• 2022 haben Schweizer Gerichte 78 Fälle von Wirtschaftskriminalität beurteilt, darunter auch sieben Fälle im Zusammenhang mit Covid-19-Krediten.
  • Der Gesamtschaden belief sich auf CHF 581 Mio., wovon fast drei Viertel auf öffentliche Institutionen entfiel.
  • In mehr als der Hälfte der Fälle waren Privatpersonen das Ziel von Wirtschaftskriminellen.
  • Privatpersonen sind die grösste Tätergruppe, gefolgt von Management und gewerbsmässigen Betrügern.
  • Am meisten Fälle wurden in der Zentralschweiz verhandelt, der grösste in der Genferseeregion.

Gemäss dem neusten «KPMG Forensic Fraud Barometer» befassten sich Schweizer Gerichte in 2022 mit 78 Fällen von Wirtschaftskriminalität, bei denen die Deliktsumme mindestens CHF 50'000 betrug. Dies entspricht einer Zunahme im Vorjahresvergleich um 10 Fälle bzw. 15 Prozent. Ebenfalls leicht angestiegen ist der Gesamtschaden: von CHF 567 Mio. auf 581 Mio. Die tatsächlichen Zahlen dürften wesentlich höher liegen, da viele Fälle gar nicht erst zur Anzeige gebracht werden.

Seit 2019 nehmen gerichtlich verhandelte Wirtschaftsdelikte zu. 48 Fälle beurteilten Schweizer Gerichte damals. «Ein Grund für die Zunahme liegt darin, dass Wirtschaftskriminelle im Zuge der Corona-Pandemie neue Mittel und Wege für betrügerische Aktivitäten gefunden haben», so Bob Dillen, Leiter der Forensik-Abteilung von KPMG Schweiz.

Privatpersonen am häufigsten Ziel von Wirtschaftskriminellen

Mit 40 der insgesamt 78 gerichtlich verhandelten Fälle waren Privatpersonen am häufigsten Opfer von Wirtschaftskriminellen. Damit überholen sie den langjährigen Spitzenreiter «öffentliche Institutionen». Im Vorjahr waren mit 11 Gerichtsfällen deutlich weniger Privatpersonen betroffen.

Öffentliche Institutionen mit grösstem Schaden

Schweizer Gerichte behandelten in 2022 19 Fälle von Wirtschaftskriminalität, bei denen öffentliche Institutionen Opfer waren. Die Schadenssumme der öffentlichen Hand von CHF 419 Mio. entspricht fast drei Vierteln der gesamten Schadenssumme und einer durchschnittlichen Deliktsumme pro Fall von über CHF 22 Mio. «Gründe für die hohe Attraktivität des öffentlichen Sektors für Wirtschaftskriminelle sind einerseits die erheblichen finanziellen Mittel, die dort verwaltet werden, und andererseits der häufig komplexe Aufbau öffentlicher Institutionen, der Schwachstellen im internen Kontrollsystem begünstigen kann», so Dillen.

In sieben Fällen gab es Verurteilungen in Zusammenhang mit unrechtmässig erlangten Covid-19-Krediten. «Wir gehen davon aus, dass noch viele weitere Wirtschaftsdelikte im Zusammenhang mit der Pandemie ans Licht kommen werden, da es Jahre dauern kann, bis sie aufgedeckt, untersucht und vor Gericht verhandelt werden», erklärt Dillen.

Häufigste Deliktarten: Veruntreuung und (Sozial-)Versicherungsbetrug

Trotz sieben Fällen im Zusammenhang mit unrechtmässig erlangten Covid-19-Krediten war 2022 der (Sozial-)Versicherungsbetrug nur die dritthäufigste Deliktart. Zwar hat die Anzahl solcher Gerichtsfälle von 20 auf 12 abgenommen, doch ist die durchschnittliche Deliktsumme pro Fall aufgrund eines grossen Einzelfalls mit einer Deliktsumme von über CHF 28 Mio. fast um den Faktor 10 gestiegen. Die häufigste Deliktart war 2022 mit 14 gerichtlich verhandelten Fällen die Veruntreuung – mit einer durchschnittlichen Deliktsumme von rund CHF 1 Mio. Auffällig ist die im Vorjahresvergleich deutliche Zunahme von ungetreuer Geschäftsbesorgung von 7 auf 11 Fälle. 

Privatpersonen bleiben grösste Tätergruppe

Wie im Vorjahr waren Privatpersonen 2022 die grösste Tätergruppe, mit 30 von 78 aller verhandelten Wirtschaftsdelikte. Die durchschnittlichen Deliktsumme pro Fall lag bei knapp CHF 800’000. Die zweitgrösste Tätergruppe waren mit 17 Fällen und einer Gesamt-Deliktsumme von über CHF 82 Mio. Angestellte in leitenden Funktionen («Management»). Die durchschnittliche Deliktsumme pro Fall betrug fast CHF 5 Mio. und war damit rund sechs Mal höher als bei der Tätergruppe der Privatpersonen.

Auch wenn Unternehmen und öffentliche Institutionen weniger gerichtlich verhandelte Wirtschaftsdelikte zu verzeichnen hatten als im Vorjahr, wurde ein Drittel der Delikte am Arbeitsplatz begangen. «Die Gefahr von Innen ist nicht zu unterschätzen», gibt Dillen zu bedenken. Denjenigen Unternehmen, die ihre Compliance-Vorgaben und Sicherheitssysteme noch nicht vollumfänglich den neuen Gegebenheiten angepasst haben, empfiehlt der Forensik-Experte nachzurüsten und Daten sowie neuste Technologien wie maschinelles Lernen und KI zu nutzen, um Betrugsfälle zu verhindern und aufzudecken. «Da sich betrügerische Handlungen nie völlig ausschliessen lassen, sind zusätzliche Massnahmen wie die Bereitstellung einer Whistleblower-Plattform empfohlen, wo Mitarbeitende kriminelle Aktivitäten und Verdachtsfälle melden können», so Dillen weiter.

Die meisten Fälle in der Zentralschweiz, der grösste in der Genferseeregion

Mit 21 von 78 Fällen entfiel knapp ein Viertel der verhandelten Straftaten auf die Zentralschweiz. Im Vorjahr waren es noch zwölf Fälle. Die Region Zürich nahm mit 18 Fällen den zweiten Platz ein. In der Genferseeregion, wurden 15 Wirtschaftsdelikte gegenüber sechs im Vorjahr verhandelt. Auffällig ist die hohe Deliktsumme von über CHF 415 Mio in dieser Region. Dies entspricht einem Anteil an der Gesamtdeliktsumme von über 70 Prozent. Grund dafür ist ein Steuerdelikt einer Privatperson, mit einer Deliktsumme von CHF 340 Mio.

Methodik
Der «KPMG Forensic Fraud Barometer» erfasst jedes Jahr die öffentlich verhandelten und medial publizierten Gerichtsfälle im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität. Zu diesem Zweck wurden über 4‘500 relevante Artikel verschiedener Schweizer Medien aus dem Jahr 2022 analysiert. Im aktuellen «KPMG Forensic Fraud Barometer» wurden ausschliesslich Artikel berücksichtigt, die über Verurteilungen von Wirtschaftsdelikten über CHF 50‘000 vor Schweizer Gerichten berichteten.