Schon jetzt wird die russische Invasion in die Ukraine als Wendepunkt der globalen Sicherheits- und Wirtschaftsordnung gesehen. Die durch die Krise hervorgerufene kurzfristige Volatilität in Volkswirtschaft und Märkten und deren Auswirkungen dominiert die aktuelle fachliche und politische Diskussion.

Doch auch beim Navigieren durch den Sturm ist ein Blick auf das Danach essenziell:

  1. Schnellere Dekarbonisierung:
    Kurzfristig bedeuten die Spannungen auf den Energiemärkten einen politischen Fokus auf Versorgungssicherheit mit alternativen fossilen Quellen und damit einen Rückschlag für die Transformation in Richtung „Net Zero“, eine Netto Null bei Emissionen. Längerfristig dürften die Initiativen zur Stärkung der nationalen Energiesicherheit in entwickelten Volkswirtschaften den Transformationsprozess stärken. In den Emerging Volkswirtschaften ist eine schwächere Dynamik zu befürchten.

  2. Starke Anstiege in Staatsausgaben und -Verschuldung:
    Neben den ambitionierten Ausgabezielen zur Erreichung der Energietransformation stellt die massive Ausweitung der Verteidigungsausgaben einen weiteren Faktor für eine nachhaltige strukturelle Erhöhung von Defiziten und nationalen Schuldenständen dar.
    Die ohnehin schon stark defizitbelasteten Staatsfinanzen, vor allem auch in der Eurozone, werden dadurch noch stärker und nachhaltiger belastet. Ansteigende Finanzierungskosten durch steigende Staatsanleihenrenditen werden noch stärker zur Bedrohung der finanziellen Stabilität.

  3. Gegenwind für die Globalisierung:
    Der Konflikt in der Ukraine wird die Globalisierung weiter belasten, da Versorgungssicherheit, insbesondere auch in den Lieferketten, zunehmend in den Fokus rücken. Repatriierungstendenzen und verstärkte Autarkie können die Dynamik des Außenhandels und der internationalen Kooperation nach Trump & COVID weiter dämpfen, vor allem da die Erfahrungen aus dem Ukraine-Russland-Konflikt eine Blaupause für globale Anpassungen in Richtung „abgeschotteteren“ Wirtschaftsstrategien sein können. Dies wird zu einer deutlich fragmentierteren Weltwirtschaft führen.

  4. Zunehmender Inflationsdruck
    Sämtliche genannten Faktoren bringen unmittelbar Rückenwind für die volkswirtschaftliche Nachfrage, und nachhaltigen Gegenwind für das Angebot mit sich. Die jüngsten Erzeugerpreisdaten (Anstieg in der Eurozone um mehr als +30%) unterstreichen das Problem. Damit steigt nicht nur kurzfristig, sondern strukturell das Risiko einer unerwünschten inflationären Dynamik. Vor allem auch in den Ländern der Eurozone mit strukturell niedrigen Potenzialwachstumsraten werden die angebotsseitig dämpfenden Effekte dominieren, was das Risiko von Stagflation (stagnierendes Wachstum bei gleichzeitig steigenden Inflationsraten) erhöht.

Schon jetzt steht fest, dass vor diesem Hintergrund das Entscheidungsdilemma für Zentralbanken, insbesondere für die EZB, weiter zunehmen wird. Dabei stehen zwei Probleme im Vordergrund: Einerseits der richtige „Mix“ zwischen Konjunkturstabilisierung und Inflationsbekämpfung, und auf der anderen Seite die Sicherung der Stabilität der Eurozone durch die Vermeidung von eskalierenden Staatsfinanzierungskosten. Einen Vorgeschmack hierfür gab es bereits 2011/2012, als massive Anstiege in den Renditen der südlichen Eurozonenländer eine Zerreißprobe für die Währungsunion darstellten. Viele der Probleme von damals sind nicht gelöst, sondern haben sich teilweise deutlich verschärft. So betrug der durchschnittliche Schuldenstand in der Eurozone Ende 2021 und damit vor Beginn der Ukraine-Krise statt des Maastricht-Maximums von 60% knapp 98% der Wirtschaftsleistung. Große Volkswirtschaften wie Italien, Frankreich und Spanien liegen mit 155%, 116% und 122% noch deutlich darüber. Strukturelle Tendenz: steigend. 2012 reichte ein „do whatever it takes“ von Mario Draghi, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Das wird so kein zweites Mal funktionieren. Genauso wichtig aber die Frage, wie hoch die Kosten von unkontrollierter Inflation wären.

Natürlich gibt es Erfahrungen aus den 1970er Jahren, wie Zentralbanken zu hohe Inflationsraten unter Kontrolle bekommen können. Aber damals konnten sie dies noch ohne massive Staatsschuldenstände tun.
Welche Implikationen für Volkswirtschaft und Zentralbanken lassen sich daraus ableiten?

  1. Zunehmendes Risiko von geldpolitischen Fehlern der Zentralbanken
    Die Bekämpfung von Inflation durch straffere Geldpolitik und steigende Leit- und Geldmarktzinsen, einhergehend mit steigenden langfristigen Zinssätzen, gefährdet nicht nur die Stabilität der Staatsfinanzen. Da der finanzielle Spielraum in den Budgets unbedingt erforderlich ist, um die „Green Transition“ zu ermöglichen, ist die fiskale Stabilität gleichzeitig notwendiger Faktor auf dem Weg zur Klimaneutralität. Ihre Sicherstellung damit ein gesamtgesellschaftlich anzustrebendes Ziel. Gleichzeitig erhöhen Erzeuger- und Verbraucherpreisdaten zunehmend den Druck auf die Entscheider in Frankfurt.

  2. Wahrscheinlichkeit für längerfristige Inflationsraten über dem Zentralbankziel
    Obwohl Stagflation kurzfristig nicht unwahrscheinlich ist, ist sie doch längerfristig nicht das wahrscheinlichste Ergebnis. Die vor allem angebotsseitigen Preisschocks werden nachlassen, teils durch Anpassungen und Verbesserungen in den Supply Chains und im Energiebereich, und andererseits durch eine rückläufige Nachfrage nicht zuletzt aufgrund nachlassender Kaufkraft. Langfristig wird es vor allem eine Rolle spielen, wie die Zentralbank reagiert. Und hier spricht in der Eurozone einiges dafür, dass im Zweifel eher höhere Inflationsraten akzeptiert werden, was perspektivisch Teuerungsraten über dem Inflationsziel von 2% bedeuten kann.

  3. Strukturell höhere Kapitalmarktzinssätze
    Viele Ökonomen erachten die aktuelle Inflationsentwicklung als Ende des über 40-jährigen „Bullenmarktes“ für Anleihen, der mit der Disinflationspolitik der USA in den 1970er Jahren begonnen hat. Trotzdem gibt es starke Gründe, die dämpfend auf das langfristige Zinsumfeld wirken. Vor allem Demographie und eingeschränktes Produktivitätswachstum sollten dafürsprechen, dass historisch hohe Zinsniveaus eigentlich nicht mehr erreicht werden sollten.

    Der Ukraine-Konflikt erweist sich hier jedoch als Game Changer: die vom Krieg verstärkten Trends in Green Transition- und Rüstungsausgaben erzeugen Aufwärtsdruck für das neutrale Zinsniveau. Verstärkt wird dieser Druck durch das hohe Maß an volkswirtschaftlichen Risiken und Volatililtät, den geringeren Handlungsoptionen für Zentralbanken und die gestiegene Wahrscheinlichkeit an geldpolitischen Fehlentscheidungen. Diese Risiken werden über höhere Zinsen abgegolten.

    Damit ist zu erwarten, dass die Zinsniveaus auch nach Ende des Konflikts höher bleiben werden als in der Dekade vor der Pandemie.

    Trotz der hohen Unsicherheit der aktuellen Erwartungen sollten sich Banken, Unternehmen und Anleger verstärkt mit diesem Szenario auseinandersetzen.

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