• Stefan Pfister, Leadership |

Die Coronakrise hat die CEO-Agendas fundamental verändert. Dies zeigt der diesjährige „CEO Outlook“ von KPMG, eine globale Umfrage von über 1’000 CEOs führender Unternehmen. Um den Einfluss der COVID-19-Pandemie zu reflektieren, wurde die unmittelbar vor Ausbruch der Krise durchgeführte Umfrage im Sommer um eine zweite ergänzt.

Stark veränderte Prioritäten

Gefragt nach den grössten Risiken und entsprechenden Prioritäten, sticht eines ins Auge: Die Sorge um die Verfügbarkeit von geeigneten Talenten. Vor Corona weltweit noch weit unten auf der Agenda (in der Schweiz traditionell weiter oben), ist die Talentsuche während des Lockdowns auf Platz 1 gesprungen und hat so den Klimawandel verdrängt.

Unser Umgang mit der Krise hat der Talentsuche aber auch neue Chancen eröffnet: Die ortsunabhängige Fernarbeit hat die starre Vorstellung von Mitarbeitenden, die zwingend im Büro arbeiten und ergo in der Nähe wohnen müssen, aufgebrochen. Dass Fernarbeit gut funktioniert, haben wir gesehen. Entsprechend hat sich der Pool an potenziell verfügbaren Fachkräften – selbstredend unter Einhaltung aller Regulierungen – gerade im Dienstleistungsbereich massiv ausgeweitet.

Das sind Good News für die Unternehmen. Es sind aber auch gefährliche News für viele Arbeitskräfte in Hochlohnländern wie der Schweiz. Also aufgepasst: Wer zu laut nach monatelangem oder gar dauerndem Home Office ruft, sollte sich immer auch überlegen, inwiefern er selber am Ast sägt, auf dem er sitzt. Der Spruch «Aus den Augen, aus dem Sinn» hat diesbezüglich eine völlig neue Bedeutung erhalten. Auch wer meint, mit einer Zustimmung zur Begrenzungsinitiative am 27. September künstlich eine Verknappung qualifizierter (und anderer) Arbeitskräfte herbeiführen zu können, von der Arbeitskräfte hierzulande profitieren könnten, riskiert viel.

Lieferketten: vom Klumpenrisiko zum Wettbewerbsvorteil

Neu auf Platz 2 der CEO-Agenda steht nach den Erfahrungen mit teils existenzbedrohenden Lieferengpässen die Neuordnung der Lieferketten. Hier versuchen Unternehmen, wo möglich zu diversifizieren, um identifizierte Klumpenrisiken abzubauen. Und nicht nur das: Agilere Lieferketten sollen helfen, neue Wettbewerbsvorteile zu erlangen.

Klimawandel bleibt ein zentrales Thema

Zwei weitere Themen, die bereits im Vorjahr ganz oben auf der CEO-Agenda standen, tun dies nach wie vor: die (Re-) Nationalisierung wesentlicher wirtschaftlicher und rechtlicher Bereiche sowie der Klimawandel. Letzterer ist als global zentrales Problem anerkannt, wobei die Unternehmen derzeit versuchen, die während des Lockdowns gewonnenen klimafreundlichen Änderungen langfristig zu sichern (Videokonferenzen anstelle von Flugreisen usw.). Im Rahmen der Sorge um eine ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung, derzeit unter dem Akronym «ESG» bekannt (Environment, Social und Governance), hat sich eine (temporäre?) Verlagerung der Aufmerksamkeit vom „E“ zu „S“, konkret: von Klima- zu Gesundheitssorgen ergeben.

Die Schwerpunktverlagerung zeigt sich auch in der Auskunft von über einem Drittel Befragten, die persönlich oder im engeren familiären Umfeld gesundheitliche Erfahrungen mit der Pandemie gemacht und daraufhin die strategische Antwort ihres Unternehmens auf Pandemien angepasst haben.

Ein weiterer Digitalisierungsschub

Die staatliche und gesellschaftliche Reaktion auf die Pandemie hat nicht nur, wie landauf, landab bekannt, einen weiteren Digitalisierungsschub ausgelöst. Sie hat verkrustete Strukturen aufgebrochen und neuen Arbeitsmodellen den Weg geebnet. Derzeit, das zeigt auch der CEO Outlook, ist viel von neuen (primär digitalen) Formen der Zusammenarbeit die Rede. Ich bin aber überzeugt: Die – in der Summe positiven – Veränderungen werden sehr weitreichend sein und steuerliche, versicherungstechnische, arbeitsrechtliche, verkehrs- und energietechnische, gesundheits-, bildungs- und sozialpolitische und viele weitere Folgen haben und jedermann betreffen.

Die Suche nach Sinnhaftigkeit

Viele der befragten globalen CEOs sind der Meinung, dass das abnehmende Vertrauen in den Staat durch ein verstärktes Engagement der Unternehmen kompensiert werden muss. Aus Schweizer Sicht wage ich, den vermuteten Vertrauensschwund zu hinterfragen: Das entschiedene Handeln des Bundesrats – zumindest in der ersten Pandemiephase – dürfte nämlich das Vertrauen breiter Bevölkerungsteile in unsere Regierung klar gestärkt haben. Der sich derzeit ausbreitende, verwirrende Flickenteppich an kantonalen, teils sogar kommunalen Regeln tut dem keinen Abbruch. Dass die Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Unternehmen aber auch hierzulande im Begriff ist, sich markant auszuweiten und die CEOs dies vermehrt bejahen, ist meines Erachtens mit ein Grund für die gewachsene Bereitschaft vieler Unternehmen, dem vernünftigen Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament zur radikalen Konzerverantwortungsinitiative zuzustimmen, über die wir am 29. November abstimmen.

Wertvoll – und dem Vertrauen in die Wirtschaft zuträglich – ist die Erkenntnis, dass sich sehr viele CEOs auch persönlich verantwortlich fühlen für die künftigen sozialen Entwicklungen. Die in den USA losgetretene „Black-lifes-matter“-Bewegung hat das globale Umfrageresultat sicher stark mitbeeinflusst. Nach langjähriger unternehmerischer Tätigkeit in unserem Land bin ich aber der festen Überzeugung, dass sich eine überwiegende Mehrheit von Schweizer Unternehmenschefs ihrer gesellschaftlichen Verantwortung absolut bewusst ist und diese auch lebt.

Mittlerweile sieht eine Mehrheit der befragten CEOs die Sinnhaftigkeit im Zentrum ihres Wirkens. Bloss noch 24% fokussieren ausschliesslich auf den Shareholder Value, 22% wollen dagegen sogar die Gesellschaft insgesamt verbessern.

Zuversichtlicher Wirtschaftsausblick

Was die erwartete wirtschaftliche Entwicklung angeht, so zeigt sich auch im COVID-19-Jahr, dass sich die Einschätzungen trotz allen Unsicherheiten umso zuversichtlicher gestalten, je greifbarer sich ein Umfeld aus regionaler und industriespezifischer Sicht für die CEOs präsentiert: Demnach sehen bloss 32% der globalen wirtschaftlichen Entwicklung zuversichtlich entgegen. Wenn es um die nationale bzw. branchenspezifische wirtschaftliche Entwicklung geht, sind es aber schon 45% bzw. 55%. Und gefragt nach der vermuteten eigenen Unternehmensentwicklung, sind sogar 67% positiv gestimmt. Gepaart mit der jüngsten volkswirtschaftlichen Einschätzung des Seco, wonach sich die Wirtschaft nach Ende des Lockdowns zügiger erholt hat als noch in der Prognose vom Juni erwartet, darf einen das zumindest vorsichtig optimistisch für die nähere Zukunft stimmen.

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