Seit der Agenda 2030 genießt das Nachhaltigkeitsthema erhöhte Aufmerksamkeit. Die Erwartungshaltung gegenüber Versicherungsunternehmen hat sich grundsätzlich geändert. Die EU-Kommission hat daher am 6. Juli 2021 die delegierte Verordnung zu Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung über die Nachhaltigkeitsberichterstattung erlassen – mit weiteren umfangreichen Vorgaben für Versicherungsunternehmen.
Die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und das Klimaübereinkommen von Paris sind der Ausgangspunkt für den Aktionsplan der EU-Kommission „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ aus dem Jahr 2018. Des Weiteren wurde im Jahr 2019 im Rahmen des European Green Deal eine „Strategie für nachhaltiges Finanzwesen“ angekündigt. Seither ist der Begriff ESG (Environmental, Social and Governance) in aller Munde und findet sukzessive Einzug in europäische Verordnungen und Leitlinien.
Mehr Transparenz
Regulatorische Maßnahmen sorgen für mehr Nachhaltigkeit: Die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (EU) (2019/2088) (Disclosure-VO) regelt die Transparenzverpflichtungen – einerseits hinsichtlich der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Investitionsentscheidungs- oder Anlageberatungsprozessen, andererseits von Finanzmarktteilnehmern und Finanzberatern im Hinblick auf Finanzprodukte, die auf nachhaltige Investitionen ausgerichtet sind. Informationen über Nachhaltigkeitsrisiken sind im Investitionsprozess auf der Webseite zu veröffentlichen und mögliche Auswirkungen der Risiken auf die Rendite in den vorvertraglichen Informationen aufzunehmen. Die darin enthaltenen Bestimmungen werden durch Regulatory Technical Standards (RTS) konkretisiert.
Ergänzend wurde mit der Verordnung (EU) 2019/2089 die Verordnung (EU) 2016/1011 zu EU-Referenzwerten für den klimabedingten Wandel veröffentlicht und durch delegierte Rechtsakte konkretisiert. Im Fokus stehen dabei die auf das Übereinkommen von Paris abgestimmten EU-Referenzwerte sowie die nachhaltigkeitsbezogene Offenlegung für Referenzwerte.
Lange To-do-Liste
Die Verordnung (EU) 2020/852 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (Taxonomie-VO) wurde im Juni 2020 veröffentlicht. Sie erweitert die Disclosure-VO um spezifische Berichtspflichten. Gefordert werden Informationen, wie und in welchem Umfang die Tätigkeiten des Unternehmens mit Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind, die als ökologisch nachhaltig einzustufen sind. Die in der Taxonomie-VO festgelegten Leistungsindikatoren eignen sich jedoch nicht für die Beurteilung, in welchem Umfang die Wirtschaftstätigkeiten von Versicherungsunternehmen taxonomiekonform sind.
Entsprechend zu Artikel 8 der Taxonomie-VO hat die EU-Kommission daher am 6. Juli 2021 die delegierte Verordnung über die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Versicherungsunternehmen erlassen. Darin legt die EU-Kommission die Regeln fest, wie Versicherungsunternehmen die technischen Bewertungskriterien des delegierten Rechtsakts zur Klimataxonomie in quantitative Leistungskriterien (sogenannte KPI) zu überführen haben. Die delegierte Verordnung sieht sowohl einen investmentbasierten als auch einen umsatzbasierten Leistungsindikator vor.
Der investmentbasierte KPI
Der investmentbasierte Leistungsindikator beschreibt die Anlagestrategie eines Versicherungsunternehmens hinsichtlich des Anteils der in taxonomiekonforme Tätigkeiten investierten Vermögenswerte gemessen an den gesamten Vermögenswerten des Unternehmens. Kapitalanlagen sind dabei alle direkten und indirekten Investitionen, eingeschlossen Kapitalanlagen in Organismen für gemeinsame Anlagen, Beteiligungen, Darlehen, Hypotheken, Sachanlagen sowie immaterielle Vermögenswerte. Bei den zusätzlichen Offenlegungen ist zwischen dem Anteil der Kapitalanlagen in Lebensversicherungsverträge, bei denen das Anlagerisiko von den Versicherungsnehmern getragen wird (fonds- und indexgebundene Lebensversicherung), und dem Anteil der übrigen Kapitalanlagen zu unterscheiden. Risikopositionen gegenüber Zentralbanken und -staaten und supranationale Emittenten sind bei der Berechnung des KPI vom Zähler und Nenner auszunehmen. Des Weiteren werden Risikopositionen gegenüber Unternehmen, welche nicht den Offenlegungsvorschriften für die nichtfinanzielle Berichterstattung unterliegen, mangels verfügbarer Informationen bei der Ermittlung des Zählers nicht einbezogen. Auf Basis des Anhangs der delegierten Verordnung müssen zusätzlich die Umsatz- und CapEx-KPIs von Unternehmen, in die investiert wird, aggregiert und ins Verhältnis zu den Gesamtaktiva gesetzt werden.
Der umsatzbasierte KPI
Der umsatzbasierte Leistungsindikator beschreibt die eigentliche Versicherungstätigkeit. Er gibt an, wie hoch der Anteil der Nichtlebensversicherungstätigkeiten, die die Anpassung an den Klimawandel betreffen und taxonomiekonform sind, an den gesamten Nichtlebensversicherungstätigkeiten ist. Dabei handelt es sich bspw um Produkte, bei denen Versicherungsunternehmen Anreize für Versicherungsnehmer schaffen, für mehr Energieeffizienz im Eigenheim zu sorgen. Dazu werden die gebuchten Bruttoprämien aus dem taxonomiekonformen Nichtlebensversicherungsgeschäft oder gegebenenfalls aus dem Rückversicherungsgeschäft auf die gesamten gebuchten Bruttoprämien bzw Bruttoprämien aus der Rückversicherung bezogen. Die Angaben sind weiter nach Umweltzielen aufzugliedern.
Ergänzend zu den quantitativen Informationen sind auch qualitative Angaben zu erstellen: Hintergrundinformationen zur Untermauerung der KPIs, Beschreibung der Einhaltung der Taxonomie-VO in der Geschäftsstrategie, Produktentwicklung und Zusammenarbeit mit Kunden und Gegenpartien und Erläuterungen zu Art bzw Ziel der taxonomiekonformen Tätigkeiten und deren Entwicklung über die Zeit.
Agenda 2030
Mit der UN-Agenda 2030 haben sich 2015 die Staaten dazu verpflichtet, Armut und Hunger zu beenden, den dauerhaften Schutz der Erde zu gewährleisten und friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften aufzubauen. Für die Umsetzung wurden 17 globale Nachhaltigkeitsziele, sogenannte Sustainable Development Goals (SDG), definiert. Diese wurden wiederum in 169 Unterziele konkretisiert. Anhand von 231 Indikatoren wird der Fortschritt in der Umsetzung gemessen. Im selben Jahr haben sich auf der UN-Klimakonferenz in Paris alle Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der UN über die Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius verständigt und sich zu einem 1,5 Grad Celsius-Szenario bekannt.
Darüber hinaus möchte die EU mit dem European Green Deal die Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 erreichen.
Zeit zu handeln
Schon für die Geschäftsjahre 2021 und 2022 sind konkrete Angaben zu machen: Einerseits ist der Anteil der Kapitalanlagen an nicht taxonomiefähigen und taxonomiefähigen Wirtschaftstätigkeiten an den Gesamtaktiva anzugeben. Gleiches gilt für den Anteil der Risikopositionen gegenüber Zentralbanken und -staaten und supranationale Emittenten und den Anteil an Derivaten an den Gesamtaktiva. Auch der Anteil an den Gesamtaktiva der Risikopositionen gegenüber Unternehmen, welche nicht den Offenlegungsvorschriften für die nichtfinanzielle Berichterstattung unterliegen, ist anzugeben. Die Angaben der zuvor erwähnten qualitativen Informationen sind ebenfalls erforderlich. Zusätzlich müssen Versicherungsunternehmen den Anteil der nicht taxonomiefähigen und taxonomiefähigen Wirtschaftstätigkeiten im Nichtlebensversicherungsgeschäft veröffentlichen.
Erst für das Geschäftsjahr 2023 ist die vollumfängliche Offenlegung in Übereinstimmung mit der Taxonomie-VO mit allen Detailangaben vorgesehen.
Hohe Priorität
Bereits im April 2021 hat die EIOPA eine Stellungnahme zur Überwachung der Verwendung von Klimawandel-Risikoszenarien in ORSA veröffentlicht. Demnach sollen Versicherungsunternehmen Nachhaltigkeitsrisiken in den Risikomanagementprozess integrieren. Damit sind die wesentlichen Themenfelder des ORSA-Prozesses hinsichtlich der Auswirkung von Nachhaltigkeitsrisiken zu überprüfen. Überdies erfordert eine weitere Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35, die im August 2022 in Kraft tritt, neben der Integration der Nachhaltigkeitsrisiken im Risikomanagement, die Berücksichtigung im Rahmen der Rückstellungsbewertung, der Vergütungspolitik und des Investmentmanagement. Das bedeutet: Versicherungsunternehmen sind dringend angehalten, unternehmensinterne Regelwerke wie Leitlinien anzupassen und diesbezügliche Prozesse zu adaptieren bzw neu zu implementieren.