• Erich Meier, Partner |

Die Ursachen für die schwierige Situation der Pensionskassen sind eigentlich klar. Die von den Sozialpartnern vorgeschlagene Reform adressiert diese Ursachen nur ungenügend und erfüllt darum das Kriterium der Nachhaltigkeit nicht. Die Systemprobleme werden nur gemindert, aber nicht gelöst.

Eine Pensionskasse ist keine Blackbox und verfolgt im Grunde genommen ein einfaches und gut nachvollziehbares Geschäftsmodell. So werden Beiträge während des Erwerbslebens einbezahlt, mit der Vermögensanlage vermehrt und im Leistungsfall als Rente oder Kapital wieder ausbezahlt. Zudem gibt es eine Risikoversicherung und andere gewollte Risikotransfers, die solidarisch finanziert werden.

Nun, dieses grundsätzlich einfache Geschäftsmodell ist über die Jahre ständig komplexer geworden. Schuld daran sind nicht primär etwa zusätzliche gesetzliche oder regulatorische Hürden, sondern die seit drei Jahrzehnten sinkenden Zinsen und die immerfort steigende Lebenserwartung. Diese Effekte haben dazu geführt, dass aus heutiger Sicht einst gewährte Leistungen und selbst neu gewährte Leistungen infolge eines politischen Reformstaus nach wie vor viel zu hoch sind.

Mythen und Stammtischweisheiten

Soweit die Fakten, die leider deutlich sind und für sich selber sprechen. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Mythen und Stammtischweisheiten, die immer wieder vom Kern des Problems ablenken und eine objektive Diskussion erschweren oder verhindern. Michael Ferber hat in seinem Artikel „Sieben Mythen der beruflichen Vorsorge“ ausgewählte Mythen auf ihren Wahrheitsgehalt hin beleuchtet. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Artikel dazu beitragen wird, dass die zukünftige Ausgestaltung unseres Pensionskassensystems auf korrekt gedeuteten Fakten basieren wird. Nur sachlich und ohne unnötige Emotionen geführte Diskussionen bringen uns weiter.

Was bleibt, ist die Tatsache, dass eine Pensionskasse kein Perpetuum Mobile ist. Geld, das ausgegeben wird, muss irgendwoher kommen. Viele Aktivversicherte spüren dies seit Jahren via eine tiefe Verzinsung ihrer Guthaben. Schuld daran sind nicht etwa die Verwaltungskosten. Vielmehr musste und muss ein grosser Teil der teils sehr hohen Börsenerträge immer wieder für die Finanzierung der hohen Rentenverpflichtungen verwendet werden. Dieses so ausgegebene Geld wird den Aktivversicherten bei der eigenen Pensionierung schmerzlich fehlen, da sich ihre Guthaben nicht entsprechend vermehren konnten.

Fehlende Nachhaltigkeit

Die Pensionskassen sind über die Jahre zum Pfand und Spielball für jegliche Art von politischen und klassenkämpferischen Partikularinteressen geworden. Anstatt die 2. Säule nachhaltig auszugestalten, wird sie kontinuierlich überstrapaziert.

Während wir in gesellschaftlichen und in Umweltfragen zu Recht je länger, je mehr die Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellen, wird dies bei der beruflichen Vorsorge sträflich vernachlässigt. Nun ja, nicht ganz. Selbstverständlich sollen die Pensionskassen nachhaltig investieren, aber eben nicht mehr. Doch dies ist zu einseitig gedacht und teils sogar widersprüchlich.

Zukunftsszenarien für die Ausgestaltung der Leistungen

Basis für die Ausgestaltung von Leistungen sind insbesondere die Zukunftserwartungen zum Vermögensertrag und zur Lebenserwartung. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte diese Erwartungshaltung nach bestem Wissen und Gewissen formuliert werden. In diesem Kontext können folgende Szenarien aufgestellt werden, die wir im Artikel “Auf der Suche nach dem Konsens” weiter erläutert haben:

  Optimistische Erwartung
Neutrale Erwartung
Pessimistische Erwartung
Annahme erwarteter Vermögensertrag
Zinsen steigen, Aktienpreise erhöhen sich überdurchschnittlich Zinsen bleiben gleich, Aktien entwickeln sich im historischen Durchschnitt Zinsen fallen weiter, Aktienpreise entwickeln sich unterdurchschnittlich
Annahme Lebenserwartung Bleibt gleich (oder geht sogar zurück) Steigt im bisherigen Tempo an Steigt stärker an als bisher
Höhe Umwandlungssatz / Altersrente Hoch Mittel Tief
Finanzielles Risiko, wenn Annahmen gegenteilig eintreten Finanzlücke zulasten der nächsten Generation n/a Überschüssige Mittel (die aber auch laufend verteilt werden könnten)

Die „optimistische Erwartung“ beinhaltet das Risiko, dass sie bei Nicht-Eintreten der optimistischen Annahmen der zukünftigen Generation eine Finanzlücke hinterlässt. Das Risiko der „pessimistischen Erwartung“ besteht demgegenüber aus dem durchaus sehr angenehmen „Problem“, dass zu viel Geld vorhanden sein könnte, das laufend verteilt werden müsste. In gut schweizerischer Manier dürfte ein Kompromiss durchaus die „neutrale Erwartung“ sein. Die „neutrale Erwartung“ könnte sogar das Siegel der Nachhaltigkeit erhalten.

Brisant ist die Formulierung der Zukunftserwartung vor allem aus folgendem Grund: Die Personen, die die Zukunftserwartung heute definieren, werden bei Eintreten der Risiken nicht für die finanziellen Konsequenzen verantwortlich sein. Auf der anderen Seite können sie heute festlegen, wieviel sie selber aus dem Pensionskassensystem beziehen wollen. Es liegt also eine klassische Moral Hazard Situation vor. Ein unter Nachhaltigkeitsaspekten geführtes Pensionskassensystem würde dieses asymmetrische Chancen-/Risikoprofil entschärfen. Dies wäre zum Beispiel mit den sehr unpopulären variablen Renten möglich.

Ungenügender Reformentwurf der Sozialpartner

Der am 2. Juli 2019 präsentierte Reformentwurf der Sozialpartner beinhaltet einen Umwandlungssatz auf dem BVG-Minimum von 6% und fusst damit auf einer “optimistischen Erwartung”. Dies kann aus Sicht der zukünftigen Generation bereits als ein sehr grosses (Garantie-)Geschenk an die aktuelle Neurentnergeneration betrachtet werden, denn ein mit “neutraler Erwartung” kalkulierter Umwandlungssatz würde nur rund 5.0% betragen. Zusätzlich soll die Senkung der Neurenten vom aktuellen Umwandlungssatz von 6.8% auf 6.0% durch eine umlagefinanzierte Kompensationszahlung ausgeglichen werden, was ein zweites Geschenk an die aktuelle Neurentnergeneration wäre. Das einzige wirklich vollständig nachhaltig wirkende Element am Vorschlag sind die höheren Sparbeiträge, die im Verlaufe der Zeit den Effekt aus dem reduzierten Umwandlungssatz herausarbeiten werden.

Geschenke in diesem Ausmass hat es seit Bestehen der beruflichen Vorsorge noch nie gegeben – zu Recht! Es handelt sich dabei nämlich um Solidaritäten, die so in der zweiten Säule nie vorgesehen waren und die systemfremd sind. Ehrlicherweise müsste hier eher von Enteignung als von einem Geschenk gesprochen werden.

Mit Nachhaltigkeit hat der Vorschlag der Sozialpartner leider nicht viel zu tun, da das Chancen-/Risikoprofil der heutigen Entscheider und Profiteure massiv asymmetrisch zulasten der zukünftigen Generation ist. Wir werden voraussichtlich als Stimmbürger nicht darum herum kommen, zu beurteilen, ob wir dieses Spätzchen in der Hand der Taube auf dem Dach vorziehen wollen. Die Wahrscheinlichkeit ist leider sehr gross, dass bereits mit der nächsten Reform gestartet werden müsste, sobald der aktuell vorliegende Vorschlag umgesetzt wäre. Damit verbrauchen wir unnötig Zeit, die wir nicht haben.

Ein nachhaltiges PK-System als kleinster gemeinsamer Nenner

Für die Gestaltung der Zukunft ist es wichtig, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu haben. Dieser könnte wohl darin liegen, dass die meisten Menschen ein in allen Belangen nachhaltiges Pensionskassensystem erwarten. Ein Pensionskassensystem einzufordern, das nicht nachhaltig ist, können und dürfen wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Den zukünftigen Generationen zusätzliche Hypotheken zu hinterlassen, ist nicht fair. In der aktuellen Diskussion ist davon leider wenig zu spüren. Vielmehr werden bereits bescheidene Schritte in die richtige Richtung als grosser Erfolg gefeiert.

Die fehlende Nachhaltigkeit hat uns bereits eingeholt und wird uns nicht mehr loslassen. Es ist darum an der Zeit, endlich nachhaltige Lösungsvorschläge umzusetzen. In diesem Sinne sollte sich die Höhe einer fixen Rente an einer „neutralen Erwartung“ orientieren. Eine Orientierung an der „optimistischen Erwartung“ könnte nur gerechtfertigt werden, wenn sich die neuen Rentnern via variable Renten inskünftig auch an Sanierungen von Pensionskassen beteiligen müssten. Grundsätzlich könnte man den Rentner ja die Wahl lassen, ob sie eine (im Erwartungswert) hohe variable Rente oder eine tiefere fixe Rente wollen. Zudem sollten sich die Kompensationszahlungen an die Übergangsjahrgänge auf einen Zeitraum von nicht mehr als einem Viertel eines normalen Arbeitslebens beschränken, was 11 bis 12 Jahren entspricht. Dies gibt dem Individuum angemessen Zeit, sich finanziell auf die Pensionierung vorzubereiten.

In diesem Sinne erhoffe ich mir eine mutigere – und eben: nachhaltigere – Lösung.

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