Tax News: EuGH: Nachträglicher Steuerausweis der Umsatzsteuer im Vorsteuervergütungsverfahren

Vorsteuervergütungsverfahren

Der EuGH hat sich im Urteil vom 21.3.2018 (C-533/16, Volkswagen AG) mit der Frage beschäftigt, ob eine nachträglich in Rechnung gestellte Umsatzsteuer der Vergütung der Vorsteuer im Wege des Vorsteuervergütungsverfahren entgegensteht, wenn der Leistende bis dahin ohne Umsatzsteuer abgerechnet hat. Der EUGH verneint den Vorsteuerausschluss aufgrund von etwaigen Fristen, wenn der Leistungsempfänger das Recht auf Erstattung der Vorsteuern nicht vorher ausüben konnte, da er weder im Besitz der Rechnung war noch von der Mehrwertsteuerschuld wusste. Der EuGH durchbricht in diesem Fall mit seiner Entscheidung das formelle Recht durch das materielle Recht.

1000

Für den Inhalt verantwortlich

Esther Freitag

Partnerin, Tax

KPMG Austria

Kontaktformular

Sachverhalt

In den Jahren 2004 bis 2010 hat ein Lieferant (Hella Leuchten-Gesellschaften in verschiedenen Unionsstaaten) Formen zur Herstellung von Leuchtkörpern für Fahrzeuge in der Slowakei an Volkswagen geliefert und darüber Rechnungen ausgestellt. Die Hella-Gesellschaften gingen in ihrer Beurteilung der Transaktion davon aus, dass es sich nicht um Warenlieferungen handelte sondern um von der Umsatzsteuer befreite „finanzielle Ausgleiche“. Im Jahr 2010 erkannten die Hella-Gesellschaften, dass ihre Beurteilung nicht korrekt war und stellten Rechnungen aus, in denen Umsatzsteuer bezüglich der Warenlieferungen ausgewiesen war. Ebenso reichten die Hella-Gesellschaften ergänzende Steuererklärungen für die Jahre 2004 bis 2010 ein und führten die Umsatzsteuer ab. Mit Antrag vom 1 Juli 2011 beantragte Volkswagen die Erstattung der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer im Wege des Vorsteuervergütungsverfahrens. Die slowakischen Behörden gaben dem Antrag nur für die Lieferungen der Jahre 2007 bis 2010 statt. Für die Lieferungen der Jahre 2004 bis 2006 sei die im nationalen Recht geregelte fünfjährige Ausschlussfrist bereits abgelaufen. Deshalb wurde der Antrag insoweit abgelehnt. Das Recht auf Erstattung der Umsatz-steuer sei bereits im Zeitpunkt der Lieferung der Ware entstanden, weshalb die Frist abgelaufen sei. Das Oberste Gericht der Slowakischen Republik hat den Beginn der Fünfjahresfrist zu prüfen.

In diesem Zusammenhang hat das Gericht dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Gericht wollte unter anderem wissen, ob die Richtlinie 2008/9/EG und das Recht auf Erstattung der Vorsteuern kumulativ verlangen, dass sowohl der Gegenstand geliefert oder die Dienstleistung erbracht wurde, als auch dass ein entsprechender Steuerausweis in der Rechnung erfolgt ist. Weiters war fraglich, ob es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität vereinbar ist, wenn die Frist für die Steuererstattung ab einem Zeitpunkt gerechnet wird, in dem nicht alle materiell-rechtlichen Bedingungen des Rechts auf Steuererstattung erfüllt sind.

Rechtliche Würdigung durch den EuGH

In der Beantwortung der Vorlagefragen verweist der EuGH zunächst auf bereits ergangene Entscheidungen des Gerichtshofes, in denen zum einen festgehalten wird, dass das Recht auf Vorsteuerabzug einen integralen Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer darstellt und grundsätzlich auch nicht eingeschränkt werden kann. Die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmers ist vollständig von Mehrwertsteuer zu entlasten. Das Recht zum Vorsteuerabzug kann insbesondere sofort ausgeübt werden, ist jedoch an formelle und materielle Bedingungen geknüpft. Diese Bedingungen ergeben sich grundsätzlich aus der MwStSyst-RL. Das Recht auf Vorsteuerabzug sei grundsätzlich im gleichen Zeitraum auszuüben, in dem der Anspruch auf die Steuer entstanden ist. Die Ausübung des Rechts sei jedoch erst mit Erhalt einer ordnungsgemäßen Rechnung möglich. Der Grundsatz der Rechtssicherheit wiederum verlangt aus Sicht des EuGH, das Abzugsrecht zeitlich zu beschränken. Handelt ein Steuerpflichtiger nicht sorgfältig, ist eine Ausschlussfrist als Sanktion zulässig, wenn die Ausschlussfrist den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität genügt. Zudem ermögliche Art. 273 MwStSyst-RL Maßnahmen zum Schutz vor Steuerhinterziehung.

Im vorliegenden Fall gelangte der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Ausschlussfrist nicht greifen könne. Volkswagen war es unmöglich, das Erstattungsrecht vor der Rechnungsberichtigung auszuüben, da Volkswagen vorher weder im Besitz der Rechnungen war noch von der Steuerschuld wusste. Erst mit Erhalt der Berichtigungen waren die materiellen und formellen Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug gegeben. Zudem lag seitens Volkswagen aus Sicht des EuGH kein Mangel an Sorgfalt vor. Die Gefahr der Steuerhinterziehung oder der Nichtabführung der Umsatzsteuer sah der EuGH nicht. Unter diesen Umständen konnte zum Schutz des Leistungsempfängers die Ausschlussfrist nicht bereits mit der Lieferung der Gegenstände beginnen.

Keine klare Aussage hingegen enthält das Urteil zur Frage, für welchen Zeitraum der EuGH den Anspruch auf Erstattung der Vorsteuern anerkannt wissen will und ob im vorliegenden Fall die Rechnungsberichtigung möglichweise zurückwirkt. Auf Art 14 Abs 1 Buchst a der Richtlinie 2008/9/EG, wonach sich der Vergütungsantrag grundsätzlich auf Vorsteuern beziehen muss, die während des Vergütungszeitraums in Rechnung gestellt werden, geht der Gerichtshof in seiner Entscheidung nicht ein. Entscheidend war, dass sich das materielle Recht und damit das Recht zum Vorsteuerabzug sich gegenüber dem formellen Recht durchsetzt. Damit liegt diese Entscheidung auf einer Linie mit weiteren EuGH-Entscheidungen, die eine Tendenz zeigen, Unternehmer, die sorgsam handeln, zu schützen.

So kontaktieren Sie uns