Eine der Lehren aus der jüngsten Pandemie ist die Notwendigkeit für einen umfassenderen Ansatz im Risikomanagement des Nicht-Finanzbereichs. Damit ist nicht nur die Aufnahme von Pandemierisiken in die Risikoanalyse gemeint, sondern auch ein tiefergehendes Verständnis der Risiken hinsichtlich der Liquiditätsposition des Unternehmens anstelle des reinen Fokus auf die Ertragsposition.
Gerade das Pandemierisiko zeigt die leidvolle Erfahrung vieler Corporates, wie unsicher die klassische Liquiditätsplanung ist. Die Rücknahme oder Verschiebung von Aufträgen, die Unsicherheit der Logistik- und Wertschöpfungsketten, des Exportes und auch des privaten Konsums gefährden die Zahlungseingänge für die Finanzplanung. Eine Vielzahl liquiditätswirksamer Risiken aus dem operativen Geschäft gefährdet damit die Liquidität des Unternehmens. Nachdem die Auszahlung einer Dividende die Liquidität des Unternehmens vermindert, ist es auch für die Zwecke der Dividendenplanung unerlässlich die Volatilität zukünftiger Cashflows zu kennen. Deshalb ist gerade auch ein liquiditätsfokussiertes Risikomanagement ein Gebot der Stunde. Ein für die aktuelle Situation adäquates Risikomanagementsystem sollte daher unter Berücksichtigung der Unsicherheit zukünftiger Cashflows auf der Zahlungsstromebene aufgesetzt werden, wodurch die klassische handelsrechtliche Ebene sinnvoll ergänzt wird.
Anders als in Deutschland, wo die Erkennung „bestandsgefährdender Entwicklungen“ durch das Risikomanagement im Aktiengesetz geregelt ist, leitet sich diese Forderung für österreichische Unternehmen aus der schlichten Anforderung an ein effektives Risikomanagement ab. Einen Hinweis, wie dies interpretiert werden könnte, gibt der deutsche Revisionsstandard des DIIR Nr 2 zur Prüfung des Risikomanagementsystems durch die Interne Revision. Die Analyse des DIIR besagt, dass bestandsgefährdende Entwicklungen sich aus Kombinationseffekten von Einzelrisiken ergeben. Damit sind aber implizit alle Steuerungssysteme im Fokus, die Risiken erfassen und bewerten.1
Das DIIR empfiehlt Kennzahlen zu definieren, die den Gesamtrisikoumfang in Relation zum Risikodeckungspotenzial des Unternehmens bringen. Dieses wiederum kann entsprechend der Ursachen für bestandsgefährdende Risiken entweder als das Eigenkapital für Verluste oder die Liquiditätsreserven für die Abdeckung risikobedingter Liquiditätsabflüsse interpretiert werden.2 Durch eine solche duale Betrachtung kann der Gesamtrisikoumfang schlüssig in Relation zum Risikodeckungspotenzial des Unternehmens gesetzt werden.
Cashflow@risk als Kennzahl
Eine Kennzahl zur Messung der aggregierten Liquiditätsrisikoposition ist der sogenannte Cashflow@risk.
Der Cashflow@risk misst die potenzielle Abweichung des tatsächlichen Cashflows von einem geplanten oder budgetierten Wert aufgrund von Schwankungen der identifizierten zahlungsrelevanten Risiken auf Basis einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit über 12 Monate. Ermittelt wird dieser, indem zunächst Risiken qualitativ inventarisiert werden und im Anschluss diese Risiken anhand von Szenarien, die potenzielle Auswirkungen auf die operativen Cashflows festlegen, quantifiziert werden.
Ähnlich in der Konzeption und aus unserer Erfahrung weiter verbreitet ist der sogenannte Earnings@risk-Ansatz, der auf handelsrechtlichen Größen basiert. Gegenstand der Analyse sind hier Aufwendungen und Erträge, um beispielsweise die Auswirkungen von operationalen Risiken auf den bilanziellen Erfolg des Unternehmens zu ermitteln (Abbildung).
Es existiert daher ein Unterschied in Bezug auf die betrachteten Risiken, den erfassten Betrag und den Zeitpunkt. In aller Kürze: „Das Konzept ist identisch, der Input jedoch anders“.
Die Herausforderungen im Hinblick auf die Ermittlung des Cashflow@risk sind mannigfaltig:
- Es sind die cashflow-relevanten Risiken zu identifizieren. Erfahrungsgemäß decken sich diese zu 70 bis 80 Prozent mit ertragsrelevanten Risiken. Rein cashflow-bezogene Risiken sind zu ergänzen. Es bietet sich daher an, diese Klassifizierung der Risiken parallel im Rahmen der Risikoinventur durchzuführen und ggf auch in der Inventurdatenbank festzuhalten.
- Erstellung von Prognosen über zukünftige Cashflows. Hierbei ist zwischen Prognoseverfahren auf Basis ökonometrischer Verfahren3 oder Experteneinschätzungen zu wählen.
- Ermittlung des absoluten Cashflow@risk. Dazu eignet sich ein Monte-Carlo-Simulationsverfahren der Value@risk-Ermittlung. Hierzu muss in einem ersten Schritt jedem Risiko eine Verteilung für dessen Schwankung zugrunde gelegt werden, wozu sich Standardverteilungen, wie die Normalverteilung, beispielsweise eignen. Um diese Verteilungen sinnvoll zu kalibrieren, werden Experteneinschätzungen der Risikoeigner benötigt. Auch die Abhängigkeiten/Korrelationen dieser Risiken sind dem Modell durch Experteneinschätzungen mitzugeben. Hat man nun das Modell entsprechend kalibriert, kann der absolute Cashflow@risk als Wert dem gewünschten Konfidenzniveau (von beispielsweise 95 Prozent) entsprechend abgelesen werden.
- Für die Ermittlung des relativen Cashflow@risk ist der Plan- oder Budgetwert des Jahres-Cashflow nötig. Der relative Cashflow@risk ergibt sich aus der Differenz zwischen Planwert und absolutem Cashflow@risk. Ist der absolute Cashflow@risk beispielsweise EUR -150 und der Planwert EUR +100 so ist der relative Cashflow@risk die Differenz von EUR +250. Das Ergebnis lässt sich so interpretieren, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent der geplante Cashflow des folgenden Jahres um maximal EUR 250 unter dem Planwert zu liegen kommt.
Abbildung: Gegenüberstellung von Earnings@risk und Cashflow@risk
Einbindung in die Risikosteuerung des Unternehmens
Entscheidend für die Sicherstellung der Steuerungsrelevanz obigen Ansatzes ist die Einbindung in die Gesamtrisikosteuerung des Unternehmens. Das heißt, die Überlegungen zum Cashflow@risk umfassen den gesamten Risikomanagementprozess, beginnend bei der Risikoanalyse, der Risikobewertung und Risikoaggregation als Teil der Gesamtrisikoposition des Hauses bis hin zur Einbindung in die Überprüfung der Risikotragfähigkeit.
Gerade vor dem Hintergrund einer Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens ist der Cashflow@risk eine komprimierte Risikokennzahl, die im Abgleich mit der Risikotragfähigkeit einen Beitrag zur Überwachung der Liquiditätsposition leisten kann und damit ein effektives Instrument der Liquiditätssteuerung darstellt.
Sowohl Management wie auch Aufsichtsräte können von einer solchen Topkennzahl, die die Liquiditätsentwicklung vergleichbar gestaltet und die Komplexität der Risikoanalyse reduziert, profitieren.
Ausblick
Aus den Erfahrungen mit der Analyse der Risikosteuerungsansätze in Nicht-Finanzunternehmen zeigt sich, dass mehr Unternehmen liquiditätsfokussierte Steuerungsansätze forcieren. Dies nicht nur deswegen, weil in Zeiten von Pandemie die Liquidität vieler Häuser angespannt ist, sondern auch die Volatilität insgesamt zunimmt und damit die Liquiditätsposition mehr in den Vordergrund rückt – ein Aspekt des „New Normal“.
1 DIIR Revisionsstandard Nr 2: Prüfung des Risikomanagementsystems durch die Interne Revision, Version 2.0, November 2018, S 3
2 DIIR Revisionsstandard Nr 2: Prüfung des Risikomanagementsystems durch die Interne Revision, Version 2.0, November 2018, S 7
3 Hager P.: Cash Flow at Risk und Value at Risk in Unternehmen, Köln 2010, S 81f