt den einzelnen Ländern.
Rechtliche Verpflichtungen und Erwartungen von Anspruchsgruppen
Auf staatlicher Ebene haben in diesem Zusammenhang zahlreiche Staaten Aktionspläne (NAPs) entwickelt, um die UN-Leitprinzipien zu fördern - so auch die Schweiz. In vielen Jurisdiktion geht die entsprechende Umsetzung dabei bereits über den „Soft-Law“-Bereich hinaus. Eine steigende Anzahl von nationalen Gesetzgebungen verlangt von Unternehmen mittlerweile die Offenlegung von Angaben zur Implementierung geeigneter Verfahren zur Identifikation von potentiellen Auswirkungen auf Menschenrechten in deren operativen Einheiten und teilweise sogar in der Zuliefererkette. Beispielhaft seien hier die französische Gesetzgebung (Sorgfaltspflichten – Duty of vigiliance law) oder die britische Gesetzgebung zur modernen Sklaverei (Modern Slavery Act) genannt. In Deutschland wird das „Lieferkettengesetz“ diskutiert. Die regulatorische Landschaft verdichtet sich zunehmend und stellt insbesondere international operierende Gesellschaften vor Herausforderungen hinsichtlich ihrer rechtlichen Compliance.
Neben den rechtlichen Anforderungen steigen auch die Erwartungen weiterer wesentlicher Anspruchsgruppen, wie zum Beispiel die der Kunden, Mitarbeiter und vor allem Investoren hinsichtlich angemessener Schutzmassnahmen, Sorgfaltsprüfungen und entsprechender Transparenz. Wichtige Indizes und Raters haben spezifische Menschenrechtsaspekte in ihre Bewertungsmethoden eingebaut und erhöhen damit den Druck auf die Unternehmen, insbesondere auch in Bezug auf die Berichterstattung. Der GRI-Standard, der meist genutzte Standard zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, ist beispielsweise gerade im Begriff, seinen Menschenrechtsstandard weiter zu überarbeiten.
Werden soziale und ökologische Themen nicht ernst genommen und adressiert, können sich gravierende Auswirkungen auf die Reputation oder die finanzielle Situation von Unternehmen ergeben, selbst wenn sich entsprechende Ereignisse ausserhalb des Kontrollbereichs, bspw. in der Zuliefererkette, manifestieren. Nicht nur eine steigende Anzahl von Rechtsfällen ist zu befürchten, sondern auch ein zunehmender Druck der Öffentlichkeit.
Einige führende Unternehmen haben deshalb bereits vor einer Weile begonnen Management- und Berichterstattungsprozesse aufzubauen. Dabei können sich grosse Herausforderungen ergeben.
Herausforderungen für Unternehmen und die Rolle des Verwaltungsrates
Glaubwürdige und robuste Managementansätze im Bereich Menschenrechte erfordern Spezialistenwissen und Erfahrung, die in vielen, vor allem kleineren und mittleren Unternehmen, nicht vorhanden sind. Generell zu erwartenden Elemente, die sich in Anlehnung an international anerkannte Richtlinien ergeben, sind
- klare Zuweisung von Verantwortlichkeiten für die Thematik;
- Etablierung einer unternehmensweiten Richtlinie zur Kommunikation der erwarteten Verhaltensweise;
- Verständnisaufbau für mögliche negative Einflüsse, bspw. via gezieltem Stakeholder-Dialog;
- Implementierung von Prozessen bzw. Sorgfaltsprüfungen zur Identifikation, Verhinderung und Minderung von negativen Einflüssen auf Menschrechte und Ökologie;
- Etablierung von Wiedergutmachungsmechanismen bei Eintreten eines Schadens
Der Verwaltungsrat ist für die Einführung solcher Vorkehrungen und Ansätze zuständig. Angesichts der steigenden rechtlichen Anforderungen und Erwartungen von Anspruchsgruppen steht er in der Pflicht, sich ein Verständnis über die wesentlichen Risiken, die sich aus der Unternehmenstätigkeit mit Blick auf die Menschrechte ergeben, zu verschaffen, um Reputationsschäden oder negative finanzielle Auswirkungen zu verhindern.
Folgende Fragen sollte ein Verwaltungsrat im Minimum beantworten können:
- Verstehen wir umfassend die Auswirkungen unseres Unternehmens auf Menschenrechte und Umweltbelange?
- Wer ist in unserem Unternehmen verantwortlich für das Thema Menschenrechte?
- Ist die Compliance und Übereinstimmung mit national sowie international festgelegten Menschenrechtsstandards und weitergehenden Leitlinien sichergestellt?
- Haben wir angemessene interne Regelungen und Prozesse zur Identifikation, Vermeidung und Meldung von Menschenrechtsrisiken und Verstössen implementiert?
- Sind wir überzeugt, dass es keine unfairen oder unsicheren Arbeitsbedingungen in unseren Betriebsstätten oder bei wesentlichen Zulieferern gibt?
- Berichten wir transparent und glaubwürdig über unsere Einflüsse, Risiken und Massnahmen?
Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative besteht auch heute für viele Unternehmen Handlungsbedarf. Der Wechsel von der bisher überwiegend im Vordergrund stehenden freiwilligen Selbstverpflichtung hin zu einer absehbaren gesetzlichen Verankerung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten bringt eine Ausweitung des Verantwortungsbereichs von Unternehmen sowie steigende Anforderungen an ein angemessenes Lieferkettenmanagement mit sich. Deshalb gehört das Thema dringend auf die Agenda von Verwaltungsräten.