Aktienrechtsrevision verabschiedet Aktienrechtsrevision verabschiedet
Am 19. Juni 2020 haben die eidgenössischen Räte die Aktienrechtsrevision verabschiedet, mehr als zwölf Jahre seit der Publikation der ersten Botschaft und der Einreichung der Abzocker-Initiative. Die neuen Bestimmungen bringen unter anderem wichtige Flexibilisierungen im Bereich des Kapitals, zusätzliche moderne Formen für die Generalversammlung und Verwaltungsratssitzungen und einige Klarstellungen bei der Implementierung der VegüV. Die Linie des Bundesratsentwurfs vom 23. November 2016 hat sich trotz zahlreicher Änderungs- und Streichungsanträge in der parlamentarischen Beratung in weiten Teilen durchgesetzt.
Dieser Blog-Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen der Revision.
Aktienkapital und Reserven
Aktienkapital in Fremdwährung möglich
- Schon unter geltendem Recht kann die Rechnungslegung in einer für die Geschäftstätigkeit wesentlichen Währung erfolgen (Art. 958d Abs. 3 OR). Dies gilt jedoch nicht für das Aktienkapital. Neu darf nun das Aktienkapital ebenfalls in einer für die Geschäftstätigkeit wesentlichen Währung lauten (Art. 621 Abs. 2 nOR), womit sich auch die kapitalbezogenen Aspekte wie Dividenden, Reserven und Überschuldung nach der betreffenden Fremdwährung beurteilen.
Nennwert nur noch >0
- Der minimale Nennwert einer Aktie wird von derzeit CHF 0.01 auf einen Betrag grösser als null reduziert (Art. 622 Abs. 4 nOR).
Flexibilisierung, Beschleunigung und Erleichterungen bei Kapitalherabsetzung
- Der Schuldenruf aufgrund einer Kapitalherabsetzung wird inskünftig nur noch einmal (statt dreimal) publiziert, die Gläubiger können nur noch Sicherstellung ihrer Forderungen im Umfang der Verminderung der bisherigen Deckung durch die Kapitalherabsetzung verlangen (statt generell Sicherstellung oder Befriedigung) und haben dazu nur noch 30 Tage (statt wie bisher zwei Monate) Zeit (Art. 653k Abs. 2 nOR).
- Auch diese Sicherstellungspflicht entfällt, wenn die Gesellschaft entweder die Forderung erfüllt oder nachweist, dass die Erfüllung durch die Kapitalherabsetzung nicht gefährdet ist, was vermutet wird, wenn die Prüfungsbestätigung vorliegt (Art. 653k Abs. 3 nOR).
- Die Prüfungsbestätigung des zugelassenen Revisionsexperten muss sich inskünftig nicht nur auf den Jahresabschluss oder einen maximal sechs Monate alten Zwischenabschluss beziehen, sondern auch auf den Schuldenruf (Art. 653m Abs. 1 nOR). Schuldenruf und Prüfung können aber neu vor oder nach der Generalversammlung (GV) erfolgen, welche die Kapitalherabsetzung beschliesst (Art. 653m Abs. 1 und 2 nOR).
- Nach dem neuen Recht kann sodann der Kapitalherabsetzungsbetrag – wie der Betrag der Kapitalerhöhung – als Maximalbetrag ausgestaltet werden (Art. 653n nOR).
Neues Instrument des Kapitalbands
- Die GV kann den Verwaltungsrat (VR) ermächtigen, das Aktienkapital innerhalb einer Bandbreite (Kapitalband) im Umfang von jeweils 50% des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals während maximal fünf Jahren zu erhöhen oder herabzusetzen (Art. 653s nOR). Im Fall von Kapitalherabsetzungen erfolgt der Gläubigerschutz (Schuldenruf und Prüfungsbestätigung) bei jeder einzelnen Kapitalherabsetzung innerhalb des Kapitalbands (Art. 653u Abs. 3 nOR).
- Das Kapitalband kombiniert die bisherige genehmigte Kapitalerhöhung mit der neuen Möglichkeit einer genehmigten Kapitalherabsetzung. Die Bestimmungen zur genehmigten Kapitalerhöhung werden mit Inkrafttreten der Revision aufgehoben.
Erleichterungen beim bedingten Kapital
- Als mögliche Berechtigte von Optionen und Wandelrechten, welche durch bedingtes Kapital bedient werden können, nennt der neue Art. 653 Abs. 1 OR nun explizit auch Dritte (neben Gläubigern von Anleihens- und ähnlichen Obligationen, Arbeitnehmern und VR-Mitgliedern).
- Im Weiteren besteht keine Formvorschrift mehr für die Ausübung von Wandel- und Optionsrechten zur Durchführung der Kapitalerhöhung aus bedingtem Kapital (Art. 653e Abs. 1 nOR). Das geltende Recht sieht die Schriftform vor. Schliesslich muss die Liberierung durch Verrechnung, welche namentlich bei Wandelrechten anwendbar ist, nicht mehr über eine Bank erfolgen (Art. 653e Abs. 2 nOR).
Liberalisierung und Klarstellung bei Liberierung
- Die (beabsichtigte) Sachübernahme von Aktionären oder diesen nahe stehenden Personen gilt derzeit noch als Tatbestand einer qualifizierten Gründung oder Kapitalerhöhung (Art. 628 Abs. 2 OR). Im neuen Recht stellt die (beabsichtigte) Sachübernahme keinen qualifizierten Tatbestand mehr dar. Bei einer gemischten Sacheinlage und Sachübernahme unterliegen aber die Sachübernahme-Komponente und die entsprechende Gegenleistung der Gesellschaft weiterhin der Statuten- und Registerpublizität (Art. 634 Abs. 4 nOR; BBl 2017 492).
- Bisher war umstritten, ob eine Verrechnungsliberierung mit Forderungen möglich sei, welche nicht oder nicht vollständig durch Aktiven der Gesellschaft gedeckt sind. Art. 634a Abs. 2 nOR erklärt nun eine Verrechnungsliberierung mit nicht werthaltigen Forderungen für zulässig. Im Gegenzug sind die betreffende Forderung, der Name des Aktionärs und die ihm zukommenden Aktien in den Statuten zu publizieren.
Neue Regeln für die Reserven
- Die Reserven werden neu (analog dem Rechnungslegungsrecht) in gesetzliche Kapitalreserve, gesetzliche Gewinnreserve und freiwillige Gewinnreserven eingeteilt (Art. 671 ff. nOR). Dabei dürfen freiwillige Gewinnreserven nur gebildet werden, wenn das dauernde Gedeihen des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen aller Aktionäre dies rechtfertigt (Art. 673 Abs. 2 nOR).
- Verluste müssen in folgender Reihenfolge verrechnet werden: Zuerst mit dem Gewinnvortrag, dann mit den freiwilligen Gewinnreserven, anschliessend mit der gesetzlichen Gewinnreserve und zuletzt mit der gesetzlichen Kapitalreserve. Anstelle einer Verrechnung mit den gesetzlichen Reserven ist auch ein Vortrag auf neue Rechnung gestattet (Art. 674 nOR).
Ausschüttungen, Rückzahlungen, Rückerstattungspflicht
Zwischendividenden sind zulässig
- Unter geltendem Recht ist die Zulässigkeit von Zwischendividenden umstritten. Neu sind sie explizit zulässig. Die GV kann eine Zwischendividende beschliessen, sofern (i) die Voraussetzungen zur Dividendenausschüttung erfüllt sind und (ii) ein geprüfter Zwischenabschluss vorliegt. Bei einer Gesellschaft mit Opting-out ist allerdings keine Prüfung des Zwischenabschlusses nötig. Im Übrigen kann auf eine Prüfung verzichtet werden, wenn alle Aktionäre der Ausschüttung zustimmen und die Forderungen der Gläubiger dadurch nicht gefährdet werden (Art. 675a nOR).
Klarstellung bei Rückzahlung von gesetzlicher Kapitalreserve
- Die gesetzliche Kapitalreserve darf an die Aktionäre zurückbezahlt werden, wenn die gesetzlichen Kapital- und Gewinnreserven, abzüglich eines allfälligen Verlustvortrags die Hälfte bzw. bei Holdinggesellschaften 20% des eingetragenen Aktienkapitals übersteigen (Art. 671 Abs. 2 und 3 nOR).
Verschärfung der Rückerstattungspflicht
- Eine Rückerstattungspflicht von Aktionären, Organen und diesen nahe stehenden Personen besteht neu immer bei ungerechtfertigt bezogenen Leistungen. Bösgläubigkeit bzw. ein offensichtliches Missverhältnis zur wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft sind nicht mehr nötig (Art. 678 nOR).
Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Aktionäre
Anpassung diverser Schwellenwerte zur Geltendmachung von Mitwirkungs- und Kontrollrechten.
Mitwirkungs-/Kontrollrecht |
Geltendes Recht | Neues Recht |
Bestimmung |
Einberufung GV |
10% des AK | 10% des AK oder der Stimmen (nicht kotierte) 5% des AK oder der Stimmen (kotierte) |
Art. 699 Abs. 3 nOR |
Traktandierung | 10% des AK oder CHF 1 Mio. Nennwert | 5% des AK oder der Stimmen (nicht kotierte) 0.5% des AK oder der Stimmen (kotierte) |
Art. 699b Abs. 1 OR |
Auskünfte ausserhalb GV | n/a | 10% des AK oder der Stimmen (nicht kotierte) n/a (kotierte) |
Art. 697 Abs. 2 nOR |
Einsicht in Geschäftsbücher | kein Schwellenwert | 5% des AK oder der Stimmen | Art. 697a Abs. 1 nOR |
Sonderprüfung (neu: Sonderuntersuchung) | 10% des AK oder CHF 2 Mio. Nennwert | 5% des AK oder der Stimmen (kotierte) 10% des AK oder der Stimmen (nicht kotierte) | Art. 697d Abs. 1 nOR |
Auflösungsklage | 10% des AK | 10% des AK oder der Stimmen | Art. 737 Abs. 1 Ziff. 4 nOR |
Generalversammlung
Strengere Vorgaben, aber auch Erleichterungen für Gesellschaften im Vorfeld und Nachgang der GV
- In der GV-Einberufung kotierter Gesellschaften muss neu eine kurze Begründung der VR-Anträge aufgenommen werden (Art. 700 Abs. 2 Ziff. 3 nOR)
- In den Traktanden ist die Einheit der Materie zu wahren (Art. 700 Abs. 3 nOR). Trotzdem soll es etwa bei einer Totalrevision der Statuten weiterhin möglich sein, über einzelne Themenblöcke abzustimmen, allerdings wohl nicht mehr über die gesamte Revision (BBl 2017 554).
- Vor der ordentlichen GV genügt es inskünftig, wenn Geschäfts- und Revisionsbericht elektronisch zugänglich gemacht werden. Diese Unterlagen müssen nicht mehr physisch aufgelegt und (auf Verlangen) zugestellt werden (Art. 699a Abs. 1 nOR).
- Die Beschlüsse und Wahlergebnisse aus der GV sind den Aktionären kotierter Gesellschaften innert 15 Tagen elektronisch zugänglich zu machen. Bei nicht kotierten Gesellschaften können die Aktionäre verlangen, dass ihnen das Protokoll innert 30 Tagen nach der GV zugänglich gemacht wird (Art. 702 Abs. 4 und 5 nOR).
Mehr Flexibilität für die Durchführung der GV
- Neu können GV-Beschlüsse ohne Einhaltung der für die Einberufung geltenden Vorschriften auch auf dem Zirkularweg (schriftlich oder elektronisch) gefasst werden, sofern nicht ein Aktionär mündliche Beratung verlangt (Art. 701 Abs. 3 nOR).
- In Art. 701a Abs. 3 nOR wird die multilokale GV explizit erlaubt, sofern die Voten an sämtlichen Tagungsorten unmittelbar in Bild und Ton übertragen werden.
- Auch ein ausländischer Tagungsort ist ausdrücklich zulässig, sofern die Statuten dies vorsehen und ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter bezeichnet wird. Bei nicht kotierten Gesellschaften ist ein Verzicht auf den unabhängigen Stimmrechtsvertreter mit Zustimmung aller Aktionäre möglich (Art. 701b nOR).
- Inskünftig kann sodann der VR die unmittelbare elektronische Ausübung der Aktionärsrechte an der GV, d.h. das sog. direct voting, ermöglichen (Art. 701c nOR), und eine GV darf sogar gänzlich virtuell, d.h. ohne Tagungsort, durchgeführt werden, wenn die Statuten dies vorsehen und ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter bezeichnet wurde (Art. 701d nOR).
- In beiden Fällen – beim direct Voting und bei der virtuellen GV – muss der VR sicherstellen, dass
- die Identität der Teilnehmer feststeht,
- die Voten unmittelbar übertragen werden,
- jeder Teilnehmer Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen kann und
- das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann.
Neue Kompetenz der GV zur Dekotierung
- Neu ist die GV auch zuständig zum Beschluss der Dekotierung (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 8 nOR).