Im Interview erklärt Jürg Meisterhans, welche Entwicklungen er für die Detailhandelsbranche erwartet und teilt seine Einschätzung zum Thema Ladensterben.
KPMG hat eine repräsentative Umfrage unter 3’152 Konsumenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Kaufverhalten durchgeführt. Wie hat die Corona-Pandemie das Kaufverhalten verändert?
Unsere Umfrage zeigt, dass 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer ihr Kaufverhalten infolge der Corona-Pandemie angepasst haben. Vor allem Lebensmittel-Einkäufe über das Internet haben an Akzeptanz gewonnen. Zu den Hauptgründen für diese rasche Entwicklung zählen die Kontaktbeschränkungen sowie das fehlende Einkaufserlebnis aufgrund der Hygienemassnahmen. Online-Shopping wird von Herr und Frau Schweizer vermehrt als praktisch, bequem und einfach gesehen.
Wie nachhaltig ist diese Entwicklung?
Fast die Hälfte der Konsumenten glaubt, dass sich ihr Online-Einkaufsverhalten infolge der Corona-Pandemie nachhaltig verändert hat. Wie nachhaltig diese Veränderung ist, bleibt zu beobachten. Denn unsere Umfrage hat auch gezeigt, dass sich die Konsumentinnen und Konsumenten wieder auf das Einkaufserlebnis vor Ort freuen. Die Menschen wollen zurück in die Läden, denn Online-Shopping war eine zum Teil aufgezwungene Massnahme, vor allem auch dann, als nur noch die Lebensmittelgeschäfte geöffnet waren. Da musste man zwangsläufig auf Online-Shopping ausweichen, um beispielsweise Kleidung oder Möbel zu kaufen. Der soziale Aspekt des Einkaufs fehlte jedoch vollständig – und darf auch nicht unterschätzt werden.
Je jünger die Käuferschaft, desto höher sind die Online-Ausgaben im Vergleich zum stationären Handel. Sehen wir bald ein Ladensterben?
Nein, definitiv nicht – es gibt kein Ladensterben, aber das Kaufverhalten wird sich mit der Zeit verändern. Die heutigen jungen Konsumentinnen und Konsumenten kaufen bereits vermehrt online ein und werden dies auch in Zukunft beibehalten. Obwohl der Online-Handel an Bedeutung zugenommen hat, wird der stationäre Handel – also physische Läden – aber auch künftig eine wichtige Rolle spielen. Das Einkaufserlebnis, die sozialen Kontakte sowie die persönliche Face-to-Face Beratung lassen sich nicht durch ein Online-Erlebnis ersetzen. Dies haben uns die vergangenen Monate klar vor Augen geführt.
In Zukunft könnte sich jedoch der Mix des Einkaufskorbes verändern: Heute kauft man nur eine Produktkategorie bei einem spezifischen Retailer ein, zum Beispiel Lebensmittel. Es stellt sich die Frage, weshalb man dort nicht auch gleich noch andere Produkte wie Drogerie-Artikel kaufen kann. Ein Mix von diversen Angeboten bei einem Händler könnten wir in Zukunft vermehrt sehen. Das ist genau das spannende bei Online-Markplätzen wie Microspot, Galaxus, Amazon, etc. welche eine enorme Palette an Produkten bieten.
Momentan wird vor allem nicht verderbliche Ware online gekauft, doch Angebote mit Frischwaren wie coop.ch oder migros.ch holen auf. Was ist Ihre Prognose?
Nicht verderbliche Ware wird vor allem gekauft, weil diese in Bezug auf Haltbarkeit aber auch Transport einfacher zu handhaben ist – im Gegensatz zu beispielsweise Tiefkühlgemüse oder Fleisch. Aber aufgrund des Lockdowns hat der Online-Einkauf auch bei Frischwaren zugenommen. Dies hängt wiederum mit den Kontaktbeschränkungen zusammen. Klar ist jedoch, dass die Konsumentinnen und Konsumenten trotzdem weiterhin vorwiegend Lebensmittel in den Läden kaufen werden. Das Online-Potenzial ist für frische Produkte aktuell noch eher gering. Die Menschen wollen die Lebensmittel anschauen respektive anfassen und selbst auswählen. Niemand möchte unreife Bananen oder einen verwelkten Blattsalat erhalten. Die eigene Entscheidung bleibt immer noch an erster Stelle beim Einkaufen, denn man möchte das Bezahlte auch selbst aussuchen.
Der technologische Fortschritt könnte es ermöglichen, verderbliche Ware online anschauen, auszuwählen, zu vergleichen und schliesslich zu kaufen. Da besteht durchaus ein gewisses Potenzial. Aber dies ist aktuell noch Zukunftsmusik.
Migros, Coop und die Post haben bekanntgegeben, dass sie sich die Lieferwagen und Kuriere zukünftig teilen wollen – aus Effizienz, aber auch Umweltgründen. Welche weiteren Entwicklungen erwarten Sie für die Detailhandelsbranche?
In der Detailhandelsbranche gibt es verschiedene innovative Projekte – auch hier beobachten wir ein Umdenken. Ein Beispiel ist die Logistik der Zukunft. Ökonomisch und ökologisch gesehen ist es sinnvoll, wenn verschiedene Händler die Lieferung vereinen, wie es nun Cargo sous terrain anstrebt. Ein grosser Vorteil sind nebst den tieferen Logistikkosten, das grosse Netzwerk an Lieferwagen sowie Verkehr- und Lärmreduktion auf den Strassen. Gut möglich, dass so ein Verteilzentrum entsteht, was wiederum dazu führen kann, das Online-Einkäufe von Frischwaren zunehmen.
Auch im Detailhandelssektor ist die Digitalisierung ein Megatrend. Geschäftsprozesse können durch Automatisierung noch effizienter gestaltet werden. Zudem eröffnet die Digitalisierung weitreichende Möglichkeiten, das Kaufverhalten der Kunden zu analysieren und Bedürfnisse gezielt anzusprechen, abzudecken oder aktiv auszulösen. Dazu gehört auch die Koordination von Click & Collect Bestellungen, Datenanalyse von Kundeninformationen oder die Anwendung künstlicher Intelligenz. Digitalisierung stellt aber auch eine grosse Herausforderung für die IT dar, wie beispielsweise die Cyber Security.
Zudem legen Konsumentinnen und Konsumenten je länger je mehr Wert auf Nachhaltigkeit, Bio-Produkte sowie Regionalität.
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