«Wir werden lernen müssen, mit COVID-19 zu 'wirtschaften'.»
Interview mit Andreas Aebi
Im Interview spricht Nationalratspräsident Andreas Aebi darüber, wie er das Parlament führen will und welche Herausforderungen auf ihn und seine Kolleginnen und Kollegen in der Grossen Kammer im neuen Jahr warten.
Nationalratspräsident Andreas Aebi
Das vergangene Jahr war in vielerlei Hinsicht einzigartig. Die Coronapandemie hat die Schweiz gesundheitlich, politisch, gesellschaftlich und vor allem auch wirtschaftlich stark gefordert. Mit welchen Herausforderungen ist das Parlament mit Blick auf das neue Jahr konfrontiert?
Damit die Institution «Parlament» funktioniert und sie ihre Aufgaben erfüllen kann, ist es wichtig, dass die Ratsmitglieder gesund bleiben. Wir setzen alles daran, sie im Parlamentsgebäude mit den notwendigen Massnahmen zu schützen. Kommissionssitzungen können inzwischen auch per Skype Business durchgeführt werden. Und wir prüfen, ob Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Distanz abstimmen könnten.
Eines darf man aber nicht vergessen: Virtuelle Kontakte ersetzen nicht den direkten Austausch zwischen den Ratsmitgliedern. Eine Herausforderung besteht also darin, in dieser schwierigen Situation die Kohäsion des Parlaments zu bewahren.
Wie wollen Sie als Nationalratspräsident im neuen Jahr weitermachen? Nach welchen Grundsätzen gedenken Sie, das Parlament zu führen, und wo sehen Sie Prioritäten?
Ich will den Nationalrat effizient und unparteiisch leiten. Das gleiche gilt für die Sitzungen der Verwaltungsdelegation (VD) und des Büros des Nationalrates.
Die VD ist vergleichbar mit dem Verwaltungsrat eines Unternehmens; sie setzt sich zusammen aus den Spitzen beider Räte. Im Büro sind neben dem Ratspräsidium die Fraktionen vertreten. Die beiden Organe sind wichtige Führungsorgane des Parlaments. In Krisenzeiten ist ihre Rolle sicher noch bedeutender. Sie fällen strategische, organisatorische und operationelle Entscheide, das Büro zusätzlich inhaltliche (Sessionsprogramm).
Ich möchte zudem die direkten, zwischenmenschlichen Kontakte mit dem Ausland wieder aufnehmen, vor allem mit Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten aus dem EU-Raum.
Im vergangenen Jahr litt die Schweizer Wirtschaft aufgrund der Coronakrise stark. Der Bundesrat hat beispielsweise mit COVID-19-Krediten Liquiditätshilfen für Schweizer Unternehmen geleistet. Welche wirtschaftlichen Themen werden Sie in diesem Jahr nun beschäftigen?
Alle. Ich denke nicht, dass ein wirtschaftliches Thema heraussticht. Wir werden lernen müssen, mit COVID-19 zu «wirtschaften». Dazu gehört auch, die Hilfe für Härtefälle neu zu aktivieren bzw. definieren.
Das milliardenschwere Hilfspaket, welches das Parlament im Sommer genehmigt hat, ist im Grunde nichts anderes als ein enormer Solidaritätsbeitrag der Gesellschaft. Mit unseren Steuergeldern tragen wir alle dazu bei, die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie zu mildern. Auch wenn es gelingt, das Virus einzudämmen, wird die Krise noch lange Zeit spür- und sichtbar sein, zumal die ganze Welt betroffen ist. Diese Aussichten machen mir Sorgen. Auch wenn das gesellschaftliche Leben verglichen mit anderen Ländern nicht komplett stillsteht.
Lässt sich durch die Coronakrise eine zunehmende Kluft zwischen Wirtschaft und Politik erkennen? Wenn ja: wie kann man diese überwinden?
Ich stelle keine zunehmende Kluft fest. Mir scheint, die Zusammenarbeit ist enger als auch schon, weil wir in der Krise stärker aufeinander angewiesen sind. So haben beispielsweise die Schweizer Banken auf unbürokratische Art und Weise Hand geboten, Hilfskredite auszubezahlen.
Wir werden unsere Zusammenarbeit noch intensiver gestalten müssen, sonst werden wir die Krise und deren Folgen nicht meistern können.
Was erwarten Sie für die Schweiz 2021 hinsichtlich der Beziehungen zu Europa?
Sicher kommt wieder Bewegung in die Diskussion. Der Bundesrat hat das Verhandlungsmandat überarbeitet, eine neue Staatssekretärin hat das Ruder übernommen. Allerdings kennen wir die Richtung noch nicht, die die Landesregierung einschlagen wird. Sie lässt sich aus verhandlungstaktischen Gründen nicht in die Karten schauen.
Mit Sicherheit werden die Aussenpolitischen Kommissionen der Räte sich prononciert äussern und auch die Europa-Euphoriker sowie -Skeptiker werden versuchen, Druck auszuüben. Ich hoffe doch, der Bundesrat kann in Ruhe verhandeln – Indiskretionen helfen ihm nicht. Vergessen wir aber nicht: Der Brexit steht für die EU an erster Stelle.
Welches sind Ihre persönlichen Ziele für das Amtsjahr als Nationalratspräsident?
Ich setze alles daran, den Rat neutral und fehlerfrei zu führen sowie die Institution «Parlament» bestmöglich gegen aussen zu vertreten.
Ich werde mich um eine optimale Zusammenarbeit mit dem Bundesrat sowie mit der Bundesverwaltung bemühen. Und ich will während des Präsidialjahres viele positive Erlebnisse schaffen – gemäss meinem Motto: Zusammenhalt, Zuversicht und Zufriedenheit. Freuen würde ich mich, wenn das möglichst viele andere auch versuchen würden.